Marcel Napierala, CEO Medbase, im Interview

Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Napierala, Medbase hat sich seit der Gründung 2001 von 7 Standorten auf rund 190 medizinische, pharmazeutische und zahnmedizinische Standorte entwickelt. Was waren die wichtigsten und schwierigsten Entscheidungen, die Sie auf diesem Weg fällen mussten?
Marcel Napierala: Die Auswahl der richtigen Kolleginnen und Kollegen für eine gemeinsame Reise war stets eine der bedeutendsten Entscheidungen. Denn sowohl die Aufgabe im Gesundheitswesen als auch die Entwicklung eines Unternehmens beruhen auf erfolgreicher Teamarbeit.
«Wir erhalten zahlreiche Angebote von Praxisinhaberinnen und -inhabern, die keine Nachfolge finden. Ein Entscheid für eine Übernahme hängt jeweils davon ab, ob vor Ort ein eingespieltes Team von Ärztinnen und Ärzten besteht.» Marcel Napierala, CEO Medbase
Herausfordernde Entscheidungen sind unvermeidlich – insbesondere, wenn sie unsere Mitarbeitenden betreffen. Gerade im Dienstleistungssektor ist die Tragweite solcher Entscheidungen besonders gross, da sie direkten Einfluss auf den Erfolg und die Qualität unserer Arbeit haben.
Die Migros übernahm 2010 die Mehrheit an Medbase. Inwiefern hat sich das Geschäftsmodell seither verändert und welche Synergien konnten Sie innerhalb der Migros-Gruppe realisieren?
2010 betrieb Medbase 11 Standorte. Der Fokus unserer Tätigkeit lag damals auf medizinischen und therapeutischen Dienstleistungen und deren Verbindungen. Dank dem Engagement der Migros konnte Medbase seither zu einer führenden Anbieterin in der integrierten Versorgung wachsen und neue Geschäftsbereiche wie Zahnmedizin, Apotheken, psychotherapeutische Praxen und die Ärztegrossistin und Online-Apotheke Zur Rose integrieren. Die Grundidee blieb immer bestehen, konnte aber mit viel mehr Kraft entwickelt werden.
Medbase arbeitet seit Beginn sehr gut mit den Migros-Fitnessanlagen zusammen und wir teilen uns an vielen Standorten die Infrastruktur. Patientinnen und Patienten absolvieren Teile ihrer medizinischen Trainingstherapie auf der Fläche der Fitnesszentren. Zudem sind die Einkaufszentren der Migros oft gute Lagen für unsere Apotheken.
Darüber hinaus bestehen nur geringe Synergiepotenziale innerhalb der Migros Gruppe. Das Geschäftsfeld Gesundheit ist komplex, stark reguliert und funktioniert anders als der Detailhandel. Es müssen viele Faktoren betrachtet werden wie etwa die Verfügbarkeit von Fachkräften oder Bewilligungsauflagen. Aus diesem Grund haben wir uns eine gewisse Autonomie innerhalb der Migros bewahrt und legen unseren Fokus auf die Grundversorgung. Zudem ist heute unsere grösste Herausforderung, genügend Health Care Professionals zu finden. Dies wird wohl auch in absehbarer Zukunft so bleiben.
Medbase beschäftigt mittlerweile rund 4’300 Mitarbeitende. Wie beeinflusst der Fachkräftemangel im Medizinbereich die Entwicklung von Medbase, welche Ansätze gibt es, diesen Mangel nachhaltig zu beheben, ohne vorwiegend auf ausländische Fachkräfte zu setzen?
Wie vorher bereits angedeutet, beeinflusst der Fachkräftemangel die Medbase-Strategie grundlegend. Wir erhalten zahlreiche Angebote von Praxisinhaberinnen und -inhabern, die keine Nachfolge finden. Ein Entscheid für eine Übernahme hängt jeweils davon ab, ob vor Ort ein eingespieltes Team von Ärztinnen und Ärzten besteht. Die Eröffnung neuer medizinischer Zentren «auf der grünen Wiese» ist heute kaum eine Option mehr, obwohl schweizweit eine hohe Nachfrage besteht.
Zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte fördern wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medical Centern und Apotheken. Durch die Integration der Apotheken in Alternative Versicherungsmodelle konnten diese ihre Rolle als erste Anlaufstelle für Gesundheitsfragen stärken. Innerhalb der Medical Center fördern wir die Berufsgruppe der Clinical Nurses. Sie werden zukünftig eine zentrale Rolle einnehmen, unter anderem in der Behandlung von Menschen mit chronischen Krankheiten.
Darüber hinaus entwickeln wir innerhalb von Medbase verschiedene digitale Lösungen, die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Praxisalltag entlasten, beispielsweise ein automatisiertes Rezeptmanagement oder für selbstdispensierende Ärztinnen und Ärzte eine Medikamenten-Bestellsoftware. Seit zwei Monaten ist nun unsere eigene Telemedizin am Start, welche in die Prozesse und Systeme der Medbase Gruppe eingebettet ist.
Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen jährlich um etwa 4%. Wie kann dieser Kostenanstieg gebremst werden, wer, ausser den Prämienzahlenden, hat überhaupt ein Interesse daran?
Während die Kosten stetig steigen, sind die Preise im Gesundheitswesen seit 2014 insgesamt um 4,4 Prozent gesunken. Darüber muss man unbedingt mehr sprechen. Bei sinkenden Preisen kann das Kostenwachstum nur mit einer höheren Nachfrage erklärt werden. Diese setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen: die steigende Lebenserwartung, die überdurchschnittliche Zunahme der über 65-Jährigen und das gleichzeitige Wachstum chronischer Krankheiten. Neue Behandlungsmöglichkeiten und Technologien, aber auch höhere Löhne und Materialkosten führen ebenfalls zu Mehrkosten.
«Während die Kosten stetig steigen, sind die Preise im Gesundheitswesen seit 2014 insgesamt um 4,4 Prozent gesunken. Darüber muss man unbedingt mehr sprechen. Bei sinkenden Preisen kann das Kostenwachstum nur mit einer höheren Nachfrage erklärt werden.»
Als Managed Care Organisation entspricht es dem Grundverständnis von Medbase, eine hohe Versorgungsqualität zu vernünftigen Preisen zu bieten. Zur Dämpfung der Kostenentwicklung verfolgt Medbase verschiedene Lösungsansätze.
- Eine verbesserte Koordination und Kooperation unter allen Akteuren im Gesundheitswesen.
- Stärkung der Rolle der Apotheken als Point of Care und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Apotheken und Medical Centern für eine nahtlose Grundversorgung.
- Aufbau eines telemedizinischen Angebots zur Entlastung der Medical Center, damit sie sich auf Patientinnen und Patienten konzentrieren können, die eine physische Behandlung benötigen.
- Smarte digitale Lösungen für ein effizienteres Gesundheitswesen wie Rezeptübermittlungstools für Arztpraxen, automatisierte Praxisapotheken oder Weblösungen für den schnellen, papierlosen und sicheren Austausch von Gesundheitsdokumenten.
Sie haben 2023 das Schweizer Geschäft der Zur Rose Group übernommen. Was war die Motivation für die Übernahme, welche Ziele verfolgen Sie mittelfristig in Bezug auf Umsatz und Standorte?
Die Übernahme von Zur Rose Schweiz war eine logische und konsequente Weiterführung unserer langjährigen, erfolgreichen Zusammenarbeit. Unser Ziel war es, die Kompetenzen der beiden Unternehmen zu verbinden. Während Medbase über ein grosses Netzwerk von Standorten und eine breite Palette physischer Angebote verfügt, bringt Zur Rose als etablierte Grossistin und Online-Anbieterin eine umfassende Technologie- und Prozesskompetenz mit. Gemeinsam können wir Kundinnen und Patienten entlang des gesamten Behandlungspfades lückenlos beraten, begleiten und betreuen.
Der Fokus der zukünftigen Entwicklung liegt auf der Verknüpfung physischer und digitaler Dienstleistungen und der Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit. Das tönt einfach, nicht? Die Vorgänge sind aber komplex, und die Abstimmung ist entsprechend anspruchsvoll.
Medbase setzt stark auf Digitalisierung, etwa mit der Einführung eines einheitlichen Praxisinformationssystems. Wie ist die Einführung verlaufen, welche Effizienzgewinne erwarten Sie?
Mit der Einführung eines einheitlichen und modernen Praxisinformationssystems haben wir die Basis gelegt für weitere Schritte in der Digitalisierung. So besteht nun die Möglichkeit, von verschiedenen Standorten aus auf strukturierte Patientendaten zuzugreifen, beispielsweise vom behandelnden Medical Center und durch das Team von Medbase Telehealth. Vorausgesetzt ist natürlich das Einverständnis der Patientin oder des Patienten. Das einheitliche System erleichtert zudem die strukturierte Datenerfassung im Rahmen des Chronic Care Managements beispielsweise bei Diabetikern oder Herz-Kreislauf Patientinnen.
Künstliche Intelligenz gewinnt auch in der Medizin an Bedeutung. Wo sehen Sie die grössten Potenziale für KI-Anwendungen bei Medbase, wo haben Sie schon konkrete Projekte?
Wir sehen den Vorteil von KI dort, wo sie Prozesse unterstützt oder Fachkräfte entlastet, zum Beispiel für Transkribierung oder Übersetzung in Echtzeit. Auch bei bildgebenden Verfahren und in der Kardiologie kann KI unterstützen. Zudem prüfen wir auch den Einsatz in der Administration- zum Beispiel in der Rechnungsstellung.
Eine Möglichkeit, die Versorgung zu verbessern, bietet der Einsatz der Telemedizin. Mit dem eigenen telemedizinischen Zentrum, Medbase Telehealth, bieten Sie diese jetzt an fünf Standorten an. Welche strategischen und operativen Ziele haben Sie sich mit Medbase Telehealth gesetzt?
Das Ziel ist, Patientinnen und Patienten mit akuten Symptomen, die nicht zwingend physisch behandelt werden müssen, oder mit chronischen Krankheiten, die periodische Kontrollen benötigen, koordiniert telemedizinisch zu betreuen. Die Medical Center werden, wo sinnvoll, entlastet und können sich auf Patientinnen und Patienten konzentrieren, die eine Behandlung vor Ort benötigen.
«Wir sehen den Vorteil von KI dort, wo sie Prozesse unterstützt oder Fachkräfte entlastet, zum Beispiel für Transkribierung oder Übersetzung in Echtzeit. Auch bei bildgebenden Verfahren und in der Kardiologie kann KI unterstützen.»
Auch die Medbase Apotheken erhalten mit einer eigenen Telemedizin einen noch direkteren Zugang zu den Ärztinnen und Ärzten. Dadurch haben sie künftig mehr Möglichkeiten, Fragen zur Medikamentenabgabe zu klären oder Patientinnen und Patienten, die eine medizinische Konsultation benötigen, zu überweisen. Zudem wird mittelfristig eine bessere Erreichbarkeit und Versorgung auch in peripheren Gebieten und ausserhalb der Öffnungszeiten der Medical Center und Medbase Apotheken erreicht. Für die Rekrutierung von Fachkräften bietet Medbase Telehealth neue Möglichkeiten, denn telemedizinische Beratungen können in Teilzeitarbeit und auch aus dem Homeoffice erbracht werden.
Der Schweizer Gesundheitsmarkt ist stark reguliert. Welche Änderungen wären aus Ihrer Sicht nötig, um Fehlanreize zu beseitigen und die Effizienz zu steigern?
Die vielen Regulierungen blähen die Bürokratie zusätzlich auf. Deshalb sind zukünftig nicht neue Vorschriften gefragt, sondern die Bereitschaft aller Akteure – auch der Politik – aufeinander zuzugehen. Es braucht partnerschaftliche Lösungen, koordinierte Zusammenarbeit, moderne digitale Lösungen im Sinne der Patientinnen und Patienten sowie eine regulatorische Entschlackung. Chancen dazu bieten sich zurzeit viele – beispielsweise eine faire und zeitgemässe Tarifierung und gleichzeitig die Verlagerung von stationären hin zu ambulanten Behandlungen. Weniger Spitalübernachtungen sparen Kosten, liegen im Interesse der Patientinnen und Patienten und wirken dem Fachkräftemangel entgegen, weil weniger Nachtschichten anfallen.
Medbase bietet ein breites Spektrum von der Prävention bis zur Rehabilitation. Wie hoch ist der Anteil präventiver Leistungen am Gesamtumsatz und welche Pläne haben Sie, diesen erhöhen?
Die Angebote der Medbase Gruppe lassen sich nicht trennscharf auf die einzelnen Phasen des Behandlungspfads, also auf Prävention, Akutbehandlung und Rehabilitation aufteilen. Dienstleistungen im Bereich der Prävention nehmen aber in allen Geschäftsfeldern eine bedeutende Rolle ein: In den Medbase Apotheken bieten wir verschiedene Dienstleistungen im Vorsorgebereich an wie Herz-Checks, Allergie-Checks oder Impfungen. Weitere Angebote sind Medizinische Check-ups, psychotherapeutische Behandlungen, Prophylaxe-Behandlungen in der Zahnmedizin sowie Informationen und Services auf der Gesundheitsplattform iMpuls. Aus unserer Sicht wird die Prävention jedoch von der Politik nicht genügend unterstützt, obwohl damit das Gesamtsystem entlastet werden könnte.
Die Alterung der Gesellschaft stellt das Gesundheitssystem vor zusätzliche Herausforderungen. Wie bereitet sich Medbase darauf vor, die steigende Nachfrage nach altersmedizinischen Leistungen zu bewältigen?
Die demografische Entwicklung führt zu einer stetigen Zunahme von chronischen Erkrankungen und damit zu einer erhöhten Nachfrage nach Therapien und Medikamenten. In den Medical Centern stärken wir die Rolle der Clinical Nurses. Sie übernehmen eine zentrale Aufgabe in der Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen.
«Mit der Online-Apotheke von Zur Rose leisten wir einen zusätzlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit, weil beispielsweise die Apothekendichte an peripheren Lagen abnimmt.»
Für Personen, die eine spezielle Therapie mit Infusionen oder Injektionen benötigen, hat Zur Rose den Bereich Specialty Care aufgebaut. Dabei betreuen erfahrene Fachkräfte Patientinnen und Patienten zuhause oder in der Arztpraxis. Damit entlasten wir die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten. Mit der Online-Apotheke von Zur Rose leisten wir einen zusätzlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit, weil beispielsweise die Apothekendichte an peripheren Lagen abnimmt. Um Patientinnen und Patienten den Zugang zu sicherer Medikation zu vereinfachen, setzen wir zudem vermehrt auf digitale Lösungen, etwa für Rezeptanfragen oder Medikamentenbestellung. Aber auch für Arztpraxen entwickeln wir digitale Lösungen, welche die administrativen Abläufe vereinfachen. Unabhängig von unseren Bestrebungen würde die Einführung eines flächendeckenden E-Rezepts eine deutlich verbesserte Grundversorgung ermöglichen.
Am FutureHealth Basel (7. April 2025) sind Sie einer der Referenten. Was wird der Schwerpunkt Ihres Beitrages sein?
In meinem Referat werde ich aufzeigen, dass es Innovationen, aber auch kleine Optimierungen in vielen Bereichen des Gesundheitswesens braucht, um die medizinische Versorgung in Zukunft zu sichern. Wesentlich ist, dass sämtliche Akteure innerhalb des Gesundheitsökosystems ihren Beitrag leisten und bereit sind, gemeinsame Lösungen im Sinne der Patientinnen und Patienten zu entwickeln.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich habe zwei Wünsche für das Gesundheitswesen:
Erstens wünsche ich mir, dass wir die Qualität medizinischer Leistungen noch besser messen und transparent belegen können und dass Leistungserbringer entsprechend fair und differenziert entschädigt werden. Zweitens hoffe ich auf eine stärkere intersektorielle Zusammenarbeit und mehr wirkungsvolle Public-Private-Partnerships, um das Gesundheitssystem zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten.
Das Interview entstand mit Unterstützung der FutureHealth Basel
