OBT: ESG-Berichterstattungspflicht bei KMU – Achtung bei der doppelten Wesentlichkeitsanalyse

St. Gallen – Der Bundesrat hat mit seiner im Juni 2024 in die Vernehmlassung gegebenen Verordnung über die «Berichterstattungspflichten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen» einen grossen Schritt gemacht und will die Schweizer Gesetzeslage stark derjenigen der EU anpassen. Der Artikel zeigt auf, wie KMU nun am besten vorgehen.
Mit den vorgeschlagenen neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen werden in den nächsten Jahren rund 3’500 Unternehmen in der Schweiz im Bereich Nachhaltigkeit direkt und umfassend berichterstattungspflichtig. Eine Vielzahl davon wird indirekt als Teil der Wertschöpfungskette ebenso betroffen sein. Die Auswirkungen der europäischen Richtlinien zur nicht finanziellen Berichterstattung (CSRD/ESRS) sowie das EU-Lieferkettengesetz werden ebenfalls weitreichende und insbesondere indirekte Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen sämtlicher Grössen haben.
Doppelte Wesentlichkeitsanalyse als Herzstück
Viele Schweizer KMU beschäftigen sich bereits mit der doppelten Wesentlichkeitsanalyse oder werden sich in absehbarer Zeit damit beschäftigen müssen. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse steht im Fokus der Nachhaltigkeitsstrategie sowie der nachgelagerten «nicht finanziellen Berichterstattung» von Unternehmen.
Unternehmen müssen Sozial- und Umweltthemen, die für sie von Bedeutung sind, neu nach Gesichtspunkten der doppelten Wesentlichkeit beurteilen. Die nachfolgende Grafik zeigt dies visuell:

Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zur bisherigen Praxis (NFRD – Non Financial Reporting Directive) dar. Nachhaltigkeitsthemen werden nicht mehr nur aufgrund ihrer finanziellen Auswirkung auf die Unternehmen (outside-in), sondern auch nach der Impact Wesentlichkeit (inside-out) beurteilt.
Ein Nachhaltigkeitsthema ist somit bedeutend, wenn es aus der finanziellen- und oder aus der Impactperspektive wesentlich ist. Durch diese Vorgehensweise verhindert das Konzept der doppelten Wesentlichkeit eine einseitige Berichterstattung. Unternehmen, die sich bisher nur mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt haben, die für sie eine finanzielle Auswirkung haben, müssen nun auch Nachhaltigkeitsthemen behandeln, die für sie keine finanziellen Auswirkungen, für die Umwelt jedoch negative Auswirkungen haben.
Umsetzung ist komplex und interdisziplinär
Eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse zu erarbeiten, ist komplex, interdisziplinär und von der Mitarbeit verschiedener Stakeholder geprägt. Im Grundsatz kann sie in die drei nachfolgenden Teilschritte aufgegliedert werden:
1. Anforderungsanalyse: Kontext verstehen und Stakeholder identifizieren
- Analysieren Sie Ihre Unternehmensaktivitäten vor- und nachgelagert (Wertschöpfungskette).
- Überprüfen Sie das rechtliche und regulatorische Umfeld Ihres Tätigkeitsgebiets.
- Identifizieren Sie alle bedeutenden Stakeholder (intern und extern), und binden Sie diese in den ganzen Prozess ein.
2. Potenziell wesentliche Themen identifizieren und auf ihre Auswirkungen, Risiken und Chancen (IRO) überprüfen
- Erstellen Sie eine Liste potenziell wesentlicher Nachhaltigkeitsthemen in den Bereichen ESG.
- Wählen Sie dann den «Top-Down-Ansatz», und bewerten Sie die identifizierten Themen nach IRO.
- Und/oder wählen Sie den «Bottom-Up-Ansatz», um ausgehend von IRO wesentliche Themenfelder zu eruieren.
3. Analyse der wesentlichen Themen nach dem Gesichtspunkt der doppelten Wesentlichkeit und Erstellung einer finalen Liste der Nachhaltigkeitsthemen, über die es zu berichten gilt
- Analyse der Nachhaltigkeitsthemen mittels der Impact Wesentlichkeit
- Analyse der Nachhaltigkeitsthemen mittels der finanziellen Wesentlichkeit
- Finale Erstellung der Liste mit den Nachhaltigkeitsthemen, über die es zu berichten gilt
Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist das Herzstück der Nachhaltigkeitsstrategie und der nicht finanziellen Berichterstattung. Die Identifikation bedeutender Stakeholder sowie die gezielte und permanente Einbindung in den ganzen Prozess sind zentral und für eine erfolgreiche und effektive Analyse ausschlaggebend.
Fokus auf Einbindung von Stakeholdern
Die Einbindung von geeigneten Stakeholdern geschieht frühzeitig und zu verschiedenen Zeitpunkten. Es ist nicht sinnvoll, alle Stakeholder zu allen Themen zu befragen. Eine Aufteilung in Gruppen und in Themenbereiche, in denen die Beteiligten beheimatet sind, ist zielführend. Dabei ist die Einbringung der Stakeholder im Rahmen von Einzelinterviews oder Gruppendiskussionen zu empfehlen. Standardisierte Fragebögen sind ungeeignet, verfälschen Ergebnisse, mindern die Qualität und verleiten zu Missbrauch resp. Steuerung der Ergebnisse.
Die Bruttobetrachtung ist zu befolgen
Negative und positive Auswirkungen sind separat zu betrachten, und es ist einzeln darüber zu berichten. Dadurch wird eine Nettobetrachtung explizit ausgeschlossen und kann im Gegenteil als systematisches Greenwashing betrachtet werden. Negative Auswirkungen dürfen nicht durch positive Auswirkungen in den Hintergrund geraten oder gar kompensiert netto positiv dargestellt werden. Selbstverständlich darf oder muss über wesentliche positive Aspekte ebenfalls berichtet werden, jedoch nachgelagert zu den negativen «potenziellen» Auswirkungen.
Integrierter Managementansatz – Governance
Um als Unternehmen eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie zu implementieren und aufrechterhalten zu können, ist es entscheidend, dass diese gelebt, gepflegt und auf allen Ebenen implementiert wird. Die Strategie soll sich in Form eines Kreislaufs und als integrativer Managementansatz auszeichnen.

Die Nutzung von Synergien über alle Elemente der Unternehmensführung und alle Hierarchiestufen hinweg führt zu einem ganzheitlichen Verständnis relevanter Risiken. Damit verbessern sich Prozesstransparenz, Datenqualität, Berichterstattung und die Wirtschaftlichkeit.
Fazit
Die Verordnung über die «Berichterstattungspflichten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen» sorgt dafür, dass in den nächsten Jahren rund 3’500 Unternehmen in der Schweiz in Sachen Nachhaltigkeit umfassend berichterstattungspflichtig werden. Eine Vielzahl davon dürfte indirekt als Teil der Wertschöpfungskette ebenso betroffen sein.
Das Herzstück der Berichterstattung stellt die doppelte Wesentlichkeitsanalyse dar. Diese ist komplex und interdisziplinär und sollte sorgfältig angegangen werden. Im Fokus stehen dabei die Einbindung von Stakeholdern und die Brutto-Betrachtung von Auswirkungen. Bei Bedarf unterstützen unsere Spezialistinnen und Spezialisten Sie bei diesem Prozess. (OBT/mc/ps)