Das Innere des Brustkorbs der untersuchten Fliegen. Sichtbar sind die fünf untersuchten Steuermuskeln (grün bis blau) und die Kraftmuskeln (gelb bis rot). (Abb: PSI)
Villigen – Mithilfe von Röntgenlicht aus einem Teilchenbeschleuniger konnten Hochgeschwindigkeitsaufnahmen der Flugmuskeln von Fliegen in 3-D erstellt werden. Ein Team der Oxford University, des Imperial College (London) und des Paul Scherrer Instituts PSI entwickelte an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI ein bahnbrechendes CT-Aufnahmeverfahren, mit dem sie das Innere von fliegenden Insekten filmen konnten. Die Filme gewähren einen Einblick in das Innere eines der komplexesten Mechanismen der Natur und zeigen, dass Strukturverformungen entscheidend dafür sind, wie eine Fliege ihren Flügelschlag steuert.
In der Zeit eines menschlichen Augenaufschlags kann eine Schmeissfliege 50-mal mit ihren Flügeln schlagen und dabei jeden einzelnen Flügelschlag mit zahlreichen winzigen Steuermuskeln kontrollieren – manche davon sind so dünn wie ein Menschenhaar. In den membranartigen Flügeln selbst sitzen keinerlei Muskeln; alle Flugmuskeln sind unsichtbar im Brustkorb versteckt. „Das Gewebe im Brustkorb der Fliege lässt kein sichtbares Licht durch, kann aber mit Röntgenstrahlen durchleuchtet werden“, erklärt Rajmund Mokso, der für den Versuch verantwortliche Forscher am PSI.
„Indem wir die Fliegen in einem speziellen Versuchsaufbau für Hochgeschwindigkeitsaufnahmen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz herumdrehten, konnten wir mit hoher Geschwindigkeit einzelne zweidimensionale Röntgenaufnahmen anfertigen, auf denen die Flugmuskulatur in allen Phasen des Flügelschlags aus mehreren Blickwinkeln zu sehen war. Diese Aufnahmen haben wir zu 3-D-Filmen der Flugmuskeln kombiniert.“
Langjährige Entwicklung
„Mit diesem Versuch wurde ein Meilenstein in der tomografischen Mikroskopie mit Röntgenstrahlung erreicht. Es lassen sich Einzelheiten der Muskulatur der Fliege in einer Grössenordnung von einigen Tausendstelmillimetern erkennen, sodass wir ihre Bewegung mit einer bisher einmaligen Zeitauflösung verfolgen können“, erläutert Marco Stampanoni, Leiter der Forschungsgruppe Röntgentomografie am PSI und Professor an der ETH Zürich. „Dies ist das Ergebnis einer langjährigen Entwicklungsarbeit von Forschenden am PSI, dank der sich die SLS auf dem Gebiet der tomografischen Bildgebung an der vordersten Front der Entwicklung befindet.“
Kleine Muskeln steuern grosse Muskeln
Als Reaktion auf das Herumdrehen im Versuchsaufbau versuchten die Fliegen, in die entgegengesetzte Richtung zu fliegen. So ermöglichten sie den Forschenden die Aufzeichnung der asymmetrischen Muskelbewegungen beim Kurvenflug. „Die Steuermuskeln machen weniger als 3 % der Gesamtmasse der Flugmuskulatur einer Fliege aus“, erklärt Graham Taylor, der die Studie in Oxford leitete. „Daher war es eine der Kernfragen, wie die Steuermuskeln die Leistung der viel grösseren Kraftmuskeln beeinflussen können. Die Kraftmuskeln arbeiten symmetrisch, jedoch kann die Fliege bei jedem Flügel – durch den Wechsel zwischen verschiedenen Schwingungsarten – Kraft in einen auf die Absorption mechanischer Energie spezialisierten Steuermuskel umleiten, ähnlich wie die Gangschaltung beim Auto, die beim Herunterschalten eine Bremswirkung erzielt.“
Das wohl komplexeste Gelenk
Die Forschenden erhoffen sich, ihre Ergebnisse für den Entwurf von neuen mikromechanischen Geräten nutzen zu können. „Die Fliegen haben hier ein Problem gelöst, vor dem Ingenieure in demselben Grössenbereich stehen“, so Taylor: „Wie werden verhältnismässig grosse, komplexe Bewegungen in drei Dimensionen mit mechanischen Komponenten generiert, die eigentlich nur kleine, einfache Bewegungen im Eindimensionalen erzeugen können?“ Das geniale Design des Flugmotors der Schmeissfliege löst dieses Problem auf grossartige Weise, wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen.
Simon Walker aus Oxford, der zusammen mit Daniel Schwyn Ko-Erstautor der Studie ist, fügt hinzu: „Das Flügellager der Fliege ist wohl das komplexeste Gelenk, das in der Natur vorkommt. Es ist das Ergebnis von über 300 Millionen Jahren evolutionärer Vervollkommnung. Das Ergebnis ist ein Mechanismus, der sich enorm von den herkömmlichen Konstruktionen unterscheidet, die von Menschen geschaffen wurden. Er setzt auf Krümmen und Beugen, statt wie ein Uhrwerk zu laufen.“ (PSI/mc/pg)