In den kommenden Wochen stehen die Sitzungen der EZB, der Fed und der BoE an. Bei allen Zentralbanksitzungen gehen die Märkte von Zinserhöhungen aus – dabei ist allein bei der EZB noch nicht klar, wie hoch diese ausfallen wird. Doch sind die aktuellen Markterwartungen gerechtfertigt? Darauf geht zunächst James Atthey, Investment Director bei abrdn, ein. Ob die EZB die Zinsen um 25 Basispunkte oder um 50 Basispunkte anheben wird, kommentiert anschliessend Paul Diggle, Chief Economist bei abrdn.
James Atthey, Investment Director bei abrdn, kommentiert die Erwartungen an die kommenden EZB-, Fed-, und BoE-Sitzungen wie folgt:
„Mit Blick auf die Sitzungen der EZB, der Fed und der BoE in den nächsten Wochen preist der Markt jeweils Zinserhöhungen ein. Dabei steht allein die Höhe der EZB-Anhebung noch zur Debatte. Alles in allem scheinen 25 Basispunkte am wahrscheinlichsten zu sein, was auch den Erwartungen für die BoE und die Fed entspricht. Danach gehen die Bewertungen am Markt auseinander, wenngleich die Inflations- und Konjunkturdaten immer mehr in den Vordergrund rücken. Ich erwarte von diesen aber keine konkrete Guidance.
Wir denken, dass die anhaltende Verschärfung der Kreditkonditionen zusammen mit der stetigen Verschlechterung der Wirtschaftsdaten dazu führen wird, dass die Fed im Mai die letzte Zinserhöhung in diesem Zyklus vornimmt. Die EZB und die BoE hingegen werden sich weiterhin unter Druck gesetzt fühlen, die Zinswende noch länger hinauszuzögern. Da wir den Höhepunkt des Verbraucherpreisanstiegs wahrscheinlich bereits hinter uns haben, gehe ich davon aus, dass dieser Druck in den kommenden Monaten weitgehend nachlassen wird.
Viele Anleger und Kommentatoren zeigen sich überrascht, dass der Markt Zinssenkungen der Fed bereits im Spätsommer dieses Jahres einpreist. Wir vermuten, dass dies ein unsicheres Mittelmass zwischen zwei sehr unterschiedlichen Szenarien widerspiegelt. Das eine Szenario ist, dass die Daten länger stabil bleiben, die Beschäftigung robust bleibt und die Art der Disinflation, die wir erwarten, nur ausreicht, um weitere Zinserhöhungen zu verhindern. Dieses Szenario dürfte zu einem Anstieg am Ende der US-Zinsstrukturkurve führen, weil Zinssenkungen nicht mehr eingepreist werden. In dem anderen Szenario, das wir für wahrscheinlicher halten, häufen sich die schlechten Nachrichten und die Fed sieht sich gezwungen, die Rezession zu bekämpfen. In diesem Szenario ist die Hürde für eine Senkung der Zinssätze auf ein neutrales Niveau niedriger, als viele vermuten. Das bedeutet, dass Zinssenkungen wahrscheinlich schneller und aggressiver erfolgen werden, als derzeit eingepreist.
Es scheint so, dass die Bewertungen am Markt fast unabhängig davon, was passiert, falsch sind. Im Laufe der Zeit bevorzugen wir auf jeden Fall eine Positionierung für niedrigere Zinsen.»
Paul Diggle, Chief Economist bei abrdn, kommentiert die Erwartungen an die kommende EZB-Ratssitzung wie folgt:
„Es ist noch nicht abzusehen, ob die Europäische Zentralbank die Zinsen auf ihrer Sitzung am 4. Mai um 25 oder um 50 Basispunkte anhebt. Auf ihrer letzten Sitzung hatte die EZB angedeutet, dass sie zu kleineren Erhöhungsschritten von 25 Basispunkten zurückkehren würde. Jüngste Kommentare von hawkischeren Mitgliedern der Zentralbank deuteten jedoch auf eine Anhebung um 50 Basispunkte hin.
Sie verwiesen auf den anhaltend hohen Inflationsdruck, bedingt durch die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt und einer robusten Nachfrage. Auch das Ergebnis der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst in Deutschland stützt die Argumentation der Falken: Die Regierung und die Gewerkschaften haben sich auf eine durchschnittliche Lohnerhöhung von etwa 6 % für dieses und das nächste Jahr geeinigt.
Wir denken, dass die Entscheidung der EZB zwischen einer Zinserhöhung um 25 oder 50 Basispunkte erst mit der Veröffentlichung der Inflationsdaten für April, zwei Tage vor der Sitzung, endgültig feststeht. Im Moment gehen wir von einer Anhebung um 25 Basispunkte aus. Eine weiterhin starke Kerninflation könnte jedoch zu einer höheren Anhebung führen.
Wir rechnen dann mit mindestens einer weiteren Zinserhöhung auf der Juni-Sitzung, bevor die EZB eine Pause einlegt und im Jahr 2024 eventuell einen Zinssenkungszyklus einleitet.» (abrdn/mc)