Zürich – Der US-amerikanische Fahrdienstvermittler Uber ist so hoch bewertet wie kein anderes Start-up je zuvor. Man erwartet, dass die Firma bei der nächsten Finanzierungsrunde mit bis zu 40 Mrd. Dollar bewertet werden dürfte. Damit könnte man Nintendo (16,7 Mrd.), Lindt & Sprüngli (12,7 Mrd.) und Martel (10,3 Mrd.) zusammenkaufen. Dies hat denn auch Marktbeobachter auf den Plan gerufen, die vor der nächsten Dotcom-Krise warnen. Ist dies berechtigt?
Kommentar von Adriano B. Lucatelli, Sagebush Management
Die Ähnlichkeiten zu vergangenen Hypes sind unverkennbar. Sowohl beim Eisenbahn-Boom in den USA im 19. Jahrhundert (als die transkontinentale Erschliessung günstigere Transportkosten versprach) wie auch beim Computer-Boom im Silicon Valley im 20. Jahrhundert (als das Internet schnellere Kommunikationswege ermöglichte) waren die Investoren bereit, hohe Risiken einzugehen. Die Aussichten waren so enorm, dass die Anleger – bei vollem Bewusstsein, dass sie einen Totalverlust erleiden können – bereit waren, gewaltige Summen in diese Innovationen zu investieren.
Goldgräberstimmung beim Thema «Social Media»
Und nach beiden Boomphasen kam es schliesslich zum jähen Erwachen. Beim Eisenbahn-Boom verloren die Geldgeber nach enttäuschenden Resultaten die Geduld und stoppten jegliche weiteren Investitionen, was u.a. zu den Börsencrashes von 1857 und 1873 führte. Auch der Dotcom-Boom endete mit herben Verlusten. Der Nasdaq-Composite-Index für wachstumsträchtige Firmen verlor nämlich vom Hoch bis zum Tief knapp 80% an Wert. Die ausbleibenden Investitionen trieben eine Reihe von Unternehmen in die Insolvenz. Oder erinnern sie sich noch an Geocities, Go.com, Pets.com, Think Tools, Tiscali oder Webvan? Auch Firmen, wie Amazon, eBay, Google oder Priceline.com, mit – aus heutiger Sicht – überzeugenden Geschäftsmodellen konnten sich der Börsenkorrektur während Jahren nicht entziehen.
Auch in Sachen Social Media herrscht gegenwärtig eine Goldgräberstimmung, die vergleichbar ist mit früheren Hypes der Börsengeschichte. Namen wie Facebook, LinkedIn, Twitter oder Blogs bestimmen die Gespräche an den Börsen. Ebenso profitieren Uber und der Online-Händler Alibaba aus China von der positiven Stimmung. Hat Warren Buffett also recht, wenn er die Bewertungen der Social-Media-Unternehmen als «mathematischen Wahnsinn» bezeichnet?
Realoptionsanalyse hilft bei der Risikoeinschätzung
Wie kann man diese hohen Preise erklären? Ist eine Blase am Entstehen? Nicht zwingend. Bei neu entstehenden Industrien mit hohen Wachstumschancen hilft die Realoptionsanalyse bei der Risikoeinschätzung. Indem sie die Volatilität berücksichtigt, führt sie im Gegensatz zu Standardbewertungsmethoden wie dem Discounted-Cashflow-Verfahren zu einer realistischeren Firmenbewertung. Wie bei Optionen wirkt sich die höhere Volatilität auf den Marktpreis aus.
Vor diesem Hintergrund sind die hohen Marktkapitalisierungen erklärbar. Offenbar werden aber diese Wachstumsaktien bei einer Neubeurteilung der Investoren oder bei einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums stark korrigieren. Ebenso wie bei früheren Booms werden wiederum viele Firmen untergehen, und nur ganz wenige werden überleben. Es ist anzunehmen, dass Facebook zu den Gewinnern gehören wird. Bei Twitter, LinkedIn und Uber ist die Jury noch am Beraten. Viele der weniger bekannten Unternehmen werden aber unbemerkt von der Bildfläche verschwinden.
Dr. Adriano B. Lucatelli
Verwaltungsrat sagebush management AG und Dozent an der Universität Zürich.