AKW Fukushima: Zwei Jahre nach der Katastrophe

AKW Fukushima: Zwei Jahre nach der Katastrophe

Zerstörte Reaktorblöcke 1 bis 4 des AKW Fukushima am 19.03.2011.

Wien – Der Zustand in den Reaktoren zeigt sich inzwischen wie folgt: In Block 1 schmolzen alle Brennelemente des Reaktorkerns. Der Brennstoff drang durch den Reaktordruckbehälter und in den darunterliegenden Beton (bis zu 65 Zentimeter). In den Blöcken 2 und 3 wurde der Grossteil der Brennelemente zerstört und schmolz sich zum Teil durch den Reaktordruckbehälter. Auch heute, zwei Jahre nach dem Unfall, müssen die zerstörten Reaktorkerne noch gekühlt werden. Die Reaktorkerne sind zwar inzwischen auf 30 bis 50 °C abgekühlt, jedoch befinden sich die Anlagen nicht in einem sicherheitstechnisch kontrollierten Zustand.

Der Zustand der insgesamt 4.441 Brennelemente, die sich in den Lagerbecken der Blöcke 1 bis 4  befinden, ist nicht im Detail bekannt. Wegen der hohen Zahl von Brennelementen (1.555) ist die Situation im Block 4 am Schwierigsten. Mit Stahlstützen und zusätzlichen Betonmauern wurde er inzwischen stabilisiert, Trümmerreste wurden geborgen. Um die Strahlenbelastung am Standort zu reduzieren und eine weitere Ausbreitung der radioaktiven Stoffe zu verhindern, wurde eine Stahlgerüstkonstruktion, an der eine Membran aus Polyesterfasern montiert ist, um das Reaktorgebäude von Block 1 errichtet („Einhausung“). Am 8. Januar 2013 wurde mit dem Bau der Einhausung von Block 4 begonnen, die Einhausung von Block 3 soll später erfolgen.

Rückbau der Reaktoren frühestens 2042 abgeschlossen
Nach bisheriger Planung wird Ende 2013 damit begonnen, die Brennelemente aus den Lagerbecken zu entnehmen; dafür ist ein Zeitraum von 10 Jahren anvisiert. Anschliessend sollen die Brennstoffreste aus den Reaktoren geborgen werden, Dauer etwa 10 bis 15 Jahre. Der Rückbau der Reaktoren soll zwischen 2042 und 2052 abgeschlossen sein. Als Konsequenz des Unfalls will nun die Atomaufsicht in Japan die Sicherheitsanforderungen deutlich erhöhen. Derzeit sind nur noch zwei der 50 japanischen Atomkraftwerke am Netz. Nach der Katastrophe in Japan wurden die Atomkraftwerke in Europa hinsichtlich ihrer Sicherheit im Falle extremer Erdbeben und Überflutungen bewertet. Offizielles Ergebnis dieser „Stresstests“ ist, dass die AKWs hohe Sicherheitsstandards aufweisen, jedoch lesen sich die Berichte wie Schwachstellenanalysen. Die Kosten für die erforderlichen Nachrüstungen werden auf rund 25 Milliarden Euro geschätzt.

Seit dem Unfall in Tschernobyl 1986 wurden weltweit erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Sicherheit von Atomkraftwerken zu verbessern. Dennoch kam es 2011 im japanischen AKW Fukushima Daiichi erneut zu einem schweren Unfall. Es wäre naiv, anzunehmen, dass die im Nachgang zu Fukushima geplanten Nachrüstungen einen weiteren schweren Unfall komplett verhindern können. Deutschland zog daher eine direkte Konsequenz aus der Katastrophe und schaltete acht Atomkraftwerke endgültig ab.

Chronologie der Katastrophe
Am 11. März 2011 verursachte das bisher stärkste Erdbeben Japans (Magnitude 9) einen Ausfall der externen Stromversorgung im AKW Fukushima-Daiichi. Die Blöcke 1 bis 3 wurden sofort abgeschaltet, die Blöcke 4 bis 6 waren schon vorher zum Brennelementwechsel heruntergefahren worden. Notstromdieselaggregate übernahmen die Stromversorgung der Kühlwasserpumpen und wichtiger Systeme. Welche Schäden durch das Erdbeben im Atomkraftwerk entstanden, ist unklar, denn knapp eine Stunde später überfluteten zwei Tsunami-Wellen das AKW-Gelände und lösten einen katastrophalen Unfall aus. Denn auch die Notstromversorgung fiel aus, als die Dieselgeneratoren durch die Überschwemmung funktionsunfähig wurden. Nur ein auf einem höheren Geländeniveau installierter Dieselgenerator zur Versorgung der Blöcke 5 und 6 blieb in Betrieb.

Auch nach Abschaltung eines Reaktors wird durch radioaktiven Zerfall im Brennstoff weiter Wärme erzeugt, daher muss der Reaktorkern weiter gekühlt werden. Durch den Stromausfall fielen nahezu alle Systeme aus. Es stand nur noch jeweils ein Notkühlsystem in den Blöcken 1 bis 3 für unterschiedliche Zeiträume zur Verfügung. (Die Brennelemente von Block 4 befanden sich nicht im Reaktorkern, sondern im Lagerbecken.) Nach Ausfall der Notkühlsysteme dauerte es mehrere Stunden, bis über dieselgetriebene Feuerlöschpumpen wieder Wasser in die Reaktoren eingespeist werden konnte. Die Kernschmelzen hatten zu dem Zeitpunkt aber schon begonnen, im Block 1 bereits wenige Stunden nach dem Erdbeben, im Block 2 am 14. März 2011 und im Block 3 am 13. März 2011.

Der Unfall dauert an
In den Blöcken 1, 3 und 4 zerstörten am 12. März 2011, 14. März 2011 beziehungsweise 15. März 2011 Wasserstoffexplosionen den oberen Bereich des Reaktorgebäudes. Dort befinden sich die Brennelement-Lagerbecken, deren Kühlung durch Ausfall der Notstromversorgung ebenfalls ausfiel. Über Autobetonpumpen wurde eine provisorische Kühlung der gelagerten Brennelemente hergestellt.

In den Reaktordruckbehältern der Blöcke 1 bis 3 stieg durch das Verdampfen des Wassers der Druck, sodass der radioaktive Wasserdampf über die Ventile in den Sicherheitsbehälter abgeblasen wurde. Der Sicherheitsbehälter stellt die letzte Barriere gegen das Austreten der radioaktiven Stoffe dar. Um sein grossflächiges Versagen zu verhindern, wurde das radioaktive Gasge­misch ungefiltert in die Atmosphäre abgegeben (Venting). In Block 2 misslang dieser Vorgang, der radioaktive Dampf entwich jedoch über Undichtigkeiten.

Eine grosse Menge an radioaktiven Stoffen gelangte durch den Unfall in die Atmosphäre. Mehr als ein Jahr nach dem Unfall korrigierte TEPCO die nach dem Unfall angegebene Freisetzungsmenge von Jod-131 (5×1017 Becquerel (Bq) um den Faktor 3 nach oben. Bereits im Oktober 2011 hatte ein internationales Forscherteam ermittelt, dass die Freisetzungen früher begonnen hatten, länger andauerten und grösser waren, als zuerst angenommen. Laut ihrer Studie gelangten etwa 40 % der beim Unfall in Tschernobyl freigesetzten Menge an Cäsium-137 (etwa 3,6×1016 Bq) in die Atmosphäre.

Unvorhersehbares Naturereignis?
Während Erdbeben und Tsunami unbestritten die Auslöser des Unfalls waren, wurde nach und nach immer deutlicher, dass sie nicht die alleinige Ursache waren. So zeigten die rund 40 Jahre alten Reaktorblöcke Auslegungsschwächen, die nicht durch Nachrüstungen behoben wurden und die wesentlich zum Unfallablauf beitrugen. Ausserdem führten Studien mit Hinweisen auf eine mögliche Erdbeben- oder Tsunamigefährdung zu keinerlei Konsequenzen. Der Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi sei vorhersehbar gewesen und hätte verhindert werden können, so lautete am 5. Juli 2012 das Fazit der von der japanischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission (NAIIC). Unfallursache sei nicht, wie vorher immer betont, das unkalkulierbare Restrisiko. Die Kommission kritisierte die mangelnde Sicherheitskultur von TEPCO und betonte weiterhin, der Reaktorunfall sei das Ergebnis der Absprachen zwischen der Regierung, den Aufsichtsbehörden und der TEPCO gewesen.

Anderthalb Jahre nach dem Unfall (am 12. Oktober 2012) räumte auch TEPCO erstmals ein, dass der Reaktorunfall hätte vermieden werden können. Schutzmassnahmen wurden aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchgeführt; Naturgefahren seien vorsätzlich verharmlost worden, um eine Stilllegung des AKWs und eine Stärkung der Anti-Atombewegung zu verhindern. (Wiener Umweltanwaltschaft/Europaticker/mc/ps)

Mehr Informationen:
Detailbeschreibung des Unfalls im KKW Fukushima,Oda Becker, 28. Februar 2012 (77-KB-PDF)

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