Al Jazeera bald in privaten Händen?
Al Jazeera English: Aufnahmestudio in Doha.
Von Gérard Al-Fil
«Sorry, we do not have any job vacancy at the moment,» heisst es auf der Homepage von Al Jazeera English, dem englischsprachigen Ableger des bekannten Nachrichtensenders aus Doha. Keine Stellenofferten? Das ist erstaunlich für einen News Channel, der gerade in der Zeit der Arabischen Intifada in den Blickpunkt rückt. Die Revolutionen von Tunis, Kairo und Aden und der Quasibürgerkrieg in Syrien treiben die Einschaltquoten hoch. Die Jobflaute ist umso verwunderlicher, als dass die Wirtschaft des Erdgasgiganten Katar im 2011 um 20 Prozent (!) wachsen wird, wie der IWF erwartet.
Neuausrichtung steht ins Haus
Geldmangel dürfte also kaum der Anlass für den Personalstopp bei Al Jazeera (sprich: Al-Dschasierah) sein. Fünfzehn Jahre nach seiner Gründung steht der Sender aus Doha, den George W. Bush am liebsten bombardiert hätte, vor einer Zäsur. Der Staat Katar will sich aus der TV-Anstalt zurückziehen, wie die lokale Zeitung The Peninsula berichtet. Al Jazeera soll zuerst an private Anteilseigner übergehen und danach kräftig expandieren. In solchen Phasen des Umbruchs heuert kein Unternehmen gerne Leute an. Der Grund: das Geschäftsmodell ist veraltet und zu stark auf den Bildschirm im Wohnzimmer ausgerichtet. Neue Medienmodelle mit Social Networks und «mobilen News» auf Smartphones müssen her.
Der Hauptsitz von Al Jazeera nahe Katars Hauptstadt Doha. Angeblich, so liessen damals britische Labour-Abgeordnete durchsickern, erwog im April 2004 der ehemalige US-Präsident George W. Bush die Fernsehstudios zu bombardieren, nachdem Al Jazeera ein Massaker amerikanischer Truppen an 1,000 Zivilisten im irakischen Faludscha aufdeckte.
Krtisch, geschätzt und umstritten
Als die Regierung von Katar den Muttersender Al Jazeera, das arabische Pendant zu CNN und BBC World, am 1. November 1996 aus der Taufe hob, lieferte sie quasi die Vorlage für den Arabischen Frühling. Dessen Folgen sind für die Region und für die Welt noch nicht absehbar. Plötzlich kamen im TV Bürger wie du und ich zu Wort, hielten die Kameras auf gesellschaftliche Missstände von Rabat bis Bagdad drauf, wurden selbst im Orient chronisch tabuisierte Themen wie Familienfehden oder Sexualität live diskutiert. Werte wie Meinunsgfreiheit, Meinungsvielfalt und Bürgernähe schrieb Al Jazeera von Beginn an auf seine Fahnen. Es sind eben diese Werte, die heute eine frustrierte Jugend im Mittleren Osten und Nordafrika einfordert. Lautstarke Polit-Talkshows bei Al Jazeera wie «The Opposite Direction» mit dem syrischen Moderator Faysal Al-Qassem haben längst Kultstatus erlangt.
Kritiker werfen dem hochgepriesenen Sender vor, Katars innere Probleme (wie z. B. illegale Einwanderung aus Indien oder Pfusch an Baustellen in Doha) diskret zu ignorieren – plausibel für Journalisten, die von der katarischen Herrscherfamilie Althani bezahlt werden. Die Golfstaaten Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate blieben (bislang) von Demonstrationen und zivilem Ungehorsam verschont.
Al-Jazeera ist beliebt, besonders bei jungen Arabern. Während westliche Medien die Greueltaten einer israelischen Soldateska im Gaza-Streifen eher ausblenden, ist Al Jazeera bei israelischen Bombardements auf palästinensiche Zivilisten an erster Stelle dabei. Arabische Politiker mögen den Kanal aus Doha nicht sonderlich, passt kritischer Journalismus doch so gar nicht in das orientalische «Master-and-Servant»-Schema, bei dem der Herrscher seinen Untertanen den rechten Weg weist, die Letzteren aber bitteschön nicht aufmucken. Konsequenterweise ist Al Jazeera aus Algerien, Libyen, Irak, Syrien, Kuwait und Saudiarabien verbannt.
Eine Kamerafrau in Doha. Al Jazeera hat die Rolle der Frau in der arabischen Welt stets in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung gestellt.
Konkurrenz wird immer stärker
Fakt ist auch, dass Al Jazeera’s Mitstreiter ihre Gründerphase verlassen und längst ein eigenes Profil erlangt haben. Allen voran Al Arabiya, der mit saudischen Petrodollarn finanzierte Sender aus Dubai rückt seiner Nemesis aus Doha immer mehr auf den Quotenleib. Und im Segment für Wirtschafts- und Börsennachrichten hat im Mittleren Osten CNBC Arabia in der Zuschauergunst die Nase vorn. Aus dem Iran bildet Press TV ein Gegengewicht zu westlichen News über die Islamische Republik. Press TV hat ein weltweites Korrespondentennetz aufgebaut und beschäftigt Lauren Booth, eine Schwägerin von Grossbritanniens Ex-Premierminister Tony Blair. Die USA und Grossbritannien versuchen umgekehrt mit den von ihren Regierungen finanzierten Sendern Al Hurra TV (dt. die Freiheit) bzw. BBC Arabic die Herzen der 300 Millionen arabischen Zuschauer zu gewinnen, allerdings mit mässigem Erfolg.
Wohl deshalb soll Al Jazeera in einen schlagkräftigen, privat finanzierten News Channel umgewandelt werden. Die Pioniere des quasi-freien arabischen Journalismus sollen sich dem härter werdenden Wettbewerb stellen. Dies funktioniert nur – wie der Siegeszug der privaten Sender in Europa zeigt – wenn in den Studios von Doha nicht mehr der Mief eines staatlichen Senders vernehmbar ist.