Dübendorf – Bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer reichern sich falsch gefaltete Eiweisse im Gehirn an. Empa-Forscher haben nun eine besonders aktive Spezies von Eiweissfasern in bisher ungekannter Präzision nachgewiesen. Sie konnten den Entstehungsprozess von potenziell toxischen Molekülen an der Oberfläche der Fasern über Stunden unter dem Mikroskop verfolgen. Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden kürzlich im Fachmagazin Science Advances.
Die Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist noch immer eine der grossen Herausforderungen der modernen Medizin. Im Verlauf der neurodegenerativen Erkrankungen häufen sich Eiweisse wie das Amyloid β-Protein im Gehirn an. Sie werden verdächtigt, mit der Krankheitsentstehung zusammenzuhängen, weswegen sie als vielversprechendes Ziel für neue Therapieansätze gelten.
Bekannt ist bereits, dass die falsch gefalteten Proteine sich zu faserartigen Strukturen verklumpen. Wie diese Fibrillen entstehen, ist allerdings noch nicht gänzlich geklärt. Jetzt konnte ein Team um Empa-Forscher Peter Nirmalraj vom «Transport at Nanoscale Interfaces»-Labor in Dübendorf gemeinsam mit Wissenschaftlern der irischen «University of Limerick» mit einer besonders leistungsfähigen Bildgebungstechnik zeigen, wie der Vorgang abläuft. Das Besondere daran: Einige der Nanometer-dünnen Fibrillen sorgen offenbar für die Verbreitung der Krankheit im Gehirngewebe und werden daher als «Superspreader» bezeichnet. Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden kürzlich im Fachmagazin «Science Advances».
Toxische Subspezies
Die besondere Subspezies der Eiweissfibrillen fiel den Forschenden wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften auf: Die Kanten und die Oberfläche der sogenannten Superspreader-Fibrillen zeigen eine besonders hohe katalytische Aktivität. An diesen hochaktiven Stellen lagern sich neue Eiweissbausteine an. In der Folge bilden sich von diesen Keimstellen aus neue, langkettige Fibrillen. Die Forschenden gehen davon aus, dass sich diese Fibrillen der zweiten Generation schliesslich ausbreiten und neue Aggregate im Gehirn bilden.
Zwar ist die chemische Zusammensetzung des falsch gefalteten Amyloid β-Proteins bekannt. Der Mechanismus, wie sich Eiweissbausteine zu Fibrillen der zweiten Generation zusammenfinden, sowie ihre Form und Struktur waren bisher indes unklar. «Mit herkömmlichen Methoden, die beispielsweise auf Färbetechniken beruhen, werden die Form und weitere Eigenschaften von Proteinen möglicherweise verändert, so dass sie sich nicht in ihrer natürlichen Form analysieren lassen», sagt Nirmalraj.
Ungekannte Präzision
Die Technik, die von den Forschenden in der neuen Studie eingesetzt wurde, unterscheidet sich in diesem Punkt von herkömmlichen Methoden: Die Proteine werden dabei unverändert in einer Salzlösung bei Raumtemperatur analysiert, was den physiologischen Bedingungen im menschlichen Körper sehr viel näherkommt. Mit dem hochauflösenden Rasterkraftmikroskop können die weniger als zehn Nanometer dünnen Fibrillen in bisher ungekannter Präzision abgelichtet werden. Die Forschenden konnten den Prozess der Fibrillenbildung in Echtzeit verfolgen, und zwar von den ersten Augenblicken bis über die folgenden 250 Stunden. Im Anschluss wurden die Analysen mit molekularen Modellrechnungen abgeglichen und ergänzt. So konnten die Fibrillen aufgrund ihrer Oberflächenstrukturen in Subpopulationen wie beispielsweise «Superspreader» klassifiziert werden. «Damit sind wir einen weiteren Schritt näher daran, zu verstehen, wie sich diese Eiweisse bei Demenzerkrankungen im Gehirn verbreiten», so Empa-Forscher Nirmalraj. Er hofft, dass sich hieraus schliesslich neue Verfahren ableiten lassen, mit denen Demenzerkrankungen besser erkannt und überwacht werden können.
Die Studie wurde von der «Demenzforschung Schweiz – Stiftung Synapsis» finanziert. (Empa/mc/pg)