von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Wyss, Implenia hat 2020 wegen Wertberichtigungen und Restrukturierungskosten wie erwartet einen massiven Verlust von 132 Mio Franken eingefahren. Mit was für Gefühlen blicken Sie auf 2020 mit der Entledigung der Altlasten und der weitgehenden Konzentration auf das Kerngeschäft in der Schweiz und Deutschland zurück?
André Wyss: 2020 war ein Jahr der Herausforderungen und Transformation für Implenia. COVID-19 beeinträchtigte auch unser Geschäft, aber gerade in dieser Zeit haben sich unser Operating Model und die Organisation als sehr effektiv erwiesen. Bei der Überprüfung der Strategieumsetzung in den Divisionen führten wir zudem umfassende Risikobeurteilungen durch, einschliesslich einer Neubewertung aller Projekte bezüglich Forderungen und Rechtsstreitigkeiten. Dabei stellte sich heraus, dass unvermeidliche Wertberichtigungen von rund CHF 200 Mio. notwendig wurden. Infolgedessen intensivierten und beschleunigten wir die Umsetzung unserer Strategie in den Bereichen «Portfolio» und «Profitable Growth». Fortan konzentrieren wir uns mit einem breiten integrierten Angebot auf die Kernmärkte Schweiz und Deutschland. Tunnelbau und damit verbundene Infrastrukturprojekte bieten wir in weiteren Märkten an.
Im Geschäftsjahr 2020 haben wir also unser Risikoprofil verbessert. Mit Blick auf die Zukunft fokussieren wir weiterhin auf Profitabilität und stellen unsere Kunden in den Mittelpunkt – vor allem dann, wenn wir nachhaltige, innovative Lösungen und neue Geschäfte selber entwickeln. So können wir mit und für Menschen gestalten und bauen, wie wir künftig leben, arbeiten und mobil sind.
In welchen Divisionen fielen die Wertberechtigungen grösstenteils an?
Sie waren mehrheitlich in der Division Civil Engineering notwendig, insbesondere in der Sub-unit Civil und dort vor allem in Schweden. Diese Wertberichtigungen bezogen sich auf Projekte, die vor 2019 begonnen wurden.
Das operative Ergebnis war letztlich mit einem Minus von 4,9 Mio Franken deutlich besser als zunächst befürchtet. Welches sind die Gründe für das bessere Ergebnis?
Das Resultat übertraf die im Herbst 2020 angekündigten Erwartungen, weil unter anderem die angestrebte Organisationsstruktur, mit jährlichen Einsparungen von über CHF 50 Mio. bis 2023, zu geringeren Restrukturierungskosten umgesetzt werden kann als erwartet. Weitere positive Einmaleffekte haben ebenfalls dazu beigetragen, so zum Beispiel tiefere Aufwände als erwartet für Mitarbeitervorsorge gemäss IAS19. Hinzu kam eine Reihe positiver Entwicklungen von Projekten, Forderungen und Rechtsstreitigkeiten.
«Im Geschäftsjahr 2020 haben wir unser Risikoprofil verbessert. Mit Blick auf die Zukunft fokussieren wir weiterhin auf Profitabilität und stellen unsere Kunden in den Mittelpunkt – vor allem dann, wenn wir nachhaltige, innovative Lösungen und neue Geschäfte selber entwickeln.»
André Wyss, CEO Implenia
Wie gross war der Einfluss der Covid-19-Pandemie auf das Implenia-Geschäft letztlich in Zahlen?
COVID-19 hat das Ergebnis von Implenia im Geschäftsjahr 2020 mit rund CHF 52 Mio. belastet. Es kam zu Projektverzögerungen aufgrund der Pandemie und einige Baustellen insbesondere in Frankreich, Österreich sowie in einigen Schweizer Kantonen mussten geschlossen werden. Dazu kamen unterbrochene Lieferketten und Kosten sowie Produktivitätseinbussen aufgrund der auf den Baustellen umgesetzten Schutzmassnahmen. Dank schneller und effektiver Umsetzung dieser Massnahmen konnten wir die vertraglich vereinbarten Termine in den meisten Fällen trotz Pandemie einhalten – abhängig jeweils von den regional unterschiedlich ausgeprägten Vorgaben der Behörden.
An welchem Punkt steht der Implenia-Umbau resp. die Implementierung der neuen Strategie?
Wir haben die Umsetzung der Strategie intensiviert und beschleunigt. Im Rahmen der strategischen Priorität «Portfolio» hat der Verkauf oder der Abbau von Aktivitäten begonnen, die nicht zum Kerngeschäft gehören oder unprofitabel sind. Ebenso haben wir die Auslagerung von kapitalintensiven Aktivitäten und Anlagen wie Werkhöfen und Baugeräten unverzüglich gestartet. Insbesondere in der Division Civil Engineering reduzieren wir eigene Umsetzungskapazitäten in allen Märkten. In Norwegen und Schweden wurde der Abbau der Aktivitäten im Teilbereich Civil vorbereitet und ist derzeit im Gang. In Österreich und Rumänien wird der Abbau dieses Teilbereichs ebenfalls vorangetrieben und nach Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen vollzogen. Gleichzeitig optimieren wir bei den Supportfunktionen und passen sie entsprechend an.
Ebenso werden parallel innovative und skalierbare Geschäftsmodelle entwickelt. Dies als Teil unserer Innovationsstrategie, die intern und extern sowie über Partnerschaften Innovation nicht nur fördert, sondern effiziente Lösungen für die Bauindustrie und Real Estate von morgen aufnimmt und vorantreibt.
Bezüglich der strategischen Priorität «Profitable Growth» haben wir ein wirksames Management von Chancen und Risiken eingeführt, inklusive unserem Value Assurance-Ansatz. Bei allen weiteren Initiativen – zum Beispiel Procurement, Digitalisierung durch BIM und bei Lean Construction – haben wir gute Fortschritte erzielt. Das neue ERP-System INSPIRE mit harmonisierten Prozessen wurde in der Schweiz termin- und budgetgerecht eingeführt, in den weiteren Ländern ist der Rollout in Vorbereitung.
Im Rahmen der Restrukturierung werden bis 2023 rund 2000 Vollzeitstellen abgebaut. Wo steht der Konzern hier?
Mit der Umsetzung der erwähnten Massnahmen wie Verkauf oder Abbau von nicht strategischen Aktivitäten, Reduktion von Umsetzungskapazitäten sowie Optimierung der Supportfunktionen verläuft auch der damit verbundene Stellenabbau nach Plan.
Die Eigenkapitalquote sank im Berichtsjahr vorübergehend auf 10,3%. Mittelfristig streben Sie eine Quote von über 20% an. Worauf basiert diese Erwartung?
Unser Ziel einer mittelfristigen Eigenkapitalquote von über 20% beruht auf dem starken operativen Geschäft, steigenden Dienstleistungserträgen von Ina Invest sowie erwarteten Dividenden aus der Beteiligung von 42,5% an Ina Invest AG. Zur Verbesserung der Eigenkapitalquote tragen auch die Auslagerung ausgewählter Aktivitäten bei, die nicht zum Kerngeschäft gehören oder kapitalintensiv sind. Wenn wir zusätzlich auch das Aufwertungspotenzial des bei Implenia verbliebenen Entwicklungsportfolios einbeziehen, würde das bereits heute zu einer Eigenkapitalquote von deutlich über 15% führen.
Der Auftragsbestand liegt bei knapp 6,4 Mrd Franken und damit über dem Vorjahreswert. Wie breit ist der Auftragsbestand über die verschiedenen Divisionen abgestützt?
Der hohe Auftragsbestand ist gut diversifiziert über Geschäftsfelder und Märkte hinweg. Dank des profitabilitätsorientierten Value-Assurance-Ansatzes, stieg die Qualität der Aufträge weiter an. Diese Entwicklung zeigt sich in allen vier Divisionen – sie haben neue Flagship-Projekte gewonnen oder entwickelt. Real Estate entwickelt nachhaltige Projekte wie Green Village in Genf oder weitere Lokstadt-Projekte wie Big Boy und Elefant in Winterthur. Buildings gewann auf Grundlage solider Kundenbeziehungen und vorvertraglich erbrachter Entwicklungs- und Planungsleistungen mehrere komplexe Aufträge wie UBS Paradeplatz in Zürich, Kantonsspital Aarau und die Überbauung Alto Pont-Rouge in Genf.
Civil Engineering hat dank seiner bewährten Expertise für komplexe Infrastrukturprojekte den A7-Tunnel in Hamburg-Altona, den nördlichen Sicherheitstunnel des Gotthard sowie die Modernisierung der Waldenburgerbahn in Basel-Land gewonnen. Specialties liefert eine Fassadentechnik-Lösung für die Modernisierung der Alsterschwimmhalle in Hamburg, Baulogistik (BCL) für die Arnulfpost in München sowie Vorspannsysteme (BBV Systems) für die Hochstrasse Elbmarsch in Hamburg.
«Quantitative Erstanalysen zeigen, dass sich seit der Einführung des Value-Assurance-Ansatzes das durchschnittliche Risikoprofil der angebotenen Projekte verbessert hat.»
Sie sagen, die Qualität der Aufträge sei weiter angestiegen. Wie managen Sie Chancen und Risiken heute bei Implenia?
Das wichtigste Instrument dafür ist unser Value Assurance-Ansatz. Er wird gruppenweit für Projekte aller Risikoklassen angewendet. Jedes Projekt durchläuft einen standardisierten Prozess zur konsequenten Bewertung von Chancen und Risiken über die gesamte Projektlaufzeit hinweg, einschliesslich Meilensteinen für Projektauswahl, Freigabe von Angeboten und Projektkontrollen. Quantitative Erstanalysen zeigen, dass sich seit der Einführung des Value-Assurance-Ansatzes das durchschnittliche Risikoprofil der angebotenen Projekte verbessert hat.
Wie wichtig ist Ihnen der Ansatz, sich zu einem früheren Zeitpunkt als bis anhin in Projekte einzubringen?
Der integrierte Ansatz von Implenia, uns frühzeitig, bereits in der bauvorbereitenden Phase einzubringen und eng mit den Kunden zusammenzuarbeiten, reduziert die Risiken und verbessert die Profitabilität eines Projekts – vor allem auch für die Kunden. Aus diesem Grund bauen wir auch unsere Planungs-, Beratungs- und Projektmanagement-Kompetenzen weiter aus und etablieren neue, partnerschaftlich konzipierte Vertragsmodelle. Mit diesem Ansatz konnten wir in den letzten Monaten bereits mehrere grosse und strategische Projekte in der Schweiz und in Deutschland gewinnen.
Wie sieht Ihre Marktprognose für das laufende Jahr aus?
Die Marktprognose bleibt positiv, trotz der COVID-19-Pandemie. Die Gesamtbauleistung in den EU-15-Staaten sollte sich stabilisieren mit jährlichen Wachstumsraten für 2021-2023 von 2,7% für Gebäude respektive 3,3% im Tiefbau (Euroconstruct, November 2020). Die Marktprognose für grosse Infrastrukturprojekte ist vielversprechend, aufgrund der erwarteten Konjunkturpakete für die Wirtschaft und des bestehenden Investitionsstaus im Infrastruktursektor.
«Unser aktueller Auftragsbestand sichert bereits mehr als 80% des prognostizierten Umsatzes für 2021.»
Und wie wird Implenia – die Risiken der Pandemie ausgeklammert – Ende dieses Jahr dastehen?
Nach der Bereinigung der Altlasten im Jahr 2020, sind wir gut aufgestellt, um unser Ziel für 2021, ein EBIT von über CHF 100 Mio. zu erreichen. Unser hoher, qualitativ guter und breit abgestützter Auftragsbestand ist eine gute Basis dafür sowie auch unsere ausgewiesene Kompetenz für grosse und komplexe Projekte. Unser aktueller Auftragsbestand sichert bereits mehr als 80% des prognostizierten Umsatzes für 2021.
Letzte Frage: Welche Lehren ziehen Sie sich nach über einem Jahr aus der Pandemie? Einerseits für Ihr Unternehmen, andererseits für Sie persönlich?
Die COVID-19-Pandemie hat für uns alle neue, bisher unbekannte Herausforderungen mit sich gebracht. Für Implenia hat sich gerade während dieser Zeit bestätigt, dass das neue Operating Model und die neue Organisationsstruktur greifen und effizient sind. Unsere Mitarbeitenden haben die Schutzmassnahmen, professionell, agil und engagiert umgesetzt. Dadurch konnte der Schaden für unsere Kunden und auch für Implenia begrenzt werden. Die Pandemie hat die Digitalisierung in unserem Unternehmen beschleunigt und es haben sich sehr rasch neue Kommunikations- und Kooperationsformen etabliert. Diese Agilität und Anpassungsfähigkeit müssen wir auch in Zukunft weiterleben – sei es im professionellen oder privaten Umfeld.
Herr Wyss, besten Dank für das Interview.