Zürich – Kleine Fliessgewässer sind mit einer Vielzahl von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden belastet. Eine von der EAWAG, des Wasserforschungsinstituts des ETH-Bereichs, im Auftrag des Bundesamts für Umwelt erstellte Studie zu fünf Schweizer Bächen zeigt: In keinem Fall wurden die gesetzlichen Anforderungen an die Wasserqualität eingehalten. Selbst Stoffkonzentrationen, die für Gewässerorganismen als akut toxisch gelten, wurden überschritten. Biologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Lebensgemeinschaften unter den Stoffgemischen leiden. Massnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität werden zurzeit im nationalen «Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln» erarbeitet.
45‘000 Kilometer, drei Viertel des Schweizer Gewässernetzes, gelten als kleine Bäche und Bächlein. Bisher gibt es jedoch keine Messstellen, welche dort die Wasserqualität über längere Zeiträume überwachen. Die Aussagekraft von Stichproben ist begrenzt. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) haben daher die Eawag und das Oekotoxzentrum zusammen mit fünf Kantonen (TG, BL, BE, VS, TI) und dem Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) fünf Fliessgewässer genauer unter die Lupe genommen. Ihre Einzugsgebiete sind typisch für eine starke landwirtschaftliche Nutzung. Von März bis August 2015 wurden gegen 1800 Wasserproben gesammelt. Heute haben die Beteiligten die Auswertungen nun in zwei Fachartikeln in der Zeitschrift Aqua&Gas veröffentlicht.
Sammelsurium an Wirkstoffen und hohe Konzentrationen
Der Verdacht, dass die kleinen Gewässer stark mit Pflanzenschutzmitteln (PSM) belastet sind, hat sich erhärtet. Die Zahl der Stoffe ist sehr hoch: 128 verschiedene Wirkstoffe aus Acker-, Gemüse-, Obst- und Rebbau haben die Forschenden in den Proben nachgewiesen, 61 Herbizide, 45 Fungizide und 22 Insektizide (siehe Grafik). In 80% der Proben wurde die Anforderung der Gewässerschutzverordnung (≤0.1 µg/L) von mindestens einem Stoff nicht eingehalten – in allen fünf untersuchten Bächen während über 60 Tagen, im Weierbach (BL) und im Eschelisbach (TG) praktisch während der gesamten sechsmonatigen Studiendauer. Von einzelnen Substanzen wurden Konzentrationen bis 40 µg/L festgestellt. Kurzzeitige Spitzen dürften noch höher liegen, denn alle Proben wurden mindestens über einen halben Tag gemittelt.
Chronisch und akut toxische Mischungen
Weil der Wert von maximal 0.1 µg/L pro Einzelstoff in der Gewässerschutzverordnung über das wahre Risiko für Organismen zu wenig aussagt, haben die Forschenden die Analysedaten auch mit ökotoxikologischen Qualitätskriterien verglichen. Zusätzlich wurden Biotests mit Algen und Bachflohkrebsen durchgeführt und die Vielfalt an wirbellosen Tieren untersucht. Denn im Schnitt wurden in jeder Probe nicht eine, sondern 20 bis 40 Substanzen gefunden. Die Resultate lassen wenig Interpretationsspielraum: In allen Gewässern wurden Qualitätskriterien zur chronischen Ökotoxizität teilweise um ein Vielfaches überschritten, im Minimum während zwei Wochen (TI), maximal bis zu fünfeinhalb Monate lang (BL, TG). In vier Gewässern wurden selbst Konzentrationen überschritten, ab denen der Pestizidmix für empfindliche Organismen ein akuttoxisches Risiko ist, maximal über zwei Monate lang (VS). Die in einem der Bäche ausgesetzten Bachflohkrebse zeigten, einhergehend mit hohen Pestizidkonzentrationen, erhöhte Mortalitätsraten und lethargisches Verhalten. Die Bewertung ergab an allen Stellen die Noten unbefriedigend und schlecht. Die niedrigste Belastung wurde an der Tessiner Messstelle festgestellt, da das betreffende Einzugsgebiet eine im Vergleich geringere Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung aufweist. Marion Junghans vom Oekotoxzentrum fasst zusammen: «Der laufend ändernde Mix vieler Stoffe in problematischen Konzentrationen und die lang anhaltend hohen Risiken lassen den Organismen in vielen Fällen keine Erholungszeit.»
Aktionsplan zur Risikoreduktion von Pflanzenschutzmitteln in Erarbeitung
Für Stephan Müller, Leiter der Abteilung Wasser des BAFU, bestätigen die Ergebnisse, dass PSM aus der Landwirtschaft – neben den Mikroverunreinigungen, die via Kläranlagen ins Gewässer gelangen – die aktuell bedeutendsten stofflichen Verunreinigungen der Schweizer Oberflächengewässer sind. Dies gelte vor allem in den kleinen Bächen; sie sind von speziellem Interesse, da sie Rückzugsort und «Kinderzimmer» für Wasserlebewesen seien, insbesondere für Fische.
Mit den kürzlich vom Parlament beschlossenen technischen Massnahmen, kann der via Kläranlagen anfallende Teil an Mikroverunreinigungen halbiert werden. Nun müsse, so Müller, auch die Verunreinigung mit den PSM deutlich reduziert werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung sei der Aktionsplan PSM, wie er unter Federführung des Bundesamtes für Landwirtschaft erarbeitet wird und in welchem der Gewässerschutz ein prioritäres Thema ist. Weiter seien die Anwender gefordert, mit diesen Umweltgiften sorgfältig umzugehen und sie so wenig wie möglich einzusetzen. (EAWAG/mc/ps)