Zürich – Bringt ein Handelsvertreter seinem Kunden eine kleine Aufmerksamkeit mit, erhöht sich dessen Kaufbereitschaft erheblich, wie eine Studie der Universität Zürich zeigt. Besonders, wenn es sich beim Beschenkten um den Chef selbst handelt. Dass bereits kleine Geschenke zu Interessenskonflikten führen, hat Auswirkungen auf die Diskussion, wo die Grenze zwischen einer Geste der Wertschätzung und einem Bestechungsversuch zu ziehen ist.
Ein Geschenk kann Dankbarkeit über eine gute Geschäftsbeziehung zum Ausdruck bringen oder berechnend und manipulativ eingesetzt werden. Wo die Trennlinie dazwischen verläuft, ist selten eindeutig. In vielen Branchen und Firmen gelten Richtlinien bezüglich Umfang und Wert von Geschenken, die Mitarbeitende annehmen dürfen. Solche Grenzwerte basieren auf der Annahme, dass kleinere Geschenke unbedenklich sind, während wertvolle Geschenke bei den Empfängern zu Interessenskonflikten führen und sie in ihren Entscheidungen beeinflussen. Eine Schachtel Pralinen? – Geht in Ordnung. Ein Logenplatz am Formel-1-Rennen? – Eher nicht.
Auch kleine Geschenke beeinflussen das Verhalten
Ob kleine Geschenke in Geschäftsbeziehungen tatsächlich keinen Einfluss auf das Verhalten der Beschenkten haben, untersuchten Michel Maréchal und Christian Thöni von den Universitäten Zürich und Lausanne in einem kontrollierten Feldexperiment in Apotheken und Drogerien. Dabei übergaben Handelsvertreter einem Teil ihrer Kundinnen und Kunden zu Beginn des Verkaufsgesprächs sechs Tuben Zahnpasta im Gesamtwert von ungefähr 10 Franken. Das scheinbar unbedeutende Mitbringsel führte dazu, dass sich der Wert der bestellten Waren durchschnittlich fast verdoppelte.
Wirkung ist abhängig von der Beziehung
Die Geschenke waren allerdings nur dann effektiv, wenn die Geschäftsbeziehung bereits zuvor bestanden hatte, sich Schenkender und Beschenkter also bereits kannten. Wurde das Geschenk hingegen beim ersten Kontakt überreicht, bewirkte es eher das Gegenteil: Der Bestellwert lag in diesem Fall tendenziell tiefer als wenn gar kein Geschenk im Spiel war. «Gleich zu Beginn einer Geschäftsbeziehung mit einem Geschenk aufzutauchen, wirkt möglicherweise berechnend und ist deshalb kontraproduktiv», kommentiert UZH-Professor Michel Maréchal das Resultat. «Besteht jedoch bereits ein Kontakt, kann der Kunde die Aufmerksamkeit auch als Dankeschön wahrnehmen und als Ausdruck dafür, dass die Beziehung geschätzt wird.»
Grösste Wirkung beim Chef
Kleine Präsente zu verteilen, kann für Handelsvertreter also eine profitable Strategie sein. Besonders, wenn sie der Chefin oder dem Chef persönlich überreicht werden. Ging das Geschenk im Feldexperiment direkt an den Filialleiter, erhöhte sich der Wert der Bestellung auf mehr als das Vierfache: von durchschnittlich 61 Franken auf 271 Franken. Beim normalen Angestellten hingegen zeigte es keine Wirkung. Dies leuchtet insofern ein, als Geschäftsführer in der Regel eine grössere Entscheidungskompetenz haben und ohne Rücksprache grössere Bestellungen aufgeben können. «Da sie aber meist auch das Geschäftsrisiko tragen, ist es erstaunlich, dass sie bereit waren, so viel Ware zu bestellen», gibt Christian Thöni von der Universität Lausanne zu bedenken. Der Effekt könnte sich laut den beiden Autoren der Studie zusätzlich verstärken, wenn Mitarbeitende zwar Entscheidungskompetenz besitzen, gleichzeitig aber keinerlei Risiko tragen.
Sind Grenzwerte überhaupt sinnvoll?
Die Erkenntnisse von Maréchal und Thöni bieten neuen Zündstoff in der Diskussion um die Höhe und den Sinn von Grenzwerten für Geschenke in Geschäftsbeziehungen. «Unsere Studie zeigt, dass die Art der Beziehung zwischen den Geschäftspartnern eine wichtige Rolle spielt und dass bereits kleine Aufmerksamkeiten als persönliche Gefälligkeiten interpretiert werden, für die man sich dann mit einem Gegengefallen revanchiert», fasst Maréchal zusammen. «Diese Effekte fliessen bisher noch zu wenig in die Diskussion über Vorschriften und Branchenrichtlinien zur Eindämmung von Korruption ein.» (UZH/mc/pg)