Auflagen verhindern Vielfalt und verschärfen Too Big To Fail

Auflagen verhindern Vielfalt und verschärfen Too Big To Fail

Kommentar von Andreas Lusser, Geschäftsführer von theScreener Investor Services für Finanzprodukte.

Verfügen Sie über Kapital? Können Sie sich vorstellen, damit eine Bank zu gründen? Eine Privatbank, die das Geld anderer Leute verwaltet – vielleicht? Eine Kommerz- oder Retailbank, welche Spargelder annimmt, Kredite vergibt, den Zahlungsverkehr wahrnimmt und andere Dienstleistungen für Private, KMUs und Konzerne anbietet? Freiwillige vor!  Der Finanzplatz Schweiz könnte die Impulse durch neue Finanzdienstleister sehr wohl gebrauchen.

“Viele Banken werden vom Markt verschwinden.” So lautet die einhellige Analyse im aktuellen Umfeld. Neue Banken werden nur beschränkt gegründet. Die Zahl der Neuzulassungen reicht jedenfalls bei weitem nicht aus, um die Abgänge zu kompensieren.  Diese Entwicklung ist  in erster Linie auf hohe  Gründungs- und Bewilligungsaufwendungen und die Unsicherheit bezüglich künftiger Regulierungen zurückzuführen.

Doch das hat längerfristig gravierende Konsequenzen: Denn wo Geburten ausbleiben, wird der Tod bestehender Marktteilnehmer zum Problem. Wenn die  kleinen und mittleren Finanzdienstleister fusionieren oder verschwinden wird die Problematik der Schwergewichte in der Branche, die gemessen an unserer Volkswirtschaft zu gross geworden sind,  um in die Zahlungsunfähigkeit entlassen zu werden  (Too Big To Fail), nicht abnehmen.

Die Rettung der UBS durch Nationalbank und Staat liegt 5 Jahre zurück. Die seither umgesetzten Massnahmen zielen im Wesentlichen darauf ab, das Ausfallrisiko der systemrelevanten Banken zu reduzieren. Hierfür wurden die Eigenmittelvorschriften verschärft und ein umfangreiches Paket von Auflagen geschnürt – man kann es als wohlgemeintes Sicherheitspaket betrachten, welches die betroffenen Banken stets bei sich zu tragen haben. Die Finanzmarktaufsicht kann die Einhaltung der Auflagen mittels grosszügig ausgelegter Kontrollmöglichkeiten jederzeit überwachen.

Soweit so gut. Es ist aber nur ein Teil des Problems.

Der Gesetzgeber kann, bildlich gesprochen, dem Wanderer vorschreiben, dass er seinen Rucksack mit Sicherheitsutensilien vollstopft und stets bei sich trägt. Er mag sich damit gesichert in schwierigem Terrain bewegen, wird nicht verdursten, nicht verhungern und nicht erfrieren. Aber selbst der grösste Rucksack der Welt garantiert dem Wanderer kein unfallfreies Leben. Er kann stolpern und schwer stürzen, plötzlichen Gesundheitsproblemen ausgesetzt sein oder von einem Steinschlag getroffen werden. Aber selbst mit Gesundheitscheck, Helm und Körperschutz ist er nur vermeintlich gegen alle Risiken abgesichert. Er kann – das ging vergessen – schlicht einem Wegelagerer zum Opfer fallen.

Die grösste Sicherheit vor schädigenden Einflüssen böte etwas anderes: mehr Vielfalt. Je breiter unsere Finanzbranche diversifiziert  ist, desto unwahrscheinlicher wird der Totalschaden. Wer das Problem an der Wurzel anpacken will, muss sich dafür einsetzen, dass ein für Bankgründungen fruchtbares Umfeld geschaffen wird. Der Staat müsste für geeignete Rahmenbedingungen sorgen, damit die Marktteilnehmer unterschiedlichen Strategien nachleben und an der Peripherie der Bankenwelt ein möglichst vielfältiges Umfeld von  Vermögensverwaltern, Treuhändern, Effektenhändlern, Asset Managern und weiteren gedeiht respektive erhalten bleibt. Too Big To Fail vermeiden bedeutet, Vielfalt zu fördern, nicht enge und ähnliche Korsette zu schnüren.

Leider finden sich in diese Richtung keinerlei sichtbare Bemühungen. Seit Jahren findet am Finanzplatz Schweiz ein Konzentrationsprozess statt: Im Zeitraum 2001 bis 2011 ging die Zahl der Banken nach Angaben des Eidgenössischen Finanzdepartements von 369 auf 312 zurück. Ausgeprägt ist der Abbau im Bereich der Regionalbanken und Sparkassen (-28 auf 66). Doch auch unter Privatbanken (-4 auf 13) und Börsenbanken (-15 auf 46) hat sich die Vielfalt reduziert.

Über 50 Prozent der Gesamt-Bilanzsumme auf dem hiesigen Bankenplatz entfällt bereits auf die beiden Grossbanken. Es ist daran zu zweifeln, dass diese Dominanz in Zukunft merklich abnehmen wird.

Eines hat sich immer wieder gezeigt:  In der Natur wie in der Wirtschaft gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Mit anderen Worten: Der nächste Schädling kommt bestimmt. Die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit den US-Steuerbehörden zeigen exemplarisch, dass die Risiken oft dort lauern, wo man sie am wenigsten erwartet. Während durch unzählige Vorschriften die Bilanzen der Banken auf Vordermann gebracht wurden, drohen nun ernsthafte Konflikte von einer gänzlich anderen Seite: einer Inkompatibilität zwischen schweizerischem und amerikanischem Recht. Einmal mehr wird die Politik zu einer Hau-Ruck-Aktion genötigt.

Ohne signifikanten Richtungswechsel der Politik hin zu grösserer Vielfalt, die Spielraum schafft für neue Finanzdienstleister, wird es nicht die letzte sein. Interessanterweise würde eine massvolle Politik, die  Neugründungen im Finanzbereich ermöglicht, nicht den in der Öffentlichkeit oft kritisierten Banken einen Gefallen erweisen, sondern deren Kunden und der sogenannten Realwirtschaft insgesamt. Die Kunden würden von mehr Vielfalt, somit grösserem Wettbewerb und  geringeren Kosten, profitieren. Nicht zuletzt würde sich die Too-Big-To-Fail-Problematik ein Stück weit von selbst lösen.

Leider ist dies Gedankengut, das in Bern aktuell nicht salonfähig erscheint.

(Erstveröffentlichung bei «Inside Paradeplatz»)

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