Augen zu und tanzen
Basel – Können Sport und Bewegung einer Krebserkrankung vorbeugen? Oder die Therapie unterstützen? Und wenn ja, wieso? Fünf Fakten aus Grundlagenforschung und Sportmedizin.
1.) Schon leichte körperliche Aktivität kann das Krebsrisiko senken
Für einige Krebsarten können Sport und Bewegung einen starken vorbeugenden Effekt haben. Den grössten Einfluss hat regelmässige körperliche Aktivität auf das Risiko für Magen-Darm-Tumore sowie Brust- und Gebärmutterkrebs.
Dabei geht es nicht darum, sich hohen Belastungen auszusetzen, einen Marathon zu laufen oder High-Intensity Intervall Training zu machen. Bereits Alltagsaktivitäten können ausreichen. Sportmediziner Henner Hanssen empfiehlt zum Beispiel betroffenen Patienten eine Stunde täglich zügig zu gehen, fünf bis sieben Tage die Woche. Das kann die krebsbezogene Sterblichkeitsrate je nach Studie um bis zu 50 Prozent senken.
Der Einfluss von Sport und Bewegung auf das Krebsrisiko hat verschiedene Gründe. Beispielsweise reduziert regelmässige körperliche Aktivität die Körperfettmasse und senkt die Konzentration von entzündlichen Fettgewebshormonen im Körper. Auch regt Bewegung den Magen an und das Essen wird schneller verdaut, was zu einer verkürzten Transitzeit im Magendarmtrakt führt – ebenfalls ein Mechanismus, der besonders das Magen- und Darmkrebsrisiko bereits in der Primärentstehung senkt.»
2.) Muskeln entgiften den Körper
Helfen Bewegung und Sport auch bei einer bestehenden Krebserkrankung? Molekularbiologe Christoph Handschin erforscht diese Frage an Mäusen und erklärt: «Der Tumor verändert den ganzen Stoffwechsel. Er besteht aus Zellen, die konstant wachsen wollen. Und dafür brauchen sie Energie. Der Tumor stimuliert also die anderen Gewebe, Energie für ihn bereitzustellen. Das führt dazu, dass der Körper Fett und Muskelmasse stark abbaut. Das Blut enthält dadurch mehr Lipide und das Blutplasma wird ganz trüb.» Bei kranken Mäusen, die täglich auf einem Laufband trainierten, normalisierte sich das Blutplasma jedoch wieder. «Muskeln entgiften zu einem gewissen Grad unseren Körper. Mit Training funktioniert nicht nur der Muskel besser, sondern es normalisiert auch den Stoffwechsel», so Handschin.
3.) Sport und Bewegung können die Lebensqualität bei einer Krebserkrankung erhöhen
Sportliche Betätigung kann nicht nur bei Mäusen, sondern auch beim Menschen sehr positive Effekte auf eine Krebserkrankung und deren Symptome haben. Körperliche Aktivität kann:
- antidepressiv wirken
- das Erschöpfungssyndrom lindern
- dem Muskelschwund entgegenwirken
- die Verträglichkeit der Chemotherapie steigern
- die Mortalität bei Magen- und Darmtumoren um bis zu 50 Prozent reduzieren.
Dennoch kann auch ein regelmässiges Training den Krebs nicht heilen. «Es ist wichtig, hier sehr genau zu differenzieren», so Hanssen. «Eine bereits vorhandene Krebserkrankung kann alleine mit Sport und Bewegung oder einer Umstellung des Lebensstils nicht geheilt werden. Ja, der Sport kann eine Begleittherapie sein. Aber die Chemotherapie muss die Primärtherapie bleiben.
4.) Wieso Bewegung während der Erkrankung hilft, ist noch weitgehend unerforscht
Körperliche Aktivität während der Erkrankung hat also eine Reihe positiver Effekte. Aber wieso? «Das wurde bis jetzt auf molekularer Ebene noch relativ wenig angeschaut», stellt Grundlagenforscher Handschin fest. «Die meisten Trainingsstudien waren auf das subjektive Empfinden der Patientinnen und Patienten fokussiert, nicht auf die Mechanismen.» Hinzu kommt, dass der Fokus der biomedizinischen Krebsforschung meist auf der Bekämpfung des Tumors liegt und weniger auf den Nebenwirkungen wie Muskelschwund oder Erschöpfung, die er verursacht. Dementsprechend gibt es derzeit auch keine Medikamente, die einen ähnlichen Effekt wie Sport und Bewegung auf das Wohlbefinden während der Erkrankung haben.
5.) Moderates Training ist während der Krebstherapie möglich
Auch wenn Forschende nicht genau wissen, wieso sie hilft, die Vorteile einer sogenannten Bewegungstherapie sind wissenschaftlich erwiesen. Während einer schweren Krankheit an Sport zu denken, scheint aber auf den ersten Blick nicht sehr intuitiv. Die starken Nebenwirkungen einer Bestrahlungs- oder Chemotherapie lassen körperliche Aktivitäten auch nur bedingt zu. In den geeigneten Intervallen und in den Erholungsphasen nach der Behandlung ist laut Hanssen ein leichtes Kraft- oder Ausdauertraining möglich und zu empfehlen. «Der erste Schritt ist immer der schwerste», so Hanssen. «Übelkeit, Erbrechen und Schwindel sind typische Nebenwirkungen einer Krebstherapie. Die positive Nachricht dabei ist, dass durch eine regelmässige Umsetzung der Bewegungstherapie die Vorteile, zum Beispiel der Gewinn an Kraft und Ausdauer sowie ein besseres Lebensgefühl, schon nach vier Wochen einsetzen können.»
Bei einer solchen Therapie wird auch nur ein moderates Training angepeilt, bei dem man leicht ins Schwitzen kommt, sich aber noch problemlos unterhalten kann. Hanssen empfiehlt zum Beispiel Laufen, Schwimmen, Radfahren, Nordic Walking oder sogar Tanzen: «Alles, was in den Lebensalltag der betroffenen Person passt und wo Interesse seitens der Patienten besteht.»
Die Entscheidung, wann und wie dieses Training stattfindet, sollte jedoch mit dem medizinischen Personal besprochen werden, denn sie können die individuellen Möglichkeiten und Risiken am besten beurteilen. (Universität Basel/mc/ps)
Christoph Handschin ist Professor für Pharmakologie an der Universität Basel und Forschungsgruppenleiter am Biozentrum.
Henner Hanssen ist Professor für Präventive Sportmedizin und Systemphysiologie am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel.
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