Bern – Der Erhalt und Ausbau von Wasser als erneuerbare Energiequelle ist eines der Ziele der Energiestrategie 2050. Allerdings liegt das Ausbaupotential tiefer als ursprünglich geschätzt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Bundesamts für Energie (BFE).
Im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2012 liege das Ausbaupotenzial um rund 1600 Gigawattstunden (GWh)/Jahr) tiefer, als damals angenommen, teilte das BFE am Montag mit. Abzüglich des zwischen 2012 und 2019 erfolgten Zubaus von 640 GWh/Jahr betrage die effektive Differenz 960 GWh/Jahr.
Der im geltenden Energiegesetz festgelegte Ausbaurichtwert bis 2035 sei somit zwar erreichbar, allerdings müsse dazu fast das gesamte bis 2050 ausgewiesene Potenzial bereits bis 2035 realisiert werden. Daher sei in den kommenden Jahren ein Netto-Ausbau von durchschnittlich 85 GWh/Jahr nötig.
Ob der in der Botschaft zur Energiestrategie 2050 postulierte Ausbaurichtwert bis dann erreicht werden kann, bleibt aufgrund der vorliegenden Analyse unklar, wie es weiter heisst. Das geschätzte Potenzial bis 2050 könnte durch die Realisierung des Potenzials von Gletscherseen und heute noch nicht bekannten Neubauprojekten um mehrere hundert Gigawattstunden Jahresproduktion höher sein.
Der Ausbau dieses Potenzials durch die Strombranche werde jedoch massgeblich von der Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die heimische Wasserkraft abhängen.
Kleinkraftwerke mit wenig Potenzial
Die durchschnittliche Produktionserwartung gemäss Statistik der Wasserkraftanlagen der Schweiz plus der Produktionserwartung der Kleinstwasserkraftwerke abzüglich des mittleren Strombedarfs der Zubringerpumpen lag 2012 bei 35’350 GWh/Jahr und per 1. Januar 2019 bei 35’990 GWh/Jahr. Was den Zubau betreffe, habe die durchschnittliche Jahresproduktion durch Neubauten, Erneuerungen und Erweiterungen somit um 640 GWh/Jahr zugenommen.
Dabei habe sich das Potenzial der Grosskraftwerke kaum verändert. So beträgt das Potenzial von Erweiterungen und Erneuerungen bestehender Grosswasserkraftwerke laut BFE 970 bis 1530 GWh/Jahr (2012: 870 – 1530 GWh/Jahr).
Bei Kleinkraftwerken liege das Potenzial jedoch deutlich tiefer als 2012 angenommen. Ein Grund: Seit 2018 werden Kleinwasserkraftanlagen mit einer Leistung von weniger als 1 Megawatt nicht mehr mit Prämien gefördert. In der Summe ergebe sich daraus ein Potenzial bis 2050 von 110 bis 550 GWh/Jahr. Zu deutlich höheren Produktionsverlusten sei es zudem durch Restwasserbestimmungen gekommen, die dem Gewässerschutz dienen.
Gletscherseen und neue Projekte
In der Analyse nicht berücksichtigt wurde einerseits das Potenzial von neuen Gletscherseen, das auf rund 700 GWh/Jahr geschätzt wird, sowie das Potenzial von Projekten, die von der Strombranche aus Vertraulichkeitsgründen nicht offengelegt wurden. Das geschätzte Potenzial bis 2050 könnte dadurch um mehrere hundert Gigawattstunden Jahresproduktion höher sein, schreibt das BFE.
Das geltende Energiegesetz legt für das Jahr 2035 eine durchschnittliche Jahresproduktion aus Wasserkragt von mindestens 37‘400 GWh als Richtwert fest. Gemäss Botschaft zur Energiestrategie 2050 soll dieser Wert bis 2050 auf 38‘600 GWh ansteigen.
Potenzialanalyse aktualisiert
Die Richtwerte im Energiegesetz und in der Botschaft zur Energiestrategie 2050 basieren auf einer Analyse des Wasserkraftpotenzials, die das BFE im Jahr 2012 erarbeitet hatte. Das BFE hat diese Potenzialanalyse nun aktualisiert, da sich seither sowohl die wirtschaftlichen als auch einige gesetzliche Rahmenbedingungen geändert haben. Ziel war, die angestrebten Ausbau-Richtwerte auf ihre Erreichbarkeit zu überprüfen.
Im Energiegesetz gibt es nicht nur einen Ausbauwert für die Wasserkraft, sondern auch für die übrigen erneuerbaren Energien. Ob die Ziele der Energiestrategie langfristig (bis 2050) trotz des tieferen Wasserkraftpotenzials erreicht werden können, wird die neue Analyse «Energieperspektiven 2050+» zeigen, hiess es beim BFE auf Anfrage. (awp/mc/ps)