Aussterben der Alpenpflanzen bleibt lange unsichtbar
Zürich – Wie reagieren alpine Pflanzen auf wärmere klimatische Bedingungen? Aufgrund ihrer Langlebigkeit bleiben die Pflanzen zwar länger als gedacht an vielen Standorten bestehen, produzieren aber Nachwuchs, der zusehends schlechter angepasst ist. Ihr Bestand nimmt schneller ab als die Verbreitung, wie UZH-Forschende anhand von Modellrechnungen zeigen. Wer das Aussterberisiko von Pflanzenarten genau erfassen möchte, sollte nicht nur ihre geographische Verbreitung, sondern auch den Zustand lokaler Populationen beobachten.
Für alpine Pflanzenarten stellt der Klimawandel eine besondere Herausforderung dar: Um der zunehmenden Wärme zu entfliehen, müssen sie ihren Lebensraum in die Höhe verschieben. Dort steht ihnen aber wegen des pyramidenförmigen Aufbaus von Bergen weniger Fläche zur Verfügung. Um das Aussterberisiko dieser Pflanzen abzuschätzen, griff die Wissenschaft bisher auf statische Modelle zurück, die jedoch die dynamischen Antworten der Flora auf den Klimawandel unzureichend abbildeten.
Zuverlässigere Voraussagen
Nun hat ein Team um Frédéric Guillaume vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen aus Grenoble und Wien ein neues Modell entwickelt, das ökologische und evolutionäre Mechanismen berücksichtigt – und deshalb zuverlässigere Voraussagen erlaubt. Die Forschenden haben ihr Modell auf vier alpine Pflanzenarten angewendet und deren Anpassung und Verbreitung unter drei möglichen Klimaszenarien bis ins Jahr 2090 mit Hilfe von Supercomputern simuliert.
Die günstigeren Klimaszenarien, die von einer Erwärmung um ein Grad ausgehen, zeigen, dass sich die Pflanzenbestände wieder erholen, wenn ab 2090 auch die Erwärmung wieder nachlässt. «Aber wenn der Klimawandel sich ungebremst entwickelt, haben die Pflanzen ein grosses Problem», sagt Guillaume. Ein Problem, das sich der oberflächlichen Beobachtung entzieht und sich nur bei genauerem Hinsehen offenbart.
Verharren an ungünstigen Standorten
Denn die lange Lebensdauer dieser Alpenpflanzen begünstigt deren Verharren an den Standorten, die sie aktuell besetzen. Aber gleichzeitig fassen immer weniger junge Pflanzen Fuss. «Die Langlebigkeit verhindert eine Erneuerung der Populationen», schreiben die Forschenden in ihrem soeben veröffentlichten Fachartikel. Dadurch seien die Populationen zusehends schlechter an ihre sich verändernde Umwelt angepasst – und dünnten sich aus. «Der Bestand nimmt schneller ab als die Verbreitung», sagt Frédéric Guillaume.
Aussterbeschuld nimmt zu
Insgesamt zeigen die durchgeführten Simulationen, dass die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen nicht mit den raschen klimatischen Veränderungen Schritt halten kann. Dass sich ältere Individuen in einer sich verschlechternden Umwelt hartnäckig halten, täuscht darüber hinweg, dass sich allmählich eine Aussterbeschuld aufbaut. Um dieses unsichtbare Aussterberisiko korrekt zu erfassen, gelte es deshalb nicht nur die Verbreitung der alpinen Pflanzenarten, sondern auch die lokalen Bestandesdichten zu messen, schliessen die Forschenden. (UZH/mc/pg)