Von Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock
Ob Politik, Inflation oder Unternehmensgewinne – grosse Erwartungen prägen das Bild.
Frankreich hat sich für politische Kontinuität entschieden. Bei den Präsidentschaftswahlen setzte sich der liberale Amtsinhaber Emmanuel Macron mit geschätzt 58,8 % der Stimmen gegen seine rechtspopulistische Herausforderin Marine Le Pen (41,2 %) durch. Erstmals seit zwei Dekaden sichert sich ein französischer Präsident damit eine zweite Amtszeit. Macrons Vorsprung fiel knapper aus als bei der letzten Stichwahl im Jahr 2017, jedoch deutlicher als Umfragen hatten erwarten lassen. Gleichzeitig sollte das Resultat nicht über eine polarisierte Wählerschaft und die historisch niedrige Wahlbeteiligung hinwegtäuschen.
In Berlin und Brüssel dürfte man erleichtert aufatmen. Hinter vorgehaltener Hand kursierte die Sorge, Frankreich als bedeutende pro-europäische Kraft in der EU zu verlieren. Ob das Staatsoberhaupt in den nächsten fünf Jahren die Erwartungen an fortgesetzte Strukturreformen (u.a. Rentenreform), eine grünere Energiepolitik, und tiefere europäische Integration wird erfüllen können, hängt massgeblich von der künftigen Zusammensetzung der Assemblée Nationale ab. Umso mehr richtet sich nun das Augenmerk auf die Parlamentswahlen im Juni. Neben Massnahmen, die Kaufkraft privater Haushalte in inflationären Zeiten zu stützen – ein gemeinsamer Nenner nicht nur mit Madame Le Pen – könnten fortgesetzte Erfolge bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit mittelfristig für eine breitere Zustimmung des Reformkurses in der Gesellschaft sorgen.
Grosse Erwartungen und deren Management bleiben in einem Umfeld wackeliger Börsen auch bei den Notenbanken auf der Tagesordnung. Gerade die US-Notenbank Fed stemmt sich mit allen Mitteln – straffe Zinspolitik, zügige Bilanzabschmelzung, falkenhafte Forward Guidance – gegen das Risiko erhöhter Inflationserwartungen. Obwohl sich bereits der steilste Leitzinsanstiegspfad seit Beginn der modernen Geldpolitik in den 1970er Jahren abzeichnet, schienen sich Fed-Notenbanker unlängst in ihren Forderungen beträchtlicher Zinsschritte geradezu zu überbieten. Woher die Eile? Laut einer Analyse der Fed von St. Louis war die Geldpolitik in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage im Schlussquartal 2021 so expansiv ausgerichtet wie selten im letzten halben Jahrhundert.
Auch in den Türmen der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt scheinen die Zeichen auf beschleunigte Normalisierung zu stehen. Am Donnerstag könnte Lagarde die Tür für eine erste Zinsanhebung im Herbst weit aufstossen, gleichzeitig aber weiter für eine hochgradig flexible Ausrichtung der Geldpolitik in den kommenden Monaten plädieren.
Die Märkte scheinen die Signale der Fed verstanden zu haben und preisen nun eine noch schärfere Wende ein. 10-jährige Renditen von US-Staatsanleihen erreichten in der letzten Woche neue Dreijahreshochs nahe 3 % während Aktienkurse sich gen Süden orientierten. In den kommenden Monaten könnte bei den Anhebungsschritten gelten: „50 sind die neuen 25 Basispunkte“. Für den Ausblick an den Aktienmärkten bleibt aus unserer Sicht entscheidend, ob es bei einem „Frontloading“, also grösseren Schritten zu Beginn des Zinserhöhungsprozesses bleibt, oder ob mit einer „Vollbremsung“, d.h. einem Leitzinsniveau deutlich über „neutral“, zu rechnen ist.
Im Euroraum dürften die Inflationszahlen für April auf eine gipfelnde Teuerung nahe, 7,5 % hindeuten. Selbst wenn Öl- und Gaspreise nicht noch einmal kräftig anziehen, ist allerdings nicht mit einem zügigen Inflationsrückgang zu rechnen, während sich der unterliegende Preisauftrieb angesichts verschärfter globaler Lieferprobleme (u.a. neuerliche Lockdowns von Millionenstädten in China, Ukraine-Krieg) weiter verstärkt. Eine Kerninflationsrate nördlich von 3% sollte nicht überraschen – ebenso wenig, dass sich eine Reihe von Ratsmitgliedern der Europäischen Zentralbank jüngst für eine Anhebung des Einlagensatzes bereits im Sommer ausgesprochen hat.
Mit der Gewinnberichtssaison rückt derweil das fundamentale Rückgrat für die Börsen in den Fokus. Angesichts eines herausfordernden ersten Quartals inklusive China-Lockdown und hohen Energiekosten startet die Berichtssaison mit vergleichsweise verhaltenen Erwartungen. Dies öffnet für sich genommen Raum für positive Überraschungen, wenngleich bei einer erwartbaren breiten regionalen und sektoralen Streuung. Die ersten Berichte zeigten bereits, dass die Umsätze vieler Unternehmen schneller gestiegen sind als die Gewinne, was durchaus zu einem inflationären Makroumfeld bei hohem Kostendruck passt. Erst im weiteren Jahresverlauf könnte sich der kostenseitige Margendruck spürbarer in den Unternehmenszahlen niederschlagen. Angesichts einer Reihe von Unwägbarkeiten – geopolitische Gemengelage, Dauer von Lieferproblemen, Ausmass strafferer Finanzierungsbedingungen – sollte die Guidance der Unternehmen noch mehr als sonst entscheidend für das Kurspotenzial im Zuge der Berichtssaison sein.
Im regionalen Vergleich fällt dabei das Wachstumspolster durch den kraftvollen Neustart in den USA auskömmlicher aus als in Europa. Darüber sollten die anstehenden Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt in den USA und im Euroraum nicht hinwegtäuschen. Denn in den USA ist die voraussichtlich spürbare Wachstumsverlangsamung im ersten Jahresviertel vornehmlich einem Sondereffekt geschuldet – dem nachlassenden Aufbau übervoller Lager zum Jahresende 2021. Europa dagegen beutelte im Winterhalbjahr nicht nur ein höheres Corona-Infektionsaufkommen, sondern der Kontinent wurde und wird empfindlicher durch die Invasion Russlands in die Ukraine getroffen. Wegen der Lockerung vieler Corona-Einschränkungen im März dürfte die Wirtschaftsaktivität im Euroraum dennoch moderat gewachsen sein.
Was bedeutet das für Anleger?
Das strukturelle Niedrigzinsumfeld zeigt Risse. Trotz der bereits ausgeprägten Neubewertung der geldpolitischen Erwartungen an den Anleihemärkten halten wir an unserem Untergewicht bei Kernstaatsanleihen fest, die aus ganzheitlicher Portfolioperspektive in einem Umfeld erhöhter Inflationsrisiken Diversifikationseigenschaften einbüssen.
Dennoch sei an dieser Stelle erwähnt, dass gerade der merkliche Anstieg der Realrenditen in den USA das Rendite-Risiko-Profil von US-Staatsanleihen aus Investorensicht zum Besseren verändert. Inflationsbereinigt näherte sich die 10-jährige Rendite erstmals seit März 2020 wieder positivem Terrain. Wohlgemerkt trotz einer steigenden geforderten Inflationskompensation der Marktteilnehmer, gemessen an der sog. Break-Even-Inflationsrate.
Unserer Einschätzung nach werden die Zentralbanken zwar zügig ihre Geldpolitik normalisieren, aber keine Vollbremsung hinlegen. Dies sollte die Realrenditen trotz des jüngsten Anstiegs niedrig halten und die Aktienbewertungen stützen.
Nach unserem Dafürhalten ist für die Aktienmarktentwicklung die erwartete Gesamtsumme der Zinserhöhungen, weniger das Timing und die Geschwindigkeit entscheidend. Wieso? Wir verwenden einen kumulativen Zinssatz zur Bestimmung zukünftiger Unternehmens-Cashflows, nicht den aktuellen Zinssatz oder die Anleiherenditen. Und je höher die Spitzenrate in diesem Leitzinserhöhungszyklus ist, desto grösser ist die Auswirkung aufgrund des Zinseszinseffekts im Laufe der Zeit. Daher glauben wir, dass sich Aktien durchaus gut schlagen können, wenn das im Zinserhöhungszyklus erreichte Niveau historisch niedrig ausfällt. (BlackRock/mc/ps)