Von Stéphanie Rheinboldt, Senior Investment Advisor, Banque Heritage
Der Sektor bleibt angesichts geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Zyklen volatil, aber es gibt keine panikartigen Bewegungen bei den Ölpreisen.
Der Preis für Rohöl der Sorte Brent ist seit Jahresbeginn um etwa 15% gestiegen und pendelte in den letzten zwei Jahren um durchschnittlich 88 Dollar. Der MSCI World Energy Index ist im gleichen Zeitraum um 12% gestiegen.
HERAUSFORDERUNGEN UND FORTSCHRITTE BEI DER ENERGIEWENDE
Seit dem Pariser Abkommen von 2015, dem europäischen Green Deal von 2020 und dem RePower-Plan der EU von 2021 oder dem BIL (Bipartisan Infrastructure Law) von 2021 in den USA, gefolgt vom IRA (Inflation Reduction Act), ist der politische Wille, die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Wasserkraft usw.) voranzutreiben, stark ausgeprägt, stösst jedoch auf erhebliche Hindernisse: Inflation bei Arbeits- und Materialkosten, hohe Zinsen und zunehmende Verschuldung der Staaten. Fossile Brennstoffe dominieren weiterhin in vielen Regionen der Welt.
Die Nachfrage nach Erdöl ist aufgrund seiner Verwendung im Transportwesen, in der Petrochemie und vielen anderen Sektoren nach wie vor relativ hoch. Erdgas, das oft als «Übergangsenergie» bezeichnet wird, trägt zur Verringerung der Treibhausgasemissionen bei, indem es Kohle in der Stromerzeugung ersetzt. Leider zwang der Krieg in der Ukraine Länder wie Deutschland, wieder auf Kohle zur Stromerzeugung zurückzugreifen, bis Alternativen zum russischen Gas gefunden wurden.
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN UND STRATEGISCHE ANPASSUNGEN
Angesichts des erwarteten Nachfragerückgangs und unter dem Druck von Investoren, die die Umstellung auf nachhaltige Energiequellen beschleunigen wollen, haben die meisten Unternehmen, die in der Exploration und Produktion fossiler Energieträger tätig sind, ihre Investitionen in den traditionellen Sektor zugunsten umweltfreundlicherer Projekte reduziert. So muss beispielsweise TotalEnergies in Wasserstoffprojekte investieren, anstatt Ölexplorationen durchzuführen. Die Ölmultis – ExxonMobil, Shell, Chevron, BP, TotalEnergies und Eni – halten ihre Ausgaben für Explorationen zurück. Von 2020 bis 2024 werden diese grossen Produzenten durchschnittlich sieben Milliarden Dollar pro Jahr ausgegeben haben, was einen erheblichen Rückgang gegenüber den zehn Milliarden Dollar pro Jahr zwischen 2016 und 2020 darstellt. Gleichzeitig zögern die Mitgliedsländer der OPEC+ nicht, ihre Produktion zu reduzieren, um den Rückgang des globalen Wirtschaftswachstums auszugleichen und so die Ölpreise auf hohem Niveau zu halten, weit über den Förderkosten. Öl- und Gasunternehmen generieren erhebliche Cashflows.
Geringe Investitionen und hohe Margen haben es ihnen ermöglicht, Schulden abzubauen und hohe Dividenden auszuschütten. Sie sind heute in einer starken Position, da geopolitische Spannungen und begrenzte Ölreserven die Preise in die Höhe treiben. In den USA sind die strategischen Ölreserven auf historisch niedrigem Niveau und die Notwendigkeit, sie aufzustocken, könnte ebenfalls dazu beitragen, die Ölpreise hoch zu halten. Fortschritte bei Bohrtechniken wie Fracking haben die Öl- und Gasförderung rentabler gemacht, wovon insbesondere US-amerikanischen Unternehmen profitieren, die Schiefergas fördern. Die Investitionen in Schiefergas in den USA sind mit dem Anstieg der Preise gestiegen, aber die Unternehmen sind heute viel disziplinierter als vor zehn Jahren, und die Gefahr einer Überproduktion scheint gering, was ein stabileres Umfeld für diese Akteure im Energiesektor begünstigt.
Der Zugang zu Energieressourcen bleibt ein wichtiges geopolitisches Thema. Konflikte, Sanktionen oder Abkommen zwischen Förderländern wirken sich direkt auf die Energiepreise und damit auf die Inflation aus. Die ärmeren Haushalte sind besonders betroffen, was die Regierungen dazu zwingen kann, durch Subventionen oder steuerliche Anpassungen einzugreifen, was wiederum Auswirkungen auf die Inflation haben kann. Insgesamt kann der Anstieg der Energiepreise Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben, sowohl auf die Produktion als auch auf den Konsum und die Geldpolitik. Diese Effekte können je nach Art und Dauer der Energieinflation vorübergehender oder langfristiger Natur sein.
Auch wenn der Übergang zu erneuerbaren Energien in vollem Gange ist, spielen fossile Energieträger weiterhin eine wichtige Rolle im globalen Energiemix und dürften ihren Aktionären noch über Jahrzehnte hinweg Gewinne bescheren. Die Ölpreise könnten in den kommenden Jahren zwischen 80 und 110 US-Dollar pro Barrel schwanken, angetrieben durch die wirtschaftliche Erholung in China und die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft, die durch die aktuellen geopolitischen Spannungen noch verstärkt wird. Diese Preisspanne, die deutlich über den Förderkosten liegt, kann nur den Bewertungsmultiplikatoren des Energiesektors und der Ölunternehmen insgesamt zugutekommen.