Bauern im Dilemma der verschiedenen Ansprüche
Mattstetten – Die Schweizer Bauern befinden sich im Kreuzfeuer der Erwartungen ihrer Kundschaft. Weil sich nicht alle Bedürfnisse unter einen Hut bringen lassen, soll deshalb der Mehrwert der Schweizer Produkte nicht maximiert, sondern optimiert werden.
Dies ist eine der Marschrichtungen des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) für das laufende Jahr, wie Vertreter des SBV am Mittwoch an der Jahresmedienkonferenz in Mattstetten BE darlegten. Eine Umfrage bei verschiedenen Entscheidungsträgern der Landwirtschaft habe das Dilemma deutlich aufgezeigt, in dem die Bauernfamilien steckten.
Konsument will Fünfer und Weggli
Wirtschaft, Industrie und Gastronomie verlangen laut SBV eine international konkurrenz- und wettbewerbsfähige Produktion. Tier- und Naturschutz wollen Ökologie und Tierwohl stärker fördern, was die Produktion aber weiter verteuert. Der Konsument seinerseits möchte gern den Fünfer und das Weggli: möglichst viel Ökologie und Tierschutz, aber ohne dafür mehr zu bezahlen.
Der Fünfer und das Weggli seien zusammen aber nicht erhältlich, sagte SBV-Direktor Jacques Bourgeois vor den Medien. Für den SBV geht es deshalb darum, den Mehrwert zu optimieren, den die einheimische Landwirtschaft für die Anspruchsgruppen und die Gesellschaft erbringt. Man müsse Prioritäten setzen und dabei das Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen bewahren, fügte Bourgeois an.
Mehrwert unter schwierigen Umständen
Wie dieser Mehrwert in der Praxis aussieht, zeigten die SBV-Vertreter vor Ort am Beispiel eines Bauernhofs in Mattstetten im Berner Mittelland. Der Betrieb von Magdalena und Michael Schneider ist kein Bio-Bauernhof, sondern ein durchschnittlicher Landwirtschaftsbetrieb. Trotzdem sticht beim Mehrwert die Ökologie innerhalb der Produktion hervor.
Grosser administrativer Aufwand
So werden etwa die Brotweizen nach Label-Richtlinien produziert, was laut Michael Schneider für Konsument und Produzent Vorteile bringe. Die Kartoffelproduktion erfolgt hingegen nicht in einem Labelprogramm. Dafür verlangen die Handelsbetriebe einen bestimmten Produktionsstandard. Der damit verbundene administrative Aufwand bringe für ihn aber «eigentlich nur Nachteile», sagte Schneider. Weitere Produktionszweige sind die Schweine- und Kälbermast. Die Schweine haben Auslauf ins Freie, da Schneider mit anderen Bauern eine Tierhaltergemeinschaft gegründet hat. Auf dem Land der Bauernfamilie stehen ausserdem Hochstammbäume, die Nistplätze für Vögel bieten.
«Wegen des wirtschaftlichen Drucks ist es nicht einfach, Mehrwert zu erbringen», sagte Schneider. Er sei jedoch zuversichtlich, dass ein Grossteil der Bevölkerung diesen Mehrwert auch in Zukunft schätzen werde.
SBV-Direktor Bourgeois bezeichnete in diesem Zusammenhang die Kommunikation als wichtiges Instrument. Denn die heutige Gesellschaft habe immer weniger Bezug zur landwirtschaftlichen Produktion, sagte er.
Einkommen gesunken
Zur Sprache kam auch die finanzielle Situation der Bäuerinnen und Bauern. «Diese sind auf ein Einkommen angewiesen, das ihnen eine langfristige Existenz erlaubt», sagte Bourgeois. Nach Schätzungen des SBV ging der Arbeitsverdienst pro Familienarbeitskraft in der Landwirtschaft im vergangenen Jahr um 3,7% auf 37’700 Franken zurück. Über ein Drittel der Betriebe weist einen Eigenkapitalverzehr aus und lebt somit von der Substanz, wie SBV-Vizepräsident Josef Dissler sagte.
Er bezeichnete diesen Zustand als inakzeptabel. «Es ist höchste Zeit, dass für die landwirtschaftlichen Produkte wieder ein Preis bezahlt wird, der ihrem Mehrwert entspricht», sagte Dissler. (awp/mc/pg)