Schmackhaft vs. gesund – unter Stress tendieren wir zu ungesunden Speisen. (Foto: Pixabay/mc)
Zürich – Starker Stress kann unsere Entscheidungsfähigkeit mindern. Nun zeigen Neuroökonomen der Universität Zürich, dass bereits moderater Stress ausreicht, um unsere Selbstkontrolle herabzusetzen. Ihre neue Studie liefert wichtige Hinweise zum Verständnis, wie Stress unser Gehirn bei der Entscheidungsfindung beeinflusst.
Entscheiden wir uns für die Frucht oder das Kuchenstück zur Nachspeise? Eine anstrengende Sitzung am Morgen oder ein schwieriges Gespräch mit einem aufgebrachten Kunden kann beeinflussen, ob wir nach dem Mittagessen zu einem zusätzlichen Stück Kuchen greifen. Neuroökonomen der Universität Zürich zeigen in einer neuen Studie, wie Stress das Gehirn dazu bringen kann, die Selbstkontrolle herabzusetzen, wenn es mit einer Wahl konfrontiert wird.
In der Studie wurden 29 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Labor einer Behandlung unterzogen, die moderaten Stress erzeugt: Die Versuchsleiterin beobachtet und bewertet die Probanden, während diese eine Hand drei Minuten lang in Eiswasser tauchen. Nach dieser Behandlung wählten die Probanden im MRT-Scanner in einer Reihe von Entscheidungen zwischen jeweils zwei Speisen aus. Weitere 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden einer Kontroll-Behandlung unterzogen. Bei der Auswahl der Speisen standen alle Probanden vor der Wahl, etwas Schmackhaftes, aber Ungesundes zu essen, oder etwas, das zwar gesund, aber weniger schmackhaft war. Alle Probanden hatten vorgängig angegeben, dass sie einen gesunden Lebensstil führten – etwa indem sie sich ausgewogen ernährten und Sport trieben.
Gestresste bevorzugten ungesunde Speisen
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass jene Personen mit der stressreichen Eisbadbehandlung die geschmacklichen Attribute übergewichteten. Sie wählten mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine ungesunde Speise aus als jene Probanden ohne Eisbadbehandlung. Die Auswirkungen des Stress’ waren auch im Gehirn sichtbar, wie die Wissenschaftler mithilfe von bildgebender funktioneller Magnetresonanz-Tomographie (FMRT) belegten. Zwischen den Hirnregionen, die für die Ausübung von Selbstkontrolle wichtig sind – wie dem Mandelkern, dem Striatum und dem für die Entscheidungsfindung wichtigen dorsolateralen und ventromedialen präfrontalen Kortex – zeigten sich bei den gestressten Teilnehmern veränderte neuronale Verbindungsmuster. Das üblicherweise mit Stress in Verbindung gebrachte Hormon Cortisol spielte jedoch nur für einige dieser neuronalen Veränderungen eine Rolle.
Stress wirkt sich über mehrere Hirnregionen aus
«Unsere Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Interaktionen zwischen Stress und Selbstkontrolle im menschlichen Gehirn. Klar ist, dass sich Stress über mehrere Wege im Gehirn auswirkt», sagt Hauptautorin Silvia Maier vom Labor zur Erforschung Sozialer und Neuronaler Systeme der Universität Zürich. Ebenso sei die Fähigkeit zur Selbstkontrolle an mehreren Punkten des neuronalen Netzes für Störungen empfänglich. «Die optimale Selbstkontrolle erfordert ein präzises Gleichgewicht zwischen den Interaktionen der beteiligten Gehirnregionen. Selbstkontrolle lässt sich nicht mit einem Schalter vergleichen, der entweder ein-oder ausgeschaltet ist», so Silvia Maier. «Stattdessen könnte man eher an einen Regler denken, mit dem die Stärke der Selbstkontrolle flexibel angepasst werden kann.»
Die Studie weist laut der Forschenden darauf hin, dass sogar moderater Stress die Selbstkontrolle beeinträchtigen kann. «Dies ist eine wertvolle Erkenntnis, da moderate Stressfaktoren häufiger sind als extreme Ereignisse und daher die Selbstkontrolle häufiger und bei einem grösseren Teil der Bevölkerung beeinflussen», bilanziert Todd Hare, Professor für Neuroökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich. (Universität Zürich/mc/pg)