«Big Pharma» mit Umsatz- und Gewinnrückgang
Zürich – Die Zeiten werden härter für «Big Pharma»: Im vergangenen Jahr mussten die zehn umsatzstärksten Pharmaunternehmen der Welt einen Umsatzrückgang um 2 Prozent1 auf insgesamt 359 Milliarden Euro hinnehmen. Der Gewinn ging ebenfalls zurück: um 1 Prozent auf 95 Milliarden Euro. Eine bessere Umsatzentwicklung konnten die Unternehmen aufweisen, die im Umsatzranking die Plätze 11 bis 20 belegen: Ihr Umsatz stieg um 3 Prozent. Beim Gewinn hingegen mussten sie einen noch stärkeren Rückgang hinnehmen als die Top 10: Ihr Gesamt-EBIT sank um 11 Prozent.
Die Gründe für die insgesamt schwache Umsatzentwicklung der Pharmakonzerne – der Gesamtumsatz aller in den Top 20 gerankten Unternehmen ging um 1 Prozent zurück, das EBIT sogar um 3 Prozent – sind vielfältig: Sinkende Produktpreise, eine stagnierende Nachfrage in den angestammten Märkten, fehlender Nachschub an umsatzstarken Wirkstoffen und die zunehmende Konkurrenz durch billige Nachahmerprodukte. Die Antwort der Unternehmen besteht zum einen in umfassenden Kostensenkungs- und Restrukturierungsmassnahmen. Zum anderen steigen die Investitionen in Forschung und Entwicklung im vergangenen Jahr um 1 Prozent auf knapp 70 Milliarden Euro. Zukünftiges Wachstum dürfte allerdings vor allem zu erzielen sein, indem die Pharma-Unternehmen neue Märkte erschliessen und ihre Geschäftsmodelle stärker auf den Patienten ausrichten. Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen der 20 grössten Pharmaunternehmen der Welt, die das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Ernst & Young erstellt hat.
Wachstumsschwäche und Margendruck
Acht der zwanzig grössten Pharma-Unternehmen der Welt verzeichneten in ihrem Pharmageschäft einen Umsatzrückgang – zum Teil wegen Patentabläufen umsatzstarker Medikamente und der Konkurrenz durch Generika, zum Teil aber auch aufgrund des Spardrucks im Gesundheitswesen in den Industrieländer. Zwar erzielten einige Unternehmen deutlichen Zuwachs in den Schwellenländern, diese konnten aber die Einbussen in Nordamerika und Europa nicht ausgleichen.
Anhaltend hohe Investitionstätigkeit
Dass trotz zum Teil massiver Kostensenkungsprogramme auch der Gewinn rückläufig war, führt Patrick Flochel, Leiter des Bereiches Pharmaceutical bei Ernst & Young, einerseits auf Restrukturierungskosten zurück, andererseits aber auch auf die anhaltend hohe Investitionstätigkeit der Unternehmen – sowohl in neue Märkte als auch in neue Wirkstoffe. Die Gesamt-F&E-Quote, also der Anteil von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung am Umsatz, stieg im vergangenen Jahr leicht von 14,5 auf 14,8 Prozent. Gleichzeitig ging die EBIT-Marge von 26,2 auf 25,5 Prozent zurück.
Eine durchgreifende Verbesserung der Gewinnsituation in den kommenden Jahren erwartet Patrick Flochel nicht – im Gegenteil: «Die Margen der Pharmakonzerne geraten weiter unter Druck.» Zwar hätten einige Unternehmen vielversprechende neue Wirkstoffe in der Pipeline, jedoch drohten angesichts der «Patentklippe» weitere Preisrisiken bzw. Mengenverluste in den kommenden Jahren. «Big Pharma steht vor grossen Herausforderungen. Die Branche muss Antworten auf die Frage finden, wo in Zukunft noch Wachstum herkommen soll», stellt Patrick Flochel fest.
Grundsätzlich benötige eine älter werdende Gesellschaft mehr Medikamente – diesem Wachstum steht laut Patrick Flochel allerdings der erhebliche Preisdruck entgegen, der von den Kostenträgern und der Politik ausgehe. Deutliche Umsatzsteigerungen in den Industrienationen seien deshalb unwahrscheinlich. Auch in den Schwellenländern wachse zwar mit dem Wohlstand die Nachfrage nach Medikamenten. Aber: Ein Engagement in diesen Ländern sei oft mit hohen Risiken verbunden, so Patrick Flochel: «Die Märkte in den Schwellenländern funktionieren nach ganz eigenen Spielregeln, die Geschäftsmodelle aus den entwickelten Märkten lassen sich da nicht Eins-zu-Eins übertragen.» Eine starke Präsenz in den Schwellenländern sei zwar ein Muss: «Allerdings herrscht dort ein niedrigeres Preisniveau – was sich auf die Marge auswirken dürfte.»
Weniger Fusionen und Übernahmen
Ein weiteres Mittel, die aktuelle Wachstumsschwäche zu überwinden, wären verstärkte M&A-Transaktionen. Allerdings waren bereits in den vergangenen Jahren die M&A-Investitionen der grossen Pharma-Hersteller rückläufig: Im Jahr 2009 investierte «Big Pharma» noch 101 Milliarden US-Dollar in Zukäufe, 2011 waren es immerhin noch 64 Milliarden US-Dollar. 2012 flossen hingegen nur 28 Milliarden US-Dollar in M&A-Transaktionen. «Die Feuerkraft der Unternehmen ist gesunken», begründet Patrick Flochel die rückläufige Entwicklung. Gründe seien fehlende Finanzmittel bzw. hohe Schulden wegen rückläufiger Cash Flows, teurer Zukäufe in der Vergangenheit, Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen. Zudem versuchten auch «Big Biotech», Specialty Pharma- und Generika-Hersteller mittels M&A-Transaktionen zu wachsen, was die Preise in die Höhe treiben dürfte.
Geschäftsmodelle im Wandel: Service-Angebote im Kommen
«Das Geschäftsmodell der Pharmaunternehmen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert», so Patrick Flochel. «Im Zentrum stand immer die Entwicklung von Wirkstoffen und deren Vertrieb, der über Ärzte und Kliniken – mit oder ohne zwischengeschaltete Grosshändler – erfolgte. Ein direkter Kontakt zwischen Patienten und Pharmaunternehmen kam kaum zustande. Das wird sich in Zukunft ändern. Denn die Pharmahersteller werden an der tatsächlichen Wirksamkeit ihrer Wirkstoffe nicht nur in klinischen Studien, sondern auch in der praktischen Anwendung gemessen.»
Um das zu erreichen, würden die Unternehmen zunehmend den direkten Kontakt zu den Patienten suchen und versuchen, deren Verhalten mittels begleitender Serviceangebote zu beeinflussen – beispielsweise über Apps, die bei der Diagnose von Erkrankungen und der Überwachung von Therapien helfen: «Sogar die Einnahme der verordneten Medikamente kann so überprüft werden», so Flochel. «Die Förderung gesunder Verhaltensmuster wie ausgewogene Ernährung, Gewichtskontrolle und korrekte Medikamenteneinnahme wird an Bedeutung gewinnen. Dazu wird sich die Pharmabranche öffnen und Kooperationen mit bislang branchenfremden Playern eingehen – etwa aus den Bereichen IT, Telekommunikation oder aus der Nahrungsmittelindustrie.» (E&Y/mc/pg)