Normalerweise sorgt die Aussicht auf eine Konjunkturerholung für eine Umschichtung im Aktiendepot. Hintergrund ist, dass verbesserte wirtschaftliche Aussichten typischerweise auch steigende Inflation und höhere Zinsen mit sich bringen. Sektoren wie Energieunternehmen oder Finanzwerte, die niedrigeres Gewinnwachstum aufweisen als etwa Technologiefirmen, werden von einem Zinsanstieg weniger betroffen, weil ihr Gewinnpfad flacher verläuft und damit der Anteil ihrer weit in der Zukunft liegenden Gewinne geringer ist. Anders ausgedrückt: Die Duration ihrer durchschnittlichen Zukunftsgewinne ist niedriger als bei Wachstumsunternehmen, und somit lockt die Aussicht auf einen Wirtschaftsaufschwung Anleger aus den Wachstumsunternehmen heraus und in die „Value“-Sektoren mit ihren höheren Aktienrisikoprämien hinein. Die grosse Rotation beginnt.
Diesmal könnte die Rotation weit bescheidener ausfallen. Dies liegt an unserer Erwartung eines veränderten Blicks auf die anstehende Nominalzinsveränderung, die wir im brandneuen „Global Outlook“ des BlackRock Investment Institute unter dem Stichwort „The New Nominal“ thematisieren. Die Idee ist, dass im gegenwärtigen Umfeld die Erwartung steigender Inflation die Zentralbanken vermutlich weit weniger zu Zinserhöhungen treiben dürfte als in der Vergangenheit. Wenn aber die Leitzinsen auch angesichts steigender Inflation nahe null bleiben und die Zentralbanken die längerfristigen Renditen durch zusätzliche Anleihekäufe niedrig halten, bleibt die Zinskurve flach und ihr Niveau niedrig, wodurch die oben skizzierte Verschiebung der relativen Attraktivität von Gewinnströmen entfällt bzw. zumindest abgeschwächt wird. Auch profitieren Finanzwerte, ein typischer „Value“-Sektor, im Aufschwung weit weniger, wenn die Zinsstrukturkurve flacher bleibt als üblich. All dies spricht dafür, dass die durch den Aufschwung bedingte Sektorrotation diesmal ein paar Nummern kleiner ausfallen dürfte.
Ob und wann der Aufschwung kommt, hängt weiterhin vom Verlauf der Pandemie ab. Bevor die Wirtschaft wieder durchstarten kann, ist zunächst ein weiteres Herunterfahren nötig, denn – viel zu spät angesichts der dramatischen Infektionszahlen – geht Deutschland morgen zurück in einen härteren Lockdown. Noch ist völlig ungewiss, wie es danach, also ab dem 10. Januar, weitergehen soll. Erinnern wir uns: Der „Wellenbrecher“-Lockdown ab 2. November wurde explizit als zeitlich begrenzte Massnahme für vier Wochen angekündigt, mit dem Ziel, Weihnachtsgeschäft und – feiern wieder voll mitnehmen zu können. Diese Verlockung war es wohl auch, welche die Politik viel zu lange an den zu weichen Massnahmen hat festhalten lassen. Erst die schockierenden Zahlen der letzten Woche mit Spitzenwerten von bis zu knapp 30.000 Neuinfizierten und 600 Toten innerhalb von nur 24 Stunden hat nun die Kehrtwendung bewirkt. Aber die ab morgen geltenden Einschränkungen kommen nicht nur zu spät, sie sind auch halbherzig. Denn ohne drastische Kontaktverbote inklusive nächtlicher Ausgangssperren wird es, so zeigt etwa die Erfahrung des in dieser Hinsicht weit erfolgreicheren Österreichs, nicht gelingen, die 7 Tage-Inzidenz wieder in die Nähe von 50 pro 100.000 Einwohner zu bringen. Angesichts eines Bundesdurchschnitts von 176,4 am Sonntag erscheint dieses Ziel als unerreichbar. Die zugesicherten Lockerungen über die Weihnachtstage lesen sich in diesem Zusammenhang wie ein zynischer Scherz.
Was das für Anleger bedeutet
Dass die Aktienmärkte, anders als im Frühjahr, angesichts des Lockdowns vor allem vieler Dienstleistungsbereiche nicht in die Knie gehen, liegt daran, dass sie die Zukunft bewerten, nicht die Gegenwart. Und der Ausblick auf 2021 sieht angesichts der Impfstoffe positiv aus. Unterstützung kommt auch von der Verheissung einer berechenbareren US-Politik unter Joe Biden, der gestern im Electoral College gewählt wurde und am 20. Januar vereidigt wird. Fragt man sich etwas verwundert, ob der abgewählte Noch-Präsident das mal wieder als einziger nicht begriffen hat oder warum er sonst noch in Wahlkampfmanier wild um sich schlägt, stösst man schnell auf Georgia. Dort nämlich, im Südosten der USA, im traditionell republikanischen Bundesstaat mit seinen rund fünf Millionen Wahlberechtigten, werden am 5. Januar zwei entscheidende Senatssitze durch Stichwahl vergeben. Gewinnen beide die demokratischen Kandidaten, kippt die Balance im Senat zugunsten von Joe Bidens Demokraten. Holen die Republikaner auch nur einen der beiden Sitze, behalten sie die Mehrheit und können im Kongress so ziemlich jedes Gesetz der neuen Regierung blockieren. Es gibt also tatsächlich einen guten Grund, warum sich Trump noch immer im Wahlkampfmodus befindet. Erst nach den Stichwahlen am 5. Januar wird sich zeigen, wie sich die Republikaner für die nächste Legislaturperiode aufstellen und welchen Wert Trump dabei noch für sie hat. (BlackRock/mc/ps)
Weitere Informationen bietet der Video-Kommentar von Martin Lück: