Blackrock: Aktueller Blick auf die Märkte – Die unbekannte Welt nach Covid

Blackrock: Aktueller Blick auf die Märkte – Die unbekannte Welt nach Covid
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Auch die letzte Woche verging nicht ohne marktbewegende Nachrichten aus bzw. um China. Zunächst liess ein Statement von US-Präsident Joe Biden aufhorchen, dem zufolge die USA Taiwan im Falle einer chinesischen Invasion militärisch beistehen würden. Dann sorgte Evergrande, der zweitgrösste Immobilienentwickler Chinas und seit Wochen Wackelkandidat für eine drohende Zahlungsunfähigkeit, für Erleichterung, indem das Unternehmen fällige Zinszahlungen in Höhe von rund 83,5 Mio. Dollar auf seine ausstehenden Schulden bedienen konnte. Und dann signalisierte eine BIP-Wachstumszahl von annualisiert nur 4,9% für das dritte Quartal, dass die Kommunistische Partei (KP) die jüngsten Regulierungen im Technologie-, Finanz- und Immobiliensektor tatsächlich mit erheblichen Wohlfahrtseinbussen bezahlt hat.

Jedoch der grösste und möglicherweise dauerhafteste Einfluss der Veränderungen für die Weltwirtschaft, welche von China ausgehen, ist derzeit in Gestalt von Rohstoff- und Energieknappheiten bzw. entsprechend steigenden Preisen zu besichtigen. Denn während der drastische Basispreiseffekt, der in diesem Jahr Produzenten- und Verbraucherpreise mechanisch nach oben gehebelt hat, erwartbar und offensichtlich war, erweist sich zunehmend die Neuausrichtung globaler Lieferketten mit Blick auf die sich ändernde Rolle Chinas als wesentlich hartnäckigere Baustelle.

Auch wenn Evergrande in dieser Woche erneut die bis Freitag fälligen 47,5 Mrd. Dollar auf den Tisch legen kann und vergangene Woche mit seiner Ankündigung, das Geschäftsmodell über die nächsten zehn Jahre von Immobilien auf Elektrofahrzeuge umzustellen, für neue Hoffnung unter Investoren sorgte, ist absehbar, dass in der post-Covid-Welt unser Blick auf China ein anderer sein wird als in der Zeit davor. Einiges dürfte damit zu tun haben, dass sich der Westen (und damit ein grosser Teil der Finanzmarktakteure) von der lange gehegten Illusion wird verabschieden müssen, dass China mit wachsendem Wohlstand in Richtung des westlichen Gesellschaftsmodells konvergieren werde.

Inzwischen erscheint das Gegenteil wahrscheinlicher. Denn vor allem seit Beginn der Präsidentschaft von Xi Jinping im Jahr 2013 ist der Zugriff der KP in vielen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft strikter geworden. Interessen im Hinblick auf den «Ein-China-Ansatz» der Partei werden mit weit weniger Rücksicht auf die USA oder Europa durchgesetzt als noch vor wenigen Jahren. Zu besichtigen ist dies in Form des sogenannten «Sicherheitsgesetzes» für Hongkong, den immer massiveren Drohungen gegenüber Taiwan oder auch der Gleichgültigkeit gegenüber westlicher Empörung über Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang. Gleichzeitig versucht die Staatsführung, mit einer Art Wohlstand-füralle-Konzept die Unterstützung in der Bevölkerung hochzuhalten und mit der «Dual Circulation»-Idee unabhängiger vom Welthandel zu werden.

Die Transformation Chinas ist die grösste Unbekannte der nächsten Jahre
Dies alles spricht dafür, dass China sich in einer umfassenderen Transformation befindet als die meisten von uns sich vor der Pandemie vorstellen konnten. Und allein wegen des Gewichts der chinesischen Volkswirtschaft, die inzwischen rund ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung ausmacht und noch vor Ende der Dekade die USA als grösste Volkswirtschaft der Welt ablösen dürfte, hat diese Transformation enorme Bedeutung für den Welthandel. Das Neusortieren globaler Lieferketten nach der Pandemie dürfte also, selbst wenn die Covid-bedingten Unterbrechungen behoben sind, umfangreicher ausfallen als bis vor kurzem angenommen.

Für Anleger, die berechtigterweise im geringen Gewicht chinesischer Assets in internationalen Benchmarks (für Aktien und Anleihen in der Grössenordnung von fünf Prozent) eine Chance sehen, ergeben sich wichtige Schlussfolgerungen. Denn bildet erstens dieses Gewicht aktuell nicht die Bedeu-tung Chinas in der Weltwirtschaft ab, wäre zweitens die Annahme einer fairen Gewichtung in der Nähe des BIP-Anteils (also rund 20%) ebenfalls vermessen. Der anzustrebende Wert dürfte also irgendwo dazwischen liegen. Drittens führt die Feststellung, dass sich Chinas Ökonomie und Gesellschaft in einer Transformation befinden, deren genaue Richtung unabsehbar ist, das Land aber vermutlich weiter vom westlichen Modell entfernt, zu einer höheren Risikoprämie für Anla-gen in China. Und viertens schliesslich stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit Anforde-rungen an ethisches Investieren, ein nicht ganz unwichtiges Kriterium für immer mehr Anleger.

Derweil sind in Deutschland SPD, Grüne und FDP in offizielle Koalitionsverhandlungen einge-stiegen. Spätestens jetzt ist für die Liberalen der mögliche Zeitpunkt des Absprungs verpasst, denn nach 2017 noch einmal die Verhandlungen platzen zu lassen, können sie Land und Wäh-lern wohl nicht zumuten. ‚Failure is not an option‘ lautet ab jetzt die Parole. Mit dieser Festle-gung, welche die Hoffnung auf eine Neuausrichtung der Bundespolitik nährt, erhöht sich somit die Wahrscheinlichkeit auf eine Regierungsbildung noch in diesem Jahr. (BlackRock/mc)

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