Von Ann-Katrin Petersen, Chief Investment Strategist bei BlackRock
Kapitalanlage: Ein Jahr mit zwei Akten
Vieles sprach dafür, dass das Jahr 2024 ein Jahr mit zwei Akten werden könnte: Zuerst würden sich niedrigere Inflationsraten und starke Unternehmensgewinne positiv auf den Risikoappetit von Anlegern auswirken, unterfüttert durch das Narrativ „makellose Disinflation plus Zinswende plus Wachstumsoptimismus“. Anschliessend würde die Inflation, gerade in den USA, wieder anziehen, wenn die fallenden Güterpreise ihre dämpfende Wirkung verlieren würden, während die Inflation im Dienstleistungssektor angesichts des angespannten Arbeitsmarkts hartnäckig hoch bliebe („Achterbahnfahrt bei der Inflation“). Zusammen mit der Einsicht, dass die Notenbanken nur begrenzten Spielraum haben, um die Leitzinsen zu senken, hätte dies der Euphorie an den Börsen die Stirn geboten.
Doch am aktuellen Rand kühlt sich die Inflation nicht so zügig ab, wie wir erwartet hatten – was darauf hindeutet, dass der zweite Akt möglicherweise bereits früher bevorsteht. Die Stimmung an den Börsen hat einen Dämpfer erhalten, seitdem die jüngsten US-Inflationszahlen und erhöhte geopolitische Risiken für Verunsicherung gesorgt haben.
In der Vergangenheit war es meist nicht ratsam, bei der Kapitalanlage unmittelbaren geopolitischen Risikoereignissen ein zu grosses Gewicht beizumessen. Allerdings besteht das heutige Gesamtbild unseres Erachtens aus einer Welt mit erhöhtem geopolitischem Risiko und einer niedrigeren Schwelle für Eskalationen. In einem solchen Umfeld bleiben aus Anlagesicht Engagements erforderlich, die mittelfristige Risiken absichern. Wir bevorzugen daher inflationsgeschützte Anleihen für einen strategischen, langfristigen Anlagehorizont und sehen Energieaktien als möglichen Schutz gegen geopolitische Belastungsproben.
Berichtsaison: Knackpunkt Unternehmensgewinne
In der kürzeren Frist steht für die Börsianer im Mittelpunkt, ob der jüngste Rückgang der Aktienkurse nur ein Ausrutscher war. Unserer Meinung nach hängt die Antwort darauf wesentlich davon ab, ob das Wachstum der Unternehmensgewinne – fundamentales Rückgrat der Börsen – stark genug ausfällt, um den möglichen Gegenwind durch hartnäckig hohe Inflationsraten, eine Zinswende „light“ und geopolitisch geschürte Unsicherheit auszugleichen.
Es ist durchaus möglich, dass die Unternehmensgewinne im ersten Quartal die teils sportlichen Erwartungen übertreffen und die Börsen zuversichtlich bleiben, während höhere Anleiherenditen gleichzeitig die Aktienbewertungen belasten. Wir halten an der taktischen Übergewichtung von US-Aktien fest, bleiben jedoch in Stellung für einen möglichen Kurswechsel.
Die wichtigste Woche der laufenden Berichtssaison steht bevor und könnte für die Börsen einen Lackmustest darstellen. Zum einen werden nach Marktkapitalisierung rund 40% des US-amerikanischen S&P 500, 30% des deutschen DAX und 20% des europäischen STOXX 600 ihre Unternehmenszahlen vorlegen*. Zum anderen präsentieren einige grosse US-Technologieunternehmen ihre Ergebnisse. Angesichts der jüngsten Stimmungseintrübung an den Aktienmärkten und der geringeren Aussichten auf Zinssenkungen müssen wohl nicht nur die Technologieunternehmen die hohen Gewinnerwartungen erfüllen, sondern auch andere Sektoren bessere Ergebnisse zeigen.
Gewinner der künstlichen Intelligenz (KI) sollten weiterhin Chancen bieten. Dabei beobachten wir, wie sich dieses Investmentthema entlang unserer Erwartungen eines „KI-Stapels“ ausbreitet. Von Chip- und Hardwareherstellern hin zu Dateninfrastruktur und Anwendern von KI. So sind die Erwähnungen von KI in Nicht-Technologiesektoren seit 2022 deutlich um 250% gestiegen, wie das „Systematic Equity“-Team von BlackRock festgestellt hat (Quelle: BlackRock Systematic, Februar 2024). Neben Branchen, die Raum für Automatisierung und Produktivitätssteigerungen bieten, geht der Fortschritt von KI unseres Erachtens unter anderem mit Chancen im Gesundheitswesen einher.
US-Inflation: Taktgeber für Zinserwartungen
Neben den Unternehmensgewinnen wird in der kommenden Woche der Deflator der privaten Konsumausgaben in den USA (Freitag) den Takt vorgeben. Es handelt sich um das bevorzugte Inflationsmass der US-Notenbank Fed. Es ist unwahrscheinlich, dass die Daten eine baldige Anhebung des Leitzinses nahelegen. Im Unterschied zur Europäischen Zentralbank scheint eine Zinssenkung der Fed im Juni vom Tisch zu sein, daher werden die Inflationszahlen eher die Chancen einer Zinssenkung im Juli oder später beeinflussen, die an den Terminmärkten eingepreist sind.
Die Anpassung der Inflations- und Zinserwartungen hat die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen auf Fünfmonatshochs steigen lassen. Bei langfristigen Anleihen sind wir taktisch neutral positioniert, da die Renditen kurzfristig in beide Richtungen ausschlagen können – langfristig erwarten wir aber höhere Renditen. Mit anderen Worten, langfristige Staatsanleihen sind weniger diversifizierend in einem Umfeld mit höherer und schwankender Inflation. Als Einkommensquelle favorisieren wir kurzfristige Staatsanleihen, hochverzinsliche Unternehmensanleihen aus dem Euroraum sowie Hartwährungsanleihen aus Schwellenländern.
Fazit: Eine wiederauflebende Inflation könnte früher in Sicht kommen als erwartet. Wir behalten im Auge, ob Unternehmen weiterhin in der Lage sind, die erwarteten Gewinne zu liefern, was die Risikoneigung stützen würde. In einer Welt erhöhter geopolitischer Risiken bleiben Engagements erforderlich, die mittelfristige Risiken absichern. Wir bevorzugen inflationsindexierte Anleihen und sehen Energieaktien als möglichen Puffer gegen geopolitische Risiken. (BlackRock/mc/ps)
Zu guter Letzt «in eigener Sache»: Der nächste Marktausblick wird am 7. Mai erscheinen.