BlackRock Marktausblick: Ausbau der künstlichen Intelligenz (KI) zunächst inflationär
Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Die globalen Börsen gaben in der vergangenen Woche ein uneinheitliches Bild ab. In Europa lastete nicht nur der EU-Zollstreit auf den Kapitalmärkten, sondern auch der Ausgang der Europawahlen sowie die Unsicherheit über die vorgezogenen Parlamentsneuwahlen in Frankreich. Risiken für die Haushaltskonsolidierung liessen die Renditeaufschläge französischer gegenüber deutschen Staatsanleihen merklich ausweiten (Quelle: LSEG, 14.06.2024). In dieser Woche könnten die vorläufigen Einkaufsmanagerindizes am Freitag neben der Fussball-Europameisterschaft für eine aufgehellte (Konjunktur-)Stimmung sorgen.
In den USA fiel die Inflation im Mai überraschend niedrig aus, wodurch die grössten Sorgen der Märkte vor einer wiederauflebenden Inflation scheinbar gemildert wurden. Neben der anhaltenden Euphorie rund um den Vormarsch der KI trieb dies die US-Aktienkurse beim S&P 500(1) und Nasdaq 100(2) auf Rekordniveaus – gleichzeitig aber auch die Anleiherenditen nach unten.
Die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen fielen um über 20 Basispunkte auf knapp über 4,2% (Quelle: LSEG, 14.06.2024). Der schwache Inflationswert für Mai spiegelte eine geringere Kerninflation im Dienstleistungssektor wider. Die jährliche Kerninflation erreichte mit 3,4 % den niedrigsten Stand seit April 2021 (Quelle: LSEG, 14.06.2024). Die Märkte sind wieder dazu übergegangen, zwei Zinssenkungen der US-Notenbank Fed einzupreisen, obwohl die Fed-Projektionen inzwischen für dieses Jahr nur noch eine signalisieren.
Zinswende light: Fed rechnet nun nur noch mit einer Zinssenkung in diesem Jahr
Die US-Notenbank Fed beliess am Mittwoch den Leitzinskorridor wie erwartet unverändert bei 5,25% bis 5,50% und deutete nur auf einen statt drei Zinsschritte für dieses Jahr hin (Quellen: Fed, LSEG, 12.06.2024. Auch wenn US-Aktienmärkte die Nachricht gelassen hinnahmen, verlassen wir uns aufgrund des datenabhängigen Ansatzes der Fed nicht allein ihre kommunikativen Hinweise.
Bei dem halbjährlichen „BII Outlook Forum“, in dessen Rahmen am 6. und 7. Juni die führenden Investmentstrategen von BlackRock in New York zusammenkamen, hat sich unsere Einschätzung verstärkt, dass wir uns aufgrund der hartnäckigen Inflation in einem Umfeld mit langfristig höheren Zinssätzen befinden. Die Bevölkerungsalterung, Neugestaltung globaler Lieferketten und der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft spielen dafür eine Rolle.
Während unserem Forum vor sieben Monaten hatten die Märkte mit mehrfachen Zinssenkungen der Fed im Jahr 2024 gerechnet. Stattdessen hat die Fed jedoch den Finger auf der Pausentaste gehalten. Die Fed hat sich allmählich an eine Realität angepasst, in welcher Zinssätze länger hoch bleiben müssen – nicht nur kurzfristig, sondern auch auf lange Sicht. Dies zeigt sich in der allmählichen Anhebung ihrer eigenen Schätzung der langfristigen Zinssätze. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Zinsen Anfang dieses Monats zu senken, obwohl sich das Wachstum verbesserte, die Inflation weiterhin über dem Zielwert lag und die Arbeitslosigkeit ein Rekordtief erreichte, war nach unserer Meinung nicht der Auftakt zu einem vollumfänglichen Zinssenkungszyklus. Das Gleiche wird unserer Ansicht nach auch für das Vorgehen der Fed in diesem Jahr gelten.
In dieser Woche werden die Zentralbanken in Norwegen, der Schweiz, Grossbritannien und Australien tagen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Zinswende vor den Wahlen in Grossbritannien im Juli ist gering. Die Bank of England dürfte jedoch eine erste Zinssenkung im August in Erwägung ziehen. Sinkende Warenpreise gleichen die zähe Dienstleistungsinflation aus und ziehen die britische Gesamtinflation nach unten (Quelle: LSEG, 14.06.2024). Nichtsdestotrotz hat die Bank of England das Risiko einer erhöhten Inflation anerkannt, insbesondere aufgrund der Auswirkungen geopolitischer Spannungen. Die Schweizerische Notenbank könnte im weiteren Jahresverlauf erneut die Zinsen senken.
Künstliche Intelligenz: Zunächst ausgewählte Profiteure, kostspieliger Ausbau
Inzwischen gehen wir davon aus, dass der Vormarsch der KI zunächst einen inflationsfördernden Effekt haben könnte. Zudem dürfte über einen taktischen Horizont von sechs bis zwölf Monaten eine konzentrierte Gruppe von KI-Gewinnern die Renditen antreiben.
Bei unserem letzten BII-Forum erregte KI Aufmerksamkeit als Technologie, die die Produktivität langfristig steigern und den Inflationsdruck dämpfen könnte. Doch wird es wahrscheinlich einige Zeit dauern, bis sich diese Auswirkungen auch tatsächlich realisieren. Unsere Portfoliomanager glauben zunehmend, dass der anfänglich erforderliche Ausbau der KI-Investitionen inflationär wirken könnte. Die Kapitalausgaben für KI-Rechenzentren sprudeln bereits seit dem „ChatGPT-Moment“ im letzten Jahr. Der sich abzeichnende Investitionsboom und die Inanspruchnahme von Ressourcen könnten Engpässe verursachen, bevor KI langfristigen Vorteile freisetzt, die den Inflationsdruck verringern könnten. Diese Nuance wird unserer Ansicht nach von den Märkten und Zentralbanken nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.
An den Aktienmärkten wird die KI-Rallye durch Unternehmensgewinne gestützt und hat unserer Einschätzung nach noch mehr Potenzial. Die Rentabilität von Mega-Cap-Technologieunternehmen unterscheidet sich dabei von den unrentablen Unternehmen, die die Dotcom-Blase in den späten 90ern auslösten. Allerdings sind wir der Meinung, dass das plausibelste Szenario eine fokussierte Gruppe von KI-Gewinnern ist, die Renditen über einen taktischen Zeithorizont von sechs bis zwölf Monaten vorantreiben.
Taktische Anlage: Gezielte Chancen bei Aktien und Anleihen
Wie geht es an den Märkten weiter? Zwei massgebliche Impulsgeber an den Aktienmärkten – KI und eine „Zinswende light“ – haben in den vergangenen Wochen neue Nahrung erhalten.
Wir sind der Meinung, dass das plausibelste Szenario eine fokussierte Gruppe von KI-Gewinnern ist, die die Renditen über einen taktischen Zeithorizont vorantreiben. Wir halten an unserer Übergewichtung von Technologie und dem KI-Thema fest. Solide Unternehmensbilanzen und Gewinntrends unterstützen unsere konstruktive Haltung. Wir glauben, dass die fälligen Verbindlichkeiten von Unternehmen mit Investment-Grade-Rating in den nächsten Jahren auch bei höheren Zinsen beherrschbar sind. Gleichzeitig verbessern sich die Gewinne auf breiterer Basis: Acht von elf S&P-500-Sektoren haben im ersten Quartal ihre Nettogewinnmargen erhöht (Quelle: LSEG, 14.06.2024).
Aufgrund unserer Risikoneigung favorisieren wir Aktien gegenüber festverzinslichen Wertpapieren. Allerdings bedeutet das langfristig höhere Zinsniveau, dass wir kurzfristige Anleihen als Einkommensquelle bevorzugen.
1) Der Standard and Poor’s 500, S&P 500 – Ein Aktienindex, der 500 der grössten US-Unternehmen umfasst.
2) Der Nasdaq-100 ist ein Börsenindex aus Aktienwerten der 100 grössten, an der Nasdaq-Börse notierten Nicht-Finanzunternehmen zusammensetzt.