BlackRock Marktausblick: Bad news is good news
Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Dass schwächer als erwartet hereinkommende Makrodaten hin und wieder zu positiven Marktreaktionen führen, ist eine Binsenweisheit. Die Logik dahinter ist in der Regel simpel: nachlassende Makrodynamik bremst die Notenbank in ihrem Eifer, die Geldpolitik weiter zu straffen. Genau dies scheint sich nun in der grössten Volkswirtschaft der Welt abzuspielen, wobei gar nicht klar ist, ob es die markante Abkühlung der ökonomischen Daten wirklich gebraucht hätte.
Denn die im Zusammenhang mit der erneuten Zinspause artikulierten, unerwartet klaren Andeutungen seitens Fed-Chairman Jerome Powell (Federal Reserve – US-Notenbank, kurz Fed), aus denen der wahrscheinliche Verzicht auf weitere Zinsanhebungen herauszuhören war, erfolgten bereits am Mittwoch, also zwei Tage vor dem Arbeitsmarktbericht. Letzterer sorgte dann mit schwächerem Jobwachstum im Oktober (150.000 neue Stellen statt 180.000 wie erwartet) und vor allem einer Abwärtsrevision der Vormonatsdaten für ein nicht mehr ganz so starkes Bild vom US-Arbeitsmarkt. Und weil gleichzeitig die Arbeitslosenquote leicht stieg (von 3,8 auf 3,9%) und das Lohnwachstum sich ermässigte (von 4,3 auf 4,1%), lasen Marktteilnehmer diesen Datensatz zum Wochenausklang als Beleg dafür, dass Powells Ankündigungen vom Mittwoch voll und ganz durch die Zahlen untermauert wurden. Folgerichtig gaben die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen über die Woche um rund 30 Basispunkte nach und liegen nun wieder fast einen halben Prozentpunkt unter ihrem im Oktober notierten Höchststand von über 5%. Für die Aktienmärkte ergaben sich die stärksten Wochengewinne seit rund einem Jahr. Der S&P 500 legte um 5,9% zu, Technologiewerte sogar um über 7%. Europa profitierte ebenfalls mit starken Kurszuwächsen, der DAX schloss zum Wochenausklang wieder über 15.000 Punkten.
Die andere Ingredienz für die Aktienpreise, nämlich die Unternehmensgewinne, liefert derzeit ein Bild, welches zumindest den konstruktiven Blick Richtung Jahresende nicht stört. Denn die Berichtssaison für das dritte Quartal, die inzwischen in den USA zu über drei Vierteln abgeschlossen und in Europa ebenfalls weit fortgeschritten ist, verläuft weniger holprig als erwartet. Rund 80% der US-Unternehmen konnten bisher, nach Marktkapitalisierung gerechnet, die Erwartungen übertreffen. Dieses Kunststück gelang bei den Umsatzprognosen allerdings nur 61% der Firmen. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass es vor allem in schwierigen Zeiten für Unternehmen darauf ankommt, ihre Margen zu schützen bzw. idealerweise sogar auszubauen.
Hohe Unsicherheit bei Makro-Daten, Assetpreisen und Geopolitik
Während sich die amerikanische Notenbank, in Begleitung ihrer Pendants etwa in der Eurozone und Grossbritannien, mit ihrem Leitzins nun wohl auf ein länger währendes Hochplateau begeben hat, dürfte sich der Fokus der Marktteilnehmer auf die Gestalt der Zinsstrukturkurve verlagern. Denn die grosse Frage, auf welche Weise sich die Invertiertheit der Kurve, also eine Situation, in der die kurzfristigen Zinsen die langfristigen deutlich übersteigen, auflöst, ist keineswegs trivial. Normalerweise sorgt dafür eine Rezession, für die eine invertierte Zinskurve genau deswegen als verlässliches Signal gilt. Indem sich dann die Erwartung der Marktteilnehmer auf kräftige Zinssenkungen der Notenbank verfestigt, gerät das kurze Ende der Zinskurve ins Rutschen, die Kurve wird wieder steiler. In der aktuellen Situation zeigen sich aber, wie auch hier schon des Öfteren beschrieben, kaum Hinweise auf eine Rezession in den USA, und auch der Markt preist bisher nur sehr moderate Zinssenkungen seitens der Fed (gegenwärtig rund 100 Basispunkte für 2024 insgesamt), und dies frühestens im Sommer nächsten Jahres. Gut möglich also, dass die aktuelle Invertierungsphase, die schon jetzt eine der längsten der US-Wirtschaftsgeschichte ist, sich eher über das längere Ende des Laufzeitenspektrums auflöst. Dies würde bedeuten, dass die Renditen lang laufender Obligationen weiter ansteigen, ein Szenario, welches vor allem vor dem Hintergrund strukturell höherer Inflation und eines verschärften Wettbewerbs um Kapital nicht undenkbar erscheint. Ersteres, nämlich auf Sicht oberhalb von 2% verharrende Inflation, lässt sich plausibel mit den berühmten Ds (Demographie, Deglobalisierung, Dekarbonisierung) begründen und scheint sich immer dauerhafter in den Inflationserwartungen der Marktteilnehmer niederzuschlagen. Letzteres, der Wettbewerb um Kapital, dürfte angesichts enormer Platzierungsvolumen des US-Schatzamtes bei gleichzeitig fortgesetztem ‚Quantitative Tightening‘ der Fed auch und vor allem im Wahljahr 2024 zum Tragen kommen. In der vergangenen Woche hat die niedriger als erwartet herausgekommene Refinanzierungsnotwendigkeit des Schatzamtes, zusammen mit der Fed-Kommunikation und den schwächeren Makrodaten, für Entspannung an den Zinsmärkten gesorgt. Wir sollten aber darauf vorbereitet sein, dass sich mit Blick auf knappe öffentliche Kassen, ein anstehendes Wahljahr und schrumpfende Zentralbankbilanzen die Ruhe an den Rentenmärkten als trügerisch erweisen könnte. Noch vor einem Jahr wären Prognosen von 5% Rendite auf zehnjährige US-Staatsobligationen als Hirngespinste abgetan worden, im Oktober wurde dieser Wert erstmals wieder erreicht. Und möglicherweise ist diese Entwicklung noch nicht zu Ende. Unsere Fantasie ist einmal mehr gefordert. (BlackRock/mc/ps)