BlackRock Marktausblick: Bemerkenswerte Märkte

BlackRock Marktausblick: Bemerkenswerte Märkte
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

In der vergangenen Woche verlor der S&P 500 über 2,5%. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil in der gleichen Woche starke Zahlen für die Wirtschaftsaktivität im dritten Quartal berichtet wurden. Um annualisiert 4,9% ist das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Q3 gewachsen und lag damit rund 1,2% über dem Vorquartal.[1] Zum Vergleich: In Deutschland wurde gestern für den gleichen Zeitraum eine BIP-Schrumpfung von 0,1%[2] bekannt gegeben.

Die Robustheit der Gesamtnachfrage in den USA kontrastiert deutlich mit den vorsichtigen, ja skeptischen Schätzungen vor rund einem halben Jahr. Auf nur etwa 0,5% war das Q3-Wachstum noch vor sechs Monaten taxiert worden, und nun ist die laufende Dynamik fast zehnmal so stark. Zwar ist zutreffend, dass sich die Nachfrage vor allem aus dem nach wie vor sehr stabilen Konsum herleitet, und der wiederum wird durch eine weiter abschmelzende Sparquote finanziert. Mittlerweile hat letztere einen Wert von nur noch 3,4% erreicht, deutlich unter dem langjährigen Vor-Covid-Durchschnitt von rund 7%. Dies spricht dafür, dass der Konsum, welcher gut zwei Drittel der aggregierten Nachfrage in den USA ausmacht, in den kommenden Quartalen nicht mehr so kräftig expandieren dürfte. Dazu kommt, dass auch die gestiegenen Zinsen sich mit Verzögerung im Konsumverhalten niederschlagen dürften, etwa wenn höhere Zinsen für Auto- und sonstige Konsumkredite fällig werden oder Studentendarlehen zu schlechteren Konditionen zur Verlängerung anstehen. Auch die Tatsache, dass ein kräftiger Lageraufbau zum starken BIP-Wachstum im dritten Quartal beigetragen hat, spricht nicht für ein Anhalten dieser überraschenden Dynamik. Dennoch lässt sich konstatieren, dass die am Jahresanfang von vielen (auch von uns) als nahezu sicher erwartete Rezession bisher nicht nur ausgeblieben ist, sondern sich das Wachstum sogar noch beschleunigt hat. Schon im fünften Quartal in Folge hat die US-Wirtschaft nun den von der Fed (US-Notenbank Federal Reserve) geschätzten langjährigen Wachstumstrend von 1,8% übertroffen. Und schaut man auf die Immobilienmärkte, eines der wahrscheinlichsten Einfallstore für eine doch noch einbrechende US-Wirtschaft, so hat es in der letzten Woche eher positive Daten gegeben, und in dieser Woche könnten weitere hinzukommen.

Was also hat die Aktienmärkte so stark unter Druck gebracht? Immerhin hat der S&P 500 seit dem Höchststand im Juli nunmehr über 10% verloren und damit also einen Rückgang verbucht, bei dem man üblicherweise von einer Korrektur spricht. Zwei Gründe sind hier zu nennen. Zum einen die Unternehmensgewinne, zum anderen die Gefahr weiter steigender Zinsen. Schauen wir auf die Gewinne, scheint bei Investoren derzeit Skepsis vorzuherrschen. Zwar hat die Berichtssaison für das dritte Quartal bisher recht ordentliche Ergebnisse geliefert. Bei den bisher vorgelegten Berichten, die rund 60% der Marktkapitalisierung des S&P 500 entsprechen, konnte immerhin ein Gewinnwachstum pro Aktie (EPS) von rund 3% vermeldet werden, also ein gegenüber dem erwarteten EPS-Stillstand positives Ergebnis. Auch konnten 76% der Unternehmen die Gewinnerwartungen der Analysten übertreffen, also leicht mehr als im langjährigen Durchschnitt. Nachdenklich stimmt aber, dass Unternehmen, die schwächere Gewinne und/oder Umsätze berichteten, vom Markt stärker abgestraft wurden als üblich. Dies spricht für eine gewisse Nervosität bei vielen Investoren und ist ein Grund mehr, auch weiterhin auf Aktien von Qualitätsunternehmen zu setzen.

Noch markanter könnte in der vergangenen Woche die Gefahr weiter steigender Zinsen als Gegenwind für die Aktienmärkte gewirkt haben. Hierbei ist bemerkenswert, dass die starken US-BIP-Zahlen gar nicht zu einem weiteren Zinsanstieg geführt haben, was eine durchaus normale Reaktion gewesen wäre. Stattdessen ist die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe nach Überschreiten der 5%-Marke am Montag, dem höchsten Stand seit Juli 2007, Richtung Wochenausklang wieder leicht abgebröckelt. Vieles spricht aber dafür, dass die Zinsen weiter steigen könnten, und das, selbst wenn die Fed in dieser Woche und auch in den nächsten Meetings wie erwartet auf weitere Zinsanhebungen verzichtet. Der Grund liegt vielmehr in einem wahrscheinlichen Anstieg der Laufzeitprämie, vor allem wegen der weiter steigenden Inflationserwartungen. Selbst wenn sich die von der Fed massgeblich verfolgte Kernrate der persönlichen Konsumausgaben (core PCE) im September weiter ermässigte (von 3,9% auf 3,7%), zeigt etwa die von der Universität Michigan ermittelte Teuerungserwartung der Verbraucher (3,0% auf Sicht von 5-10 Jahre), dass sich die Inflationsprojektionen markant von der 2%-Marke entfernen. Hinzu kommt, dass das US-Schatzamt mit einiger Wahrscheinlichkeit in den nächsten Quartalen deutlich mehr Anleihen wird platzieren müssen als noch vor kurzem erwartet. In Summe spricht also mehr für weiter steigende US-Zinsen als dagegen.

Hohe Unsicherheit bei Makro-Daten, Assetpreisen und Geopolitik

Fügt man zu dieser bemerkenswerten Gemengelage aus scheinbar widersprüchlichen Makrodaten und Preisen für Finanzanlagen noch die an mehreren Ecken grell blinkenden Warnlampen der Geopolitik hinzu, wird die Präferenz vieler Anleger für vermeintlich sichere Häfen leichter verständlich. Hier dürften die Gründe dafür zu finden sein, das der Goldpreis trotz stark gestiegener Zinsen und eines festen US-Dollar in der vergangenen Woche kurz die 2000 Dollar-Marke überschritt und mit über 9% Wertzuwachs in diesem Jahr bis dato eine der am besten performenden Assetklassen darstellt. Ähnliches gilt für den Schweizer Franken. Der Nimbus von Schweizer Assets als sicherer Hafen dürfte massgeblich dazu beigetragen haben, dass die Währung seit Jahresanfang um rund 3,3% gegenüber dem Euro aufgewertet hat. Eine Welt, in der auch weiterhin nichts so sicher erscheint wie die Unsicherheit, dürfte auch in der näheren Zukunft für derartige Assetklassen sprechen[3]. (BlackRock/mc/ps)

[1] Quelle: Bureau of Economic Analysis, 26. Oktober 2023
[2] Quelle: Statistisches Bundesamt, 30. Oktober 2023
[3] Quelle: Bureau of Economic Analysis, 26. Oktober 2023

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