BlackRock Marktausblick: Der Wermutstropfen einer ausbleibenden Bruchlandung
Von Ann-Katrin Petersen, CFA BlackRock Senior-Kapitalmarktstrategin
Es ist ein schmerzhafter Realitätscheck, der sich derzeit an den Anleihe- und Aktienmärkten beobachten lässt. Wenig überraschend erhielt die Kauflaune der Börsianer in einer Handelswoche, in der sich die Leitzinserwartungen in den USA und im Euroraum erneut nach oben anpassten, einen weiteren Dämpfer. Angesichts wieder aufflammender Inflations- und Zinssorgen befindet sich die Wertentwicklung der globalen Anleihemärkte nach einem fulminanten Jahresstart „zurück auf Los“. Die Rendite zweijähriger US-Treasuries schwang sich jüngst auf Niveaus von bis zu 4,7% empor (so hoch, wie zuletzt im Jahr 2007), während 10-jährige Renditen ihre Jahreshochs bei knapp unter 4% erreichten. 10-jährigen Bundrenditen wiederum testeten vergangene Woche abermals ihre diesjährigen Hochs bei knapp 2,6%. Globale Aktien, gemessen am MSCI World, liegen zwar seit Jahresanfang noch etwa 4% im Plus, entfernten sich jedoch nach einem Rückgang um 2,6% in der vergangenen Handelswoche weiter von ihren zwischenzeitlichen Höchstständen seit Jahresbeginn.
Der Realitätscheck und die damit einhergehende Neubepreisung rührt nicht zuletzt von der allmählichen Erkenntnis her, dass die Hoffnungen auf eine geschmeidige Disinflation in Richtung der 2%-Zielmarken der US-Notenbank Fed und Europäischen Zentralbank (EZB), auf Leitzinssenkungen noch in diesem Jahr, garniert mit einer „weiche Landung“ der Wirtschaft ungeachtet geldpolitischer Bremswirkungen in dieser Form nicht haltbar waren.
Zinsen mit Luft nach oben
Ignorierten Anleger jede „hawkishe“ Äusserung aus dem FOMC, dem geldpolitischen Entscheidungsgremium der Fed, oder aus den Frankfurter Türmen der EZB noch vor wenigen Wochen fast mutwillig, hat sich das Blatt diesbezüglich nun gewendet. Mittlerweile preist der Geldmarkt den Leitzinsgipfel im Euroraum bei 3,75% im September. Für die USA signalisieren Geldmarktforwards einen Zinsgipfel von etwa 5,5% im Sommer. Sogar ein wieder höheres Zinsanhebungstempo von 50 Basispunkten statt wie im Februar 25 Basispunkten wird nicht mehr, wie noch vor gerade einmal zwei Wochen, mit einer Nullwahrscheinlichkeit gepreist, sondern mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel. Absicherungen gegen einen US-Leitzins von in der Spitze nördlich von 6% wurden zuletzt immer beliebter.
Man kann mittlerweile kaum mehr die Augen davor verschliessen, dass sich die aktuell lichtenden Wolken am Konjunkturhimmel – so deutet etwa in den USA bislang wenig auf ein unmittelbar bevorstehendes Schrumpfen der Wirtschaftsaktivität hin – einen nicht unerheblichen Wehrmutstropfen mit sich bringen: Aufwärtsrisiken für den unterliegenden Inflationsdruck. Offensichtlich bleibt die Schlüsselfrage für die nächsten Quartale: Wann und in welchem Ausmass entfaltet sich die konjunkturelle Bremswirkung der höheren Zinsen? Denn es bedürfte wohl gerade eben jener vieldiskutierten sog. „mittelharten“ bis „harten Landung“ der Wirtschaft, damit das nach wie vor grösste ökonomische Problem dieser Zeit nachhaltig gelöst werden kann: Eben jene weiterhin viel zu hohe Inflation.
Im vergangenen Herbst gab es nicht wenige Ökonomen, die sich vor einer Jahrhundertrezession sorgten. Viele hatten Bilder von leeren Gasspeichern, stillstehenden Industrieanlagen und hoher Arbeitslosigkeit im Kopf. Eine harte Landung der Wirtschaft schien für die Mehrheit der Marktbeobachter nahezu unvermeidbar zu sein. Heute – mehrere Monate später – wurde aus der Diskussion über ein „Hard Landing“ eine darüber, ob es überhaupt eine (Bruch)Landung der Volkswirtschaften geben wird. Sogar das Szenario eines „No Landing“ steht im Raum. Seit mehr als einem Monat werden Wachstumsprognosen – wie etwa vom Internationalen Währungsfonds (IWF) – eher nach oben als nach unten korrigiert. Gerade der binnenwirtschaftliche Neustart in Ostasien hat sie globalen Wachstumsperspektiven aufgehellt. Als besonders widerstandsfähig erwies sich darüber hinaus zuletzt abermals der US-amerikanische private Verbrauch. Die US-Konsumenten scheinen trotz schwindender Überschussersparnisse das Geld immer noch mit vollen Händen auszugeben. Die Verbraucherstimmung gemessen von der Universität von Michigan verzeichnete in der letzten Woche einen unerwartet kräftigen Anstieg. Auch in Europa hellte sich die Stimmung unter den Verbrauchern und in den Chefetagen in den letzten Monaten wieder auf. Der deutsche Ifo stieg im Februar abermals, von 90,1 auf 91,1, wenngleich der deutlichen Erholung der Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate (88,5 nach 86,4 im Januar), eine leichte Eintrübung der aktuellen Geschäftslage (93,9 nach 94,1) gegenübersteht.
Bliebe insbesondere eine Abkühlung der festen Arbeitsmärkte aus, da die Unternehmen, etwa aus Sorge davor, freigesetzte Fachkräfte vielleicht angesichts eines strukturellen Rückgangs des Arbeitskräfteangebots – Stichwort Alterung der Erwerbsbevölkerung –nie wieder an Bord holen zu können, so könnte das Lohnwachstum in den kommenden Quartalen noch weitaus stärker ausfallen als zuletzt antizipiert. Die Freude über die fallende „Headline“-Inflation in den kommenden Monaten könnte den Märkten angesichts einer hartnäckigen binnenwirtschaftlichen Inflation dann sehr schnell im Halse stecken bleiben. Der stärker als erwartete Anstieg des Inflationsmasses, dem die US-Notenbank am meisten Aufmerksamkeit schenkt, war in der letzten Woche ein Schlag in genau diese Kerbe. Der Preisindex der persönlichen Konsumausgaben (PCE) erhöhte sich im Januar um 0,6 % im Monatsvergleich – der grösste Anstieg seit dem letzten Sommer – und schickte zweijährige US-Staatsanleiherenditen wie erwähnt auf die höchsten Niveaus seit dem Jahr 2007.
Ergo: Das Inflationsproblem ist noch nicht gänzlich verschwunden. Fed und EZB werden ihre Leitzinsen wahrscheinlich länger hoch halten (müssen). Die Unsicherheit über den künftigen monetären Straffungskurs bleibt erhöht, und dürfte weiterhin für ein schwankungsreiches Marktumfeld sorgen. Eine Konjunkturdelle bleibt vorprogrammiert, frei nach dem Motto „ aufgeschoben ist nicht aufgehoben“.
Nächster Akt im Inflationsdrama
In dieser Woche steht mit der Veröffentlichung der Euroraum-Inflationszahlen für Februar am Donnerstag der nächste Akt im Inflationsdrama an. Heizöl und Diesel haben sich deutlich verbilligt und Analysten erwarten, dass die Gesamtinflationsrate nach ihrem Gipfel von 10,6% im Oktober 2022 angesichts fallender Energiepreise von 8,6% im Januar 2023 auf etwa 8% nachgelassen hat. Merklichen Anstiegen vor Jahresfrist stehen nun überwiegend Rückgänge im Monatsvergleich gegenüber. Gleichzeitig wird erwartet, und dies dürfte aus Sicht der EZB bedeutsamer sein, dass die Kerninflationsrate in der Währungsunion bei 5,3% verharrt – dem wohlgemerkt höchsten jemals gemessenen Wert. Mit anderen Worten: Der unterliegende Preisauftrieb ist unverändert hoch. Ein Blick auf die Subkomponenten dürfte offenbaren: Während bei den Verbraucherpreisen von Industriegütern die Weitergabe gestiegener Material- und Energiekosten nachlässt, nimmt der Preisauftrieb bei Dienstleistungen zu. Dafür verantwortlich sind neben steigenden Lohnkosten die adjustierten Gewichte im Warenkorb. Mit einer Zinsanhebung um 50 Basispunkte im März, wie von EZB-Präsidentin Lagarde Anfang Februar bereits vehement angekündigt, ist weiterhin zu rechnen.
In den USA veröffentlichen in den kommenden Tagen hingegen Grössen im US-Retail-Sektor ihre Ergebnisse für das vierte Quartal. Nach den starken Zahlen zum Einzelhandel, die im Januar einen drastischen Anstieg zeigten, wären schwache Unternehmenszahlen eher eine Überraschung.
In Ostasien wiederum dürften eine Reihe von Einkaufsmanagern unterstreichen, dass die Zeichen nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen Anfang Dezember weiterhin auf binnenwirtschaftlichem Neustart stehen – einer Mischung aus Nachholbedarf bei Konsum und Investitionen, gestützt durch wirtschaftspolitische Massnahmen, bei gedämpften aussenwirtschaftlichem Ausblick.
Was bedeutet all dies für Anleger?
An den Rentenmärkten hat eine deutliche Neubewertung stattgefunden. Eine Fortsetzung des Zinsanhebungsprozesses bis in die zweite Jahreshälfte hinein wird auf beiden Seiten des Atlantiks inzwischen zu einem von Investoren in Betracht gezogenen Szenario – ein Szenario, dass die Märkte bis vor kurzem nicht bereit waren zu preisen. Angesichts noch stärker invertierter Zinsstrukturkurven –bleibt das kurze Ende der Staatsanleihenkurve unseres Erachtens attraktiv.
Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte sollten Anleger im Hinterkopf behalten, dass eine Verlangsamung des konjunkturellen Momentums allerdings fast unausweichlich ist. Sobald die Zinsanhebungen ihre restriktive Wirkung voll entfalten, wird auch der private Konsum in den USA und der Eurozone spürbar erlahmen. Ein „No Landing“ dürfte es nicht geben – weder in den USA noch in Europa.
Wir bevorzugen taktisch, d.h. mit Blick auf die kommenden sechs bis zwölf Monate, Kurzläufer im Staatsanleihesegment, wir haben im Zuge sich weiter einengender Spreads Gewinne bei bonitätsstarken Unternehmensanleihen im Investment Grade-Bereich vereinnahmt (moderates Übergewicht) und am Aktienmarkt unsere Präferenz für Emerging Markets ausgebaut. (BlackRock/mc/ps)