Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Obwohl fast sicher feststand, dass die US-Notenbank Fed die Leitzinsen unverändert bei 5,25-5,50% belassen würde, war das erste Meeting des Federal Open Market Committee (FOMC, = „Offenmarktausschuss“) im Jahr 2024 mit Spannung erwartet worden. Und Fed-Chairman Jerome Powell enttäuschte nicht. Bezüglich der Frage nämlich, ob die Fed schon im März den ersten Zinsschritt nach unten vornehmen würde, positionierte er sich in der Pressekonferenz deutlicher als von Marktbeobachtern erwartet, indem er sagte, für eine Zinssenkung brauche die Fed stärkeres Vertrauen (‚greater confidence‘), dass die Inflation wirklich weiter herunterkomme.
Die in den Fed Funds Futures eingepreisten Erwartungen für eine Zinssenkung um 25 Basispunkte schon im März schrumpften daraufhin von rund 60% vor dem FOMC-Treffen auf etwa 40% danach (Quelle: CME Group, 01.02.2024). Wobei man sich schon fragen kann, auf welcher Basis sich derart optimistische Erwartungen überhaupt hatten bilden können. Denn das von der Fed favorisierte Inflationsmass (‚Core PCE‘) war zwar zuletzt mit 2,9% knapp unter die 3%-Schwelle gefallen, aber das dürfte noch ein gutes Stück zu hoch für die Notenbank sein, um ernsthaft eine Zinssenkung zu erwägen. Zumal die US-Wirtschaft mit einem Wachstum von gut 3% im Schlussquartal und über das Gesamtjahr 2023 nach wie vor keine Anzeichen von Schwäche oder gar Rezessionsgefahr erkennen lässt.
Dazu kommt, dass in der vergangenen Woche der ehemalige Präsident und wahrscheinliche republikanische Kandidat Donald Trump erstmals öffentlich die Fed in den beginnenden Wahlkampf hineinzog, indem er nämlich nicht nur ankündigte, im Falle seiner Wiederwahl Jerome Powell zu entlassen, sondern der Fed auch unverblümt vorwarf, seinem vermutlichen Wahlgegner, Präsident Joe Biden, mittels Zinssenkungen helfen zu wollen (Quelle: FOX Business, 2.2.2024). Die Politisierung der US-Notenbankpolitik in diesem Jahr hat damit begonnen. Es dürfte nicht zu weit hergeholt sein anzunehmen, dass Powell und seine Kollegen die politischen Dimensionen ihrer Zinsentscheidungen in künftige Überlegungen mit einbeziehen.
In der vergangenen Woche war es aber zudem noch ein Datenpunkt, der den Glauben an eine baldige Zinssenkung pulverisierte. Die Non-farm Payrolls nämlich, der US-Arbeitsmarktbericht für Januar, übertraf alle Erwartungen. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen war mit 353.000 fast doppelt so hoch wie vom Konsensus erwartet (180.000), zudem wurden die beiden Vormonate massiv nach oben revidiert. Die Arbeitslosenquote blieb – bei unveränderter Partizipationsrate von 62,5% – mit nur 3,7% in der Nähe ihres 50 Jahres-Tiefs (3,4%). Vor allem aber beschleunigte sich die Lohndynamik weiter auf 0,6% im Monatsvergleich, annualisiert also über 7%. Die (nachlaufende) Jahresrate steht zwar bisher bei „nur“ 4,5%, dennoch dürfte die sich beschleunigende Run-rate viel zu stark sein, um der Fed die oben gesuchte ‚greater confidence‘ zu geben, dass die Inflation wirklich auf dem Weg Richtung 2%-Ziel ist (Quelle: Refinitiv, 02.02.2024).
Vielmehr sieht es derzeit so aus, als könne die Kerninflationsrate bei knapp unter 3% hängen bleiben, eventuell sogar auf Sicht wieder ansteigen. In der Konsequenz sank die eingepreiste Zinssenkungswahrscheinlichkeit auf nur noch rund 20%. Mittelfristig könnte das alles zudem bedeuten, dass die Normalisierung der US-Zinskurve weniger vom kurzen und mehr vom langen Ende ausgeht als viele bisher erwartet haben. Dies könnte nämlich die Konsequenz sein, wenn am kurzen Ende die Erwartungen starker Zinssenkungen weiter ausgepreist werden, am langen dagegen die Laufzeitprämien mit Blick auf mittelfristig höhere Inflation ansteigen. Sollten sich entsprechende Einschätzungen verfestigen, dürften Umpositionierungen innerhalb des Anleiheportfolios die Folge sein, aber auch Anpassungen der Allokation von Fixed Income insgesamt.
(Geo-) Politik ist zurück auf dem Radarschirm – und wie!
War über den Zeitraum der Covid-Pandemie die Politik in den Hintergrund getreten, so ist sie spätestens seit Russlands Invasion in der Ukraine wieder formatfüllend auf den Bildschirm zurückgekehrt. Die schlechte Nachricht ist, dass wenig für Besserung spricht. Im Gegenteil. In Russlands Krieg gegen die Ukraine nimmt, unter anderem wegen unzureichender westlicher Unterstützung, täglich das Risiko zu, dass die ukrainische Armee ins Hintertreffen gerät und Russland seine Eroberungen konsolidieren kann. Darüber hinaus wächst im Nahostkonflikt ebenso täglich die Gefahr einer Eskalation. Stichworte hier sind Raketenangriffe der Hisbollah im Norden Israels, Attacken der Huthi-Rebellen im Jemen auf Schiffstransporte im Roten Meer oder jüngst der Drohnenangriff auf den Tower 22-Stützpunkt des US-Militärs in Jordanien und entsprechender Antworten seitens der US-Kräfte. Alle diese Konfliktherde verdeutlichen die Gefahr, dass der bisher weitgehend auf den Gazastreifen begrenzte Krieg jederzeit zu einem Flächenbrand eskalieren könnte – mit vermutlich verheerenden Folgen für den Ölpreis. Von anhaltenden Spannungen in ostasiatischen Gewässern und Säbelrasseln in Korea ganz zu schweigen. Dies alles in einem Jahr, in dem über die Hälfte der Weltbevölkerung in über 70 Ländern zur Wahlurne gerufen wird, darunter über 160 Millionen Wähler in den USA. Zu unterstellen, die geopolitischen Konflikte und anstehenden Wahlereignisse würden ohne Konsequenzen für Ökonomie, Gesellschaft und Kapitalmärkte bleiben, wäre, vorsichtig ausgedrückt, mutig.
Dies war, nach rund 400 Ausgaben in achteinhalb Jahren, mein letzter Marktausblick an dieser Stelle. Ich danke herzlich für Ihr teils langjähriges und treues Interesse. Ab nächster Woche meldet sich hier regelmässig meine hoch geschätzte bisherige Mitstreiterin und nunmehr Nachfolgerin Ann-Katrin Petersen, bei der Sie in den allerbesten Händen sind. Alles Gute und danke!