Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie BlackRock
Schon Anfang des Jahres stiessen die Vereinigten Staaten an die gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze, die seit der letzten Erhöhung bei 31,4 Billionen Dollar liegt. Seitdem nutzt Finanzministerin Janet Yellen alle Kniffe der Buchhaltung, darunter Zahlungsaufschübe, Umbuchungen und ähnliche Manöver, um die Bundesbehörden flüssig zu halten. Und gerade weil sie schon eine Weile dabei ist und sich die Spielräume offenbar sehr genau angeschaut hat, ist die ‚harte Deadline‘, die sie nun schon mehrfach für den 1. Juni angekündigt hat, besorgniserregend.
An den Finanzmärkten schien sich diese Sorge aber einigermassen ernsthaft erst in der vergangenen Woche bemerkbar zu machen. So machte sich im ersten Teil der Woche zunächst Erleichterung breit, als eine zumindest vorübergehende Einigung, eine Anhebung der Schuldengrenze für einige Monate, sich abzuzeichnen schien. In der Tat hatte der Verhandlungsführer der Republikaner, Kongress-Sprecher Kevin McCarthy, Kompromissbereitschaft gegenüber der Biden-Regierung angedeutet, und auch der Präsident selbst hatte, trotz seiner Reise zum G7-Gipfel nach Japan, signalisiert, jederzeit für ein Telefonat zur Verfügung zu stehen. Erst am Freitag wurde dann aber deutlich, dass die zur Schau getragene Gesprächsbereitschaft vornehmlich PR gewesen sein dürfte. Entsprechend verschnupft fiel die Marktreaktion zum Wochenschluss aus.
Beim Streit um die Richtung der Schuldenpolitik prallen die unterschiedlichen Vorstellungen der politischen Lager frontal aufeinander. So insistieren die Republikaner, der Staat gebe zu viel Geld aus und dringen deshalb darauf, die Ausgabenprogramme der Biden-Administration zurückzuschneiden, darunter auch der Inflation Reduction Act, das Prestigeprojekt der Regierung. Von Japan aus gab Biden zu erkennen, dass er durchaus zu Einschnitten bereit sei, worauf die Märkte in der letzten Woche erleichtert reagierten. Was allerdings im ersten Moment in den Hintergrund trat, war die Bedingung des Präsidenten, Ausgabensenkungen müssten auf jeden Fall durch mehr Einnahmen, mit anderen Worten Steuererhöhungen, ergänzt werden.
Damit wird aber klar, dass auf beiden Seiten die roten Linien sehr fest gezeichnet sind. Denn die populärsten Elemente seiner Klima – und Wirtschaftsförderungsagenda kann und wird der Präsident nicht ohne erhebliche Zugeständnisse schmälern. Das erscheint im beginnenden Vorwahlkampf mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2024 ebenso schwer denkbar wie eine Zustimmung der Republikaner zu höheren Steuern. Damit wird klar, worum es in dieser Episode des Streits um die Schuldengrenze eigentlich geht: die Frage nämlich, ob Demokraten oder Republikaner die Debatte besser nutzen können, um für die Wahl daraus politisches Kapital zu schlagen. Dem lockenden Gewinn stehen dabei, ebenfalls für beide Seiten, erhebliche politische Risiken gegenüber. Für eine drohende Zahlungsunfähigkeit und möglicherweise einen technischen Default der Vereinigten Staaten verantwortlich zu sein, kann sich niemand leisten, der sich Hoffnung darauf machen möchte, Anfang 2025 ins Weisse Haus einzuziehen.
Weil genau aus diesem Grund keine Seite an weder Totalverweigerung noch weitgehendem Entgegenkommen gesteigertes Interesse hat, dürfte der Streit weitergehen, auch jetzt, da der 1. Juni naht und damit die heisse Phase beginnt. Denn die ökonomischen Konsequenzen dieser politischen Auseinandersetzung liegen auf der Hand. Sollte der grösste Schuldner der Welt eine Herabstufung seines Ratings erfahren, könnte dies eine Neubewertung auch vieler anderer Anleiheemittenten bedeuten, mit dem Ergebnis schockartig steigender Zinsen. Und dies alles in einem Umfeld, in dem das Risiko einer Bankenkrise noch nicht völlig gebannt ist und die Folgewirkungen der stärksten Fed-Zinsstraffung seit 1980 auf die US-Wirtschaft unklar bleiben. Vieles spricht somit dafür, dass die kommenden Tage und Wochen an den Aktien- und Rentenmärkten von einer deutlichen Belebung der Volatilität geprägt sein werden. Der Sommer 2011, mit Kursabschlägen beim S&P 500 von fast 20%, ist noch in lebhafter Erinnerung.
Ist die Fed doch noch nicht fertig?
In der vergangenen Woche äusserten sich gleich mehrere FOMC-Mitglieder in einer Weise, die von Beobachtern als Hinweis auf eventuelle weitere Zinsanhebungen verstanden wurde. Das kurze Ende der US-Zinskurve sprang um rund 40 Basispunkte nach oben, in den Fed Funds Futures wurden rund 25 Basispunkte Zinssenkung vor Jahresende ausgepreist. Die entscheidenden Fragen sind und bleiben, ob erstens die US-Wirtschaft sich bis auf Rezessionsniveau abschwächt und zweitens, wie zäh die Inflationsentwicklung bleibt. Zu beiden Punkten liefert diese Woche frische Daten. Mit Blick auf eine drohende Rezession erwarten Marktteilnehmer, dass sich der Einkaufsmanagerindex auf 50 abschwächen könnte, also genau auf die Grenze zwischen Expansion und Schrumpfung. Und beim präferierten Inflationsmass der Fed, der PCE-Kernrate, droht ein Anstieg auf 5,0% (von 4,6% im Vormonat). Sollten die Konjunkturdaten auf weiteres, wenn auch schwächeres Wachstum hindeuten, die Inflation aber wie erwartet viel zu hoch bleiben, dürfte sich die Befürchtung einer weiteren Zinserhöhung am 14. Juni verfestigen. In Kombination mit dem Schuldenstreit und der Angst vor einer Zahlungsunfähigkeit spricht das für eher turbulente nächste Wochen. (BlackRock/mc/ps)