BlackRock Marktausblick: EZB im Reparaturmodus

BlackRock Marktausblick: EZB im Reparaturmodus
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Man kann nicht wirklich sagen, dass die EZB in den letzten Monaten gute Presse hatte. ‚Too little, too late‘ hiess es oft mit Blick auf die Ankündigungen seit dem Frühjahr, in denen erst ein Ende der Anleihekäufe und später Anhebungen der Leitzinsen in Aussicht gestellt wurden. Spätestens aber seit sich die EZB von ihrer bis dato sakrosankten Forward Guidance verabschiedet und entgegen ihrer eigenen Ankündigung die Leitzinsen im Juli um 0,5 Prozentpunkte angehoben hat, ahnt man, wie sehr sich die Mitglieder des Zentralbankrates inzwischen als Getriebene fühlen. Das ist keineswegs verwunderlich. Hatte man zu Jahresbeginn noch geglaubt, man könne im Jahr 2022 die Geldpolitik ganz langsam wieder auf einen neutralen Kurs bringen, haben unerwartet Lieferkettenschocks infolge neuer Covid-Lockdowns in Asien sowie – noch um ein Vielfaches mehr – die Energiepreisexplosion infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine die Inflationszahlen hochschnellen lassen. Entsprechend versuchen die Zentralbanken nun zu retten, was zu retten ist.

Die US-Notenbank Fed ist hier in einer komfortableren Situation als die EZB, weil sie die 180 Grad-Wende von ‚Inflation is transitory‘ hin zu ‚We are behind the curve‘ innerhalb eines Monats bereits zwischen November und Dezember 2021 vollzog, und damit ein knappes halbes Jahr früher als ihr europäisches Pendant. Aber selbst die Fed hat seither in Sachen Kommunikation und Grösse der Zinsschritte noch einiges nachgelegt. Zuletzt rhetorisch in Jackson Hole. Dort nämlich konkretisierte Fed-Chairman Jerome Powell, dass die Fed sich sehr wohl darüber im Klaren sei, als Zentralbank wenig gegen Angebotsknappheiten als Ursache der Inflation ausrichten zu können. Man wolle daher, so Powell, die Nachfrage dem Angebot anpassen, um die Inflation in den Griff zu bekommen, und man sei sich der Schmerzen bewusst, die dieses Manöver für die Volkswirtschaft zur Folge haben würde. Dieses Gedankenbild hat nun auch die EZB übernommen. In der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag sprach Christine Lagarde erstmals explizit davon, die Nachfrage dämpfen zu wollen, um die Inflation zurück Richtung Zielwert zu bringen. Hierfür seien, so Lagarde, noch mehrere weitere Zinsanhebungen nötig. Wir können also davon ausgehen, dass am 27. Oktober und 15. Dezember weitere, möglicherweise substanzielle Zinsschritte folgen werden. Der Repo-Satz könnte zum Jahresende bei 2,5% stehen. Dabei wird abzuwarten sein, wie stark sich vor dem Hintergrund stark steigender Strom- und Gaspreise die europäische Wirtschaft in den Winter hinein abschwächt, auch ohne, dass die Geldpolitik schon restriktiv wirkt. Die frisch aktualisierten Schätzungen der EZB-Volkswirte jedenfalls sehen diesbezüglich noch reichlich rosig aus.

Gute Nachrichten für die Ukraine, aber viel zu früh für Entwarnung
Der ukrainischen Armee scheint ein weiteres Husarenstück gelungen zu sein. Nachdem die Kiewer Propaganda wochenlang getrommelt hatte, wie energisch man in der Region Cherson um die Rückeroberung von Gelände kämpfe und offenbar damit erfolgreich massive russische Verbände in dieses Gebiet gelockt hatte, schlug das ukrainische Militär nun überraschend an völlig anderer Stelle, in der Region Charkiw, zu und überrannte dort geradezu die russischen Streitkräfte. Trotz der Nachricht, dass mit der Stadt Isjum ein Knotenpunkt des russischen Nachschubs und insgesamt binnen sechs Tagen 3.000 Quadratkilometer Territorium zurückerobert werden konnten, dürfte eine Interpretation dieses Erfolges als möglicher Wendepunkt des Krieges verfrüht sein. Denn nach wie vor steht Russland die Möglichkeit einer Generalmobilmachung zur Verfügung, was binnen kurzer Zeit hohe Zahlen an neuen Soldaten erschliessen würde. Ausserdem ist, gerade im Angesicht einer drohenden russischen Niederlage, die Gefahr eines Einsatzes taktischer Nuklearwaffen nie ganz auszuschliessen. Auch wenn also Nachrichten militärischer Erfolge der Ukraine wie jene aus der Region Charkiw erfreulich sind, sollte nicht vorschnell von einer russischen Niederlage ausgegangen werden. Der Krieg kann noch lange dauern.

Und selbst für den Fall, dass der militärische Konflikt beendet wird, dürften bis auf weiteres die wirtschaftlichen Aussichten für Europa und damit die Perspektive für europäische Aktien eher trüb sein. Denn die sich abzeichnende Rezession droht, sich in eine Reihe der eher schweren ökonomischen Rückschläge der letzten 20 Jahre einzuordnen. Schon im August lag die Zahl der Insolvenzen in Deutschland 26% höher als vor einem Jahr, Frühindikatoren deuten auf eine Kontraktion im produzierenden Gewerbe von 5% und mehr hin. Sollten, was wahrscheinlich ist, Strom- und Gaspreise vorerst weiter steigen, drohen erhebliche Produktionsausfälle, Unternehmensschliessungen und eventuell ein schmerzhafter Anstieg der Arbeitslosigkeit. Gerade weil die Schwere der Abschwächung noch nicht voll absehbar und auch in offiziellen Prognosen kaum ernsthaft abgebildet ist, könnte sich der Ausblick für Aktienanleger in Europa zunächst noch weiter eintrüben. (BlackRock/mc/ps)

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