Von Dr. Martin Lück, Leiter BlackRock Kapitalmarktstrategie
Mit dem weithin erwarteten und vom Markt voll eingepreisten Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten hat die Federal Reserve am vergangenen Mittwoch die steilste Zinsanhebung der vergangenen 40 Jahre fortgesetzt. Bei einem Mittelwert von 3,875% steht nunmehr die Fed Funds Target Rate und damit 300 Basispunkte über ihrem Wert von Mitte Juni. Dabei hat die nachfolgende Pressekonferenz gezeigt, wie schwierig es in den nächsten Wochen und Monaten für die US-Notenbank werden könnte, mit ihrer kompromisslosen Ausrichtung auf Inflationsbekämpfung Kurs zu halten.
Schon eine Erwähnung in der Presseerklärung, wonach die Fed bei künftigen Schritten die Gesamthöhe der bisherigen Straffung sowie die Zeitverzögerung (time lags) geldpolitischer Schritte in Betracht ziehen würde, veranlasste Teile des Marktes, auf ein nun absehbares Ende der Zinserhöhungen zu setzen. Entsprechend sah sich Chairman Jerome Powell genötigt, anlässlich der Pressekonferenz die Entschlossenheit der Notenbank zu betonen. Erst wenn klar erkennbar sei, dass sich die Inflationsrate wieder dem Zielwert annähere, sei es an der Zeit, den Fuss von der Bremse zu nehmen, so sinngemäss der Fed-Chair. Die zinssensitiven Teile der Finanzmärkte nahmen dies mit der erwartbaren Ernüchterung zur Kenntnis. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe ging zum Wochenausklang mit einem Anstieg um 15 Basispunkte auf 4,16% aus dem Handel, im Aktiensegment wurde der zinsempfindliche Technologiesektor, wo zudem einige Quartalsbilanzen für Ernüchterung sorgten, besonders heftig betroffen. Insgesamt verloren US-Aktien über die Woche 3,3%, gegenüber leichten Kursgewinnen bei ihren europäischen Pendants.
Dabei dürfte Europa noch bevorstehen, was die US-Märkte derzeit in vollem Masse erleben, nämlich ein weiterer Anstieg der Inflation und damit des Handlungsdrucks auf die Zentralbank. Während es nämlich in den USA zunehmend so aussieht, als könne die Preisdynamik ein Plateau erreichen, von dem aus sie dann bald wieder sinkt, ist auf dem alten Kontinent bis dato nichts dergleichen zu erkennen. Im Oktober stieg der harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Eurozone von 9,9% auf 10,7%, für die USA wird der am Donnerstag veröffentlichte CPI-Wert bei 8,0% (nach 8,2% im September) erwartet. Ähnlich die Dynamik bei den Kerninflationsraten, wo derzeit die US-Werte wegen der stärker auch nachfrageseitig getriebenen Inflation noch höher liegen. Während aber der US-Kerninflationswert für den Oktober langsam bröckeln sollte (ein leichter Rückgang von 6,6% auf 6,5% wird erwartet), steigt die entsprechende europäische Rate weiter an, zuletzt von 4,8% auf 5,0%. Müssen wir also erwarten, dass die EZB nach ihrem 75 Basispunkte-Schritt im Oktober nun auch drei weitere Male den Leitzins so stark anhebt? Aus drei Gründen lautet die Antwort: vermutlich nein. Erstens liegt der neutrale Zins, bei dem die Wirtschaftsaktivität also weder stimuliert noch gebremst wird, in der Eurozone vermutlich niedriger als in den USA. Zweitens dürfte die Diskrepanz zwischen gesamtwirtschaftlicher post-Covid-Nachfrage und dem von Lieferketten- und Energieengpässen eingeschränkten Angebot in Europa weniger ausgeprägt sein – mit anderen Worten: Die Zentralbank dürfte weniger Veranlassung besitzen, die stimulusverzerrte Übernachfrage auf das verknappte Angebot zurückzuzwingen. Drittens schliesslich droht Europa wegen seiner Energieabhängigkeit eine tiefere Rezession als den USA. Der über den Winter zu erwartende Nachfrageeinbruch dürfte der EZB also einen Teil ihrer sonst nötigen Straffung abnehmen. Unterm Strich bleiben wir bei unserer Erwartung, dass die EZB die Zinsen weniger stark anheben wird und auch früher mit Zinsschritten pausiert als die Fed. Vor diesem Hintergrund erscheint das Erholungspotenzial des Euro gegenüber dem Dollar eingeschränkt.
US-Kongresswahlen: Gespaltenes Land, geschwächter Präsident
Am heutigen Dienstag werden in den USA das gesamte Repräsentantenhaus (435 Abgeordnete) sowie ein Drittel des Senats und viele Gouverneure neu gewählt. Die Umfragen deuten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus zurückerobern, und auch beim Senat liegen sie vorn. Präsident Joe Biden könnte damit also zur Mitte seiner Amtszeit zur ‚lame duck‘, zur lahmen Ente werden, denn grössere Gesetzespakete dürfte er mit beiden Kammern gegen sich kaum noch durchbekommen. Zwar lässt sich auch in einer solchen Situation durchaus mit Präsidentenerlassen, sogenannten Executive Orders, Politik machen. Jeder künftige Bewohner des Weissen Hauses kann derartige Erlasse aber wieder kassieren, insofern sind sie weniger belastbar als Parlamentsbeschlüsse. Ein Sieg der Republikaner, einer in den letzten Jahren erheblich radikalisierten Partei, würde nicht nur die Chance einer Rückkehr von Trump ins Weisse Haus erhöhen, sondern auch das Interesse der USA an Europa verändern. Für uns in der DACH-Region könnte dies vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit erschweren. Viel schlimmer könnte es aber die Ukraine treffen, wenn eine republikanisch dominierte US-Politik künftig weniger Geld und Waffen bereitstellt. Auch die russischen Aggressoren werden sich die Kongresswahl daher vermutlich mit grossem Interesse anschauen. (BlackRock/mc/ps)