BlackRock Marktausblick: Fed läutet Zinswende ein, keine lockere Geldpolitik
Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Kapitalmärkte: Schwankungsreich, wenn der makroökonomische Anker fehlt
Der Monat September ist unter Anlegern berüchtigt als der schlechteste Börsenmonat im langjährigen Durchschnitt. Nach dem tatsächlich schwachen Auftakt erholten sich die weltweiten Aktienmärkte in der zweiten Septemberwoche, mit Ausnahme Chinas (Datenquelle: LSEG, 13.09.2024).
Das grössere Bild: Anleger haben in den vergangenen Monaten wiederholt plötzliche Richtungswechsel im Marktnarrativ erlebt – seien es die erratischen Zinserwartungen als auch die jüngst wiederholt aufflammenden Rezessionssorgen im Nachgang einzelner Datenveröffentlichungen. Das augenscheinliche Fehlen eines makroökonomischen Ankers könnte erklären, warum es nicht viel braucht, um scharfe Schwankungen im Marktnarrativ auszulösen. Mit anderen Worten: Wie werden sich Wachstum, Inflation und Zinsen in dem ungewöhnlichen Umfeld, das seit dem Ausbruch der Pandemie herrscht, mittelfristig entwickeln?
„Datenabhängigkeit bedeutet nicht Datenpunktabhängigkeit“, betonte im geldpolitischen Kontext Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank (EZB) am vergangenen Donnerstag. Dennoch bietet die von Zentralbanken wie der EZB und amerikanischen Federal Reserve (Fed) betonte Datenabhängigkeit keinen festen Bezugspunkt für die kurzfristige geldpolitische Entwicklung – und macht die Märkte derzeit nicht weniger anfällig für heftige Reaktionen auf einzelne Datenpunkte.
EZB: Zweiter Zinsschritt, Siebenmeilenstiefel im Schrank
Ganz im Rahmen der Erwartungen allerdings senkte die EZB letzte Woche ihre Leitzinsen um 25 Basispunkte (Einlagensatz: 3,5%; Datenquelle: EZB, 12.09.2024). Es ist die zweite Senkung nach Beginn des Lockerungszyklus im Juni.
Präsidentin Lagarde schloss einen Zinsschritt am 17. Oktober nicht aus, und das fortlaufend straffe Zinsniveau im Euroraum bedeutet unseres Erachtens, dass die EZB die Zinsen in diesem Jahr durchaus erneut senken dürfte. Eine weitere mögliche Senkung bereits im Oktober halten wir allerdings für optimistisch – mit anderen Worten schnürt die EZB in diesem Jahr wohl nicht die Siebenmeilenstiefel.
Eine hartnäckige Inflation bedeutet unserer Ansicht nach, dass nur eine weitere spürbare Eintrübung der Konjunkturperspektiven die EZB dazu veranlassen würde, ihre derzeit quartalsweisen Zinslockerungen
mit aufeinanderfolgenden oder noch grösseren Schritten zu beschleunigen. Und wir werden vor der nächsten Sitzung nur wenige zusätzliche Wirtschaftsdaten erhalten, bis Dezember deutlich mehr.
Wir glauben, dass die EZB lieber behutsam vorgehen wird – zumindest bis sie ihre Erwartung bestätigen kann, dass die Inflation bis Jahresende 2025 auf die 2%-Zielmarke zurückkehrt, und sich das Lohnwachstum weiter abschwächt. Die Arbeitsmärkte sind immer noch angespannt und die Produktivität schwach – was sich im Wettbewerbsbericht Mario Draghis widerspiegelt. Daher könnte der inländische Preisdruck die Teuerung bei oder über 2% halten, selbst wenn wir davon ausgehen, dass das Lohnwachstum gegenüber dem derzeitigen (weiterhin zu hohen) Niveau fortgesetzt abkühlen wird.
Fed: Zinswende, keine lockere Geldpolitik
Diese Woche stehen weitere geldpolitische Entscheide im Mittelpunkt. Den Auftakt macht am Mittwoch die Fed, gefolgt von der Bank of England (Donnerstag) und der Bank of Japan (Freitag), die nach ihrer Juli-Sitzung für eine spürbare Aufwertung des Yen-Wechselkurses und Marktvolatilität gesorgt hatte.
Wir gehen davon aus, dass die Fed die Zinsen erstmals seit Juli 2019 senken wird. Die im August gestiegene Kerninflationsrate macht eine Senkung um 25 Basispunkte wahrscheinlicher als um 50.
Die nachlassenden pandemiebedingten Schocks im Güter- und Dienstleistungssektor haben dazu beigetragen, dass die US-Inflation von ihren Höchstwerten der letzten 18 Monate zurückgekommen ist. Ein durch Einwanderung bedingt grösseres Angebot an Arbeitskräften hat geholfen, den Lohndruck und die Dienstleistungsinflation abzukühlen.
Allerdings rechnen die Märkte bis Ende 2025 mit Zinslockerungen, die so ausgeprägt sind wie in früheren Rezessionen. Wir halten solche Erwartungen für übertrieben. Nicht Entlassungen, sondern eine – wahrscheinlich nur vorübergehend – erhöhte Einwanderung stecken primär hinter der jüngst höheren Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus hat sich Lohnwachstum verlangsamt, aber nicht genug, um im Einklang mit einer Kerninflation von 2% zu stehen. Sobald sich die Einwanderung normalisiert, wird die US-Wirtschaft nicht mehr so viele Arbeitsplätze schaffen können wie in der Vergangenheit, ohne die Inflation anzuheizen.
Anleger sollten das Gesamtbild im Auge behalten: Die Zinsen werden wahrscheinlich sowohl im Euroraum als auch in den USA strukturell höher ausfallen als vor der Pandemie, was die Attraktivität von Zinseinkommen weiterhin unterstützt. Aus taktischer Sicht bevorzugen wir nun Zinseinkommen in kurzfristigen Staatsanleihen des Euroraums und Unternehmensanleihen gegenüber kurzfristigen US-Staatsanleihen. Wir denken, dass die Markterwartungen hinsichtlich Zinssenkungen durch die Fed zu weit gelaufen sind. Wir bevorzugen unverändert US-Aktien gegenüber europäischen aufgrund stärkerer Unternehmensgewinne und des Vormarsches der Künstlichen Intelligenz über den Technologiesektor hinaus.
PBoC: Zinslockerung unter anderen Vorzeichen
Die Bewertung chinesischer Aktien sind im Vergleich zu anderen Regionen niedrig, aber angesichts der herausfordernden gesamtwirtschaftlichen Perspektiven bevorzugen wir taktisch Aktien aus entwickelten gegenüber Schwellenmärkten und China (Quelle: BlackRock Weekly Commentary, 16.09.2024) .
Die chinesische Notenbank, People’s Bank of China (PBoC), hat die Zinsen bereits gesenkt. Aber sie sitzt nicht im selben Boot wie die Fed und EZB. Sie sieht sich mit schwacher Verbrauchernachfrage, überschüssigen Produktionskapazitäten und Deflation – basierend auf breiten Inflationsmassstäben – konfrontiert, die sich verfestigen könnte. Der Mangel an fiskalischer und anderer wirtschaftspolitischer Unterstützung lässt Zweifel aufkommen, ob die Wirtschaft das Wachstumsziel für dieses Jahr erreichen wird. Die Exporttätigkeit hat die Konjunktur gestützt. Daher wird es wichtig sein, auf Anzeichen von Schwäche zu achten. (BlackRock/mc/ps)