BlackRock Marktausblick – Jackson Hole:US-Notenbank Fed & Europäische Zentralbank halten Zügel straff
Von Ann-Katrin Petersen, CFA, Senior-Kapitalmarktstrategin BlackRock
Auf den Leitzinsgipfel dürfte ein Zinsplateau folgen, keine baldige Fahrt zurück ins Tal der Niedrigzinsen. So lautete eine wichtige Botschaft der Rede Jerome Powells, mit der der US-Notenbank-Vorsitzende am vergangenen Freitagmorgen vor der dramatischen Bergkulisse in Jackson Hole die alljährliche Notenbankkonferenz eröffnete. All jene, die einen kommunikativen Paukenschlag wie im Rahmen von Powells „Volcker-Rede“ im Sommer 2022 erwartet hatten, wurden enttäuscht. Denn das Kommuniqué für sich genommen enthielt wenig Neuerungen. Jedoch lässt allein die Gewichtung der getroffenen Aussagen bzw. das Weglassen von ebenfalls bekannten Kommentaren aus der jüngeren Vergangenheit eine Interpretation dahingehend zu, welches Signal Mr. Powell an die Märkte zu senden gedachte.
Ein starker Hinweis auf weitere Zinsschritte erfolgte nicht, wenngleich die US-Notenbank Fed ihren Leitzinsgipfel im Kampf gegen den heftigsten Inflationsschock seit Jahrzehnten möglicherweise noch nicht ganz erklommen haben könnte. Wichtiger noch: Mr. Powell versuchte, wie von uns vermutet, den Fokus von der Höhe der Leitzinsen auf die Dauer ihres Verbleibs zu verlagern. Im Nachgang der Rede verschoben sich die Markterwartungen für eine Senkung des US-Leitzinses auf Juni 2024, einen Monat später als zu Beginn der letzten Woche erwartet. Der Notenbankchef warnte vor einer weiterhin „zu hohen“ Inflation und verlautbare, die Fed beabsichtige, „die Geldpolitik auf einem restriktiven Niveau beizubehalten“, bis der Preisdruck nachlasse bzw. sich die Inflation nachhaltig in Richtung der 2%-Zielmarke bewege. Gleichzeitig signalisierte er, dass die Fed dabei vorsichtig vorgehen werde und wog ab, „zu viel zu tun, könnte der Wirtschaft auch unnötigen Schaden zufügen“.
Im Vergleich zu seiner Rede im letzten Jahr äusserte sich Mr. Powell insgesamt unverkennbar zurückhaltender. Wenig verwunderlich, denn die damals vorliegenden Inflationszahlen nicht nur in den USA, sondern auch im Euroraum und Grossbritannien hatten noch bei über 8% gelegen. Das US-Leitzinsniveau wiederum hatte „erst“ ein Niveau von 2,5% erreicht, also nur unweit von einem als restriktiv geltenden Terrain. Inzwischen, ein Jahr später, summieren sich die Zinserhöhungen seit März 2022 auf 525 Basispunkte. Mit einem Leitzinskorridor von 5,25%-5,50% haben die Währungshüter damit das höchste Niveau seit 22 Jahren erreicht. Die US-Verbraucherpreise wiederum lagen im Juli „nur“ noch 3,2% oberhalb des Vorjahres, die Kernrate ging zurück auf 4,7%.
Nach Herrn Powell meldete sich auch die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde zu Wort. Auch in unseren Breitengraden rückt die Ziellinie der Zinserhöhungskampagne in Sicht, nachdem die EZB nun seit Juli 2022 ihre Leitzinsen neunmal um insgesamt 425 Basispunkte angehoben hat (auf einen Einlagenzins von 3,75%). Im Gegensatz zur vorangehenden Juni-Sitzung hatte sich Madame Lagarde im Juli nicht zu einer weiteren Zinsstraffung im September verpflichtet, wenngleich sie die Tür auch nicht energisch verschloss. Ob die EZB einen weiteren Zinsschritt wagt, hängt von ihrer Einschätzung zu den Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und Stärke der geldpolitischen Transmission ab (Stichwort „Datenabhängigkeit“). Auf der Juli-Sitzung hatte Lagarde dabei den Ton zur zugrunde liegenden Inflation etwas abgemildert und verwies auf die kraftvolle Transmission der Geldpolitik (u.a. Bank Lending Survey). In Jackson Hole wiederholte Madame Lagarde, der Kampf gegen die hohe Inflation sei noch nicht gewonnen. Das bedeute, dass die EZB solange an einer straffen Geldpolitik festhalten müsse, bis eine mittelfristige Teuerungsrate von 2% erreicht werde.
Konjunktur: Geldpolitischer Gegenwind immer spürbarer – besonders im Euroraum
Apropos Transmission: Mit geldpolitischen Bremsspuren für Konjunktur und Unternehmensgewinne ist nach wie vor zu rechnen. Wer ungeachtet der straffen Zinspolitik bis zuletzt noch die Hoffnung hegte, die Eurozone könnte einer Rezession noch aus dem Weg gehen, wurde nun spätestens in der letzten Woche eines Besseren belehrt. Die Einkaufsmanagerindizes für den Euroraum liessen kaum Interpretationsspielraum darüber zu, wie es um die Wirtschaft in der Eurozone steht. Nach der Industrie weist nun auch Dienstleistungsgewerbe Rezessionssymptome auf. Das Stimmungsbarometer für den Dienstleistungssektor sank im August zum vierten Mal in Folge und liegt mit 48,3 Punkten, deutlich unterhalb der Expansionsmarke von 50 Zählern. Unter dem Strich dürfte der Euroraum im dritten Quartal wohl moderat schrumpfen.
Derweil hat die Mehrheit der Zentralbanken in den Schwellenländern ihre Zinsgipfel bereits erklommen oder übt sich bereits in Zinssenkungen – nicht nur in Ostasien, wo der Post-Covid-Neustart schwächelt, sondern auch in Brasilien und Chile. Die Richtung der Zinspolitik in den Industrieländern und in den Schwellenländern zunehmend auseinander – auch dies war in Jackson Hole zu vernehmen.
Inflation: Langwierige Achterbahnfahrt ins Tal
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinem jüngsten globalen Ausblick verlautbart, die Inflation werde im Jahr 2023 in 96% der Volkswirtschaften mit Inflationszielen und 2024 in 89% über dem Ziel verharren. Zweifelsohne war die jüngste Abschwächung des Inflationsdrucks in den USA eine gute Nachricht. Die jüngsten Kerninflationswerte sind aus dem aufwärts gerichteten Muster der letzten zwei Jahre ausgebrochen. Dies stellt einen echten Fortschritt dar und zeigt, dass der pandemiebedingte Schock bei den Konsumausgaben für Waren und Dienstleistungen nachlässt. Inzwischen zügiger als erwartet, nachdem es eine Weile gedauert hatte, bis die Rotation zwischen beiden Sektoren in Gang gekommen ist. Am deutlichsten ist dies an den Warenpreisen zu erkennen, die sich derzeit sogar in einer Deflation befinden und zuletzt mit einer Jahresrate von 4% schrumpften.
Doch während ein Schock nachlässt, scheint ein zweiter – die alternde Erwerbsbevölkerung – bereit, das Zepter schrittweise zu übernehmen. Dies wiederum könnte die Inflation auf eine Achterbahnfahrt schicken. In dieser Gemengelage richtet sich das Augenmerk in dieser Woche auf den US-Arbeitsmarktbericht vom August (Freitag). Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass der Arbeitsmarkt an Schwung verliert – insbesondere in den Branchen Freizeit und Gastronomie, die im Nach-Corona-Neustart einen beachtlichen Aufholprozess absolviert hatten, lässt die Beschäftigungsdynamik bereits nach. In den vergangenen beiden Monaten lag der monatliche Beschäftigungsaufbau unterhalb von 200.000 Stellen, nachdem in den sechs Monaten zuvor noch ein Durchschnitt von knapp 280.000 Stellen erzielt worden war. Jedoch ist der Arbeitsmarkt fortgesetzt als „eng“ einzuordnen. Mit einem Netto-Stellenzuwachs von rund 170.000 Personen, wie vom Konsens erwartet, ist die Abkühlung für einen Anstieg der Arbeitslosenquote vermutlich nicht ausreichend. Denn es entstehen immer noch mehr Arbeitsplätze, als Personen neu auf den Arbeitsmarkt drängen. In seiner Rede am Freitag hatte Mr. Powell die ungewöhnliche Entwicklung der Arbeitslosenzahlen angesichts der sinkenden Zahl der offenen Stellen betont. Eine alternde Erwerbsbevölkerung bedeutet unseren Schätzungen zufolge, dass die US-Wirtschaft bald voraussichtlich nur noch in der Lage ist, die Schaffung von rund 70.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen pro Monat aufrechtzuerhalten, ohne die Inflation anzuheizen. Daher gilt unseres Erachtens: Sofern sich das Beschäftigungswachstum von hier aus nicht weiter deutlich abschwächt oder es zu einem überraschenden Anstieg der Produktivität oder der Einwanderung in den USA kommt, könnte der Arbeitskräftemangel Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres zu einem erneuten Lohndruck führen und sich zu einer Quelle anhaltender Inflation entpuppen. Das bestärkt uns in der Ansicht, dass die Fed weiterhin die Zügel straff halten wird.
Die Inflation im Euroraum (Donnerstag) dürfte im August nur geringfügig nachgelassen haben und über 5% verharren. Unter der Oberfläche bleiben dabei uneinheitliche Entwicklungen zu beobachten. So sind im Euroraum die Verbraucherpreise von Energiegütern erstmals seit Jahresbeginn im Monatsvergleich wieder gestiegen. Denn die Aussicht auf eine spürbare Angebotsverknappung bei Rohöl hatte den Preis für ein Barrel der Sorte Brent im Juli um rund 15 US-Dollar steigen lassen. Demgegenüber sollte der starke Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln weiter nachgelassen haben. In der Kernrate ist ebenfalls bestenfalls ein leichter Rückgang zu erwarten. Während die Inflation bei Industriegütern rückläufig ist, steigt sie bei Dienstleistungen weiter an. Letzteres beruht jedoch auch darauf, dass saisonale Preissteigerungen im Tourismussektor in diesem Jahr ein höheres Gewicht im Warenkorb aufweisen.
Was bedeutet all dies für die Kapitalanlage?
Die erneut (moderat) rückläufigen Inflationsdaten im Euroraum und ein schwächerer Beschäftigungszuwachs in den USA sollten die Erwartungen untermauern, dass wir uns – erstens – den Leitzinsgipfeln in Europa und den USA nähern. Doch halten die Notenbanken die Zügel im Kampf gegen den hartnäckigen unterliegenden Inflationsdruck straff – eine grundlegende Veränderung gegenüber dem Niedrigzinsumfeld vor der Pandemie. Während die Notenbanken Finetuning betreiben im Umfeld der Zinsgipfel, die Zinsplateaus im Blick, bleiben Zinspapiere attraktive Beimischungen sowohl in taktischer als auch strategischer Hinsicht.
Zweitens erfordert dieses schwankungsreichere Umfeld differenziertere Einschätzungen, gezieltere Engagements und eine höhere Flexibilität – denn in einem gesamtwirtschaftlichen Umfeld, dass durch anhaltend hohe Zinsen und abgebremstes Wachstum geprägt wird, gilt mitunter „macro is not your friend“. Mit anderen Worten ist auf „Beta“ ist weniger Verlass, während gleichzeitig die höhere Streuung am Markt Fingerspitzengefühl bei der Anlage entlohnt. So bevorzugen wir innerhalb des Industrieländer-Aktienuniversums taktisch Japan und Schwellenmärkte. Wir erwarten in Emerging Markets mehr Aufwärtspotenzial bei attraktiveren Bewertungen im Vergleich zu den Industrieländern, da sich dort die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Konjunkturaussichten aufhellen bzw. resilienter gestalten dürften, obwohl der Post-Covid-Neustart in Ostasien ins Stocken geraten ist. Im Rentenmarktsegment bleibt das Renditeniveau bei Lokalwährungsanleihen attraktiv, aber die inzwischen bereits erfolgte Spread-Einengung veranlasst uns, einen Wechsel zu Schwellenländeranleihen in Hartwährung ins Auge zu fassen, die typischerweise in US-Dollar ausgegeben werden. (BlackRock/mc/ps)