Von Martin Lück, BlackRock Leiter Kapitalmarktstrategie
Der Frühling naht, und in Japan freuen sich nicht nur die Einheimischen, sondern seit drei Jahren erstmals auch wieder Scharen von Touristen auf die berühmte Kirschblüte. Aber noch aus anderen Gründen richtet sich dieser Tage mehr Aufmerksamkeit auf das Land der aufgehenden Sonne, denn nach zehn Jahren wird es im April einen Wechsel im Amt des Zentralbankgouverneurs geben.
Nachfolger des international hochgeschätzten Haruhiko Kuroda soll Kazuo Ueda werden, wie die japanische Regierung am Dienstag bekannt gab. Der 71-jährige Ökonom wird mit einer ungewohnten Herausforderung zu tun haben, nämlich Inflation. Auf 4,0% ist im Januar die Inflationsrate gestiegen, und selbst bereinigt um Energiepreise beträgt der Anstieg der Verbraucherpreise noch 3%. Damit ist die in westlichen Industrieländern seit einiger Zeit zu beobachtende Tendenz auch in einem Land angekommen, das seit über 30 Jahren mit der entgegengesetzten Gefahr, nämlich einem Abrutschen in die Deflation, assoziiert worden war und nun Erfolg im Kampf gegen ebendiese Deflation melden kann. Problematisch ist hierbei nur, dass die lang ersehnte Rückkehr der Inflation nicht durch robustere Nachfrage, sondern, wie in anderen Teilen der Welt auch, durch Angebotsknappheiten befeuert wird. Und sollte, wie sich jetzt ebenfalls abzuzeichnen beginnt, die Wiederbelebung der Inflation mit steigenden Löhnen einhergehen, dürften die Tage der ultralockeren Geldpolitik der Notenbank gezählt sein.
Es ist zu erwarten, dass die bald abtretende Zentralbankführung unter Kuroda die erforderliche Anpassung der Geldpolitik nicht mehr einleiten, sondern diesen Schritt der neuen Leitung überlassen wird. Immerhin könnte aber der scheidende Gouverneur anlässlich der letzten von ihm geleiteten Sitzung der Bank of Japan am 10. März den Umschwung verbal vorbereiten. Und sich dabei selbst auf die Schulter klopfen, mit dem Hinweis, die jahrelange Politik der Zinskurvensteuerung habe sich nun endlich als erfolgreich erwiesen im epischen Kampf gegen die Deflation. Schon knapp drei Jahre nach seinem Amtsantritt hatte Kuroda dem Markt Anfang 2016 Zielgrössen für das kurze und lange Ende der Zinskurve vorgegeben.
Die bisherigen Massnahmen monetärer Expansion, Leitzinssenkung auf null sowie Aufkäufe von Staatsanleihen und anderen Finanzanlagen, sogenannte Quantitative Lockerung, in enormem Umfang, hatten zur Wiederbelebung der Preisdynamik nicht ausgereicht, sodass die Notenbank unter Kuroda nun ankündigte, den kurzfristigen Zins leicht unter null, den langfristigen nur geringfügig darüber halten zu wollen. Im Juli 2018 wurde daher für die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe ein Schwankungsband von -0,1 bis +0,1% etabliert und im März 2021 auf -0,25 bis +0,25% erweitert. Dies funktionierte, solange die Inflation nahe null lag und Anleihegläubigern daher keine realen Zinsverluste entstanden, geriet aber mit dem Aufflammen der Inflation infolge von Angebotsknappheiten nach Ende der Coronamassnahmen und verstärkt durch den Energiekostenschub zunehmend unter Druck. Ende 2022 musste die Bank of Japan das Schwankungsband nochmals ausweiten, auf aktuell -0,5 bis +0,5%. Es ist absehbar, dass der nächste Schritt eine vollständige Abkehr von der Zinskurvensteuerung sein könnte.
Sollte zeitgleich mit dem Führungswechsel in der Bank of Japan eine derartige Umorientierung stattfinden, könnte dies auch durch eine Veränderung in der Lohndynamik Japans gerechtfertigt werden. Denn bisher schien das Land mit der weltweit ältesten Bevölkerung bemerkenswert resistent zu sein gegen Knappheit an Arbeitskräften. Dies lag zum Teil an oft vergessenen Erfolgen von Strukturverbesserungen am Arbeitsmarkt, einem wichtigen Element des „dritten Pfeils“ der vom ehemaligen Premierminister Shinzo Abe begründeten „Abenomics“. Diese Massnahmen sahen eine höhere Beschäftigungsquote vor allem älterer Menschen und Frauen vor, sodass über Jahre Lohndruck als Folge der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung gemildert werden konnte. Offenbar reichen diese strukturellen Verbesserungen am Arbeitsmarkt aber immer weniger aus, um dem steigenden Kostendruck zu begegnen, sodass nun eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik auch fundamental gerechtfertigt sein könnte. Obwohl der japanische Anleihemarkt relativ abgeschottet ist, weil grosse Teile der gigantischen Staatsverschuldung (Ende 2021 bei rund 262% des BIP) bei inländischen Kapitalsammelstellen liegen, dürften die Folgen steigender japanischer Zinsen rings um die Welt deutlich zu spüren sein.
Ernüchterter Blick auf Gewinne trifft auf Zweifel an Zinssenkungen
In der Vorwoche kehrte Ernüchterung an den bisher so gut ins Jahr gestarteten Märkten ein. Nach der zu gut zwei Dritteln absolvierten Berichtssaison wird der Ausblick auf das Gewinnwachstum 2023 immer magerer. Dort dürfte angesichts nicht gerade günstiger Bewertungen (KGV etwa rund 18,5 für den S&P 500) also wenig Futter für weitere Kursanstiege zu holen sein. Bleibt die Hoffnung auf Zinssenkungen. Aber angesichts jüngster Aufwärtsrevisionen bei der US-Inflation und eines möglicherweise eher trägen Absinkens in den kommenden Monaten hat der Markt ein Gutteil der bisher für die zweite Jahreshälfte erwarteten Zinssenkungen wieder ausgepreist. Es droht die Erkenntnis, dass im Jahr 2023 doch noch mehr von der Stagflationsgefahr, die uns das Vorjahr so gründlich verdorben hat, enthalten ist. Bis bezüglich Wachstum und Inflation mehr Transparenz herrscht, könnten daher die Märkte in ihrem skeptischen Abwarten verharren.