BlackRock Marktausblick: Kampf um die Deutungshoheit

BlackRock Marktausblick: Kampf um die Deutungshoheit
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Die Inflationsdaten der vergangenen Woche deuten darauf hin, dass EZB und Fed ihre Leitzinsen noch weiter straffen werden. Bevor sich Marktteilnehmer überhaupt Gedanken darüber machen müssen, wann und wie schnell dann irgendwann die Zinsen wieder sinken, bleibt der Blick also zunächst nach oben gerichtet. Dabei war ja in der Eurozone die Inflation im Juni weiter kräftig zurückgegangen, von 6,1 auf 5,5%.

Weil dies allerdings vor allem vom Rückgang der Energiepreise verursacht wurde und die Kerninflationsrate sogar um ein Zehntel zulegte (von 5,3 auf 5,4%), klang EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei der jährlichen Zentralbankenkonferenz im portugiesischen Sintra grimmig entschlossen, der Inflation mit weiteren Zinserhöhungen zu begegnen. Aber gerade weil Frau Lagarde in der Vergangenheit explizit darauf verwiesen hatte, die EZB orientiere sich mit Blick auf die Belastung der Privathaushalte keineswegs an der Kern-, sondern der gesamten Inflationsrate, könnte hier demnächst kommunikative Flexibilität gefragt sein. Denn wenn, was sich seit geraumer Zeit abzeichnet, die Gesamtinflation unter die Kerninflation fallen sollte, müsste die EZB den Fokus ihrer Argumentation auf letztere verlegen. Dies dürfte umso dringlicher werden, je stärker die gesamte Inflationsrate fällt. Die Hinweise auf einen beschleunigten Rückgang sind zuletzt stärker geworden, vorlaufende Inflationsmasse etwa wie Produzenten- und Importpreise sogar geradezu in sich zusammengefallen.

Schon hieran wird deutlich, dass die Kommunikation der EZB sich in allererster Linie an die breite Öffentlichkeit wendet, nicht an haarspaltende Ökonomen, die zwischen Kern- und Gesamtrate unterscheiden. Dazu passt, dass auch das Gesamtbild, welches Frau Lagarde gern in der öffentlichen Wahrnehmung kreieren möchte, genauerer ökonomischer Überprüfung gar nicht standhält. Nämlich jenes Bild, das den zu beobachtenden, wenngleich noch nicht ganz zufriedenstellenden Inflationsrückgang als Ergebnis ihrer kernig eingebremsten Zentralbankpolitik ausweist. Volkswirte würden angesichts dieser These darauf verweisen, dass der neutrale Zins vermutlich erst seit Anfang des Jahres überschritten wurde, die Zeit für messbare restriktive Impulse mithin viel zu kurz ist. Der Rückgang der Inflation wäre damit vor allem ein Produkt der Basiseffekte, vor allem bei den Energiepreisen.

Der EZB aber geht es nicht so sehr um die korrekte ökonomische Analyse, sondern vielmehr um die politische Botschaft, die sie mit ihrem Narrativ verbinden kann. Denn wenn die Menschen in Europa glauben, dass die sinkende Inflationsbelastung der Notenbank zu verdanken ist, werden sie ihr auch zugestehen, im Zweifel etwas zu lange auf dem Bremspedal stehen zu bleiben. Und sie werden es ihr eher verzeihen, wenn die monetäre Straffung überhart ausfällt und damit Europas Wachstumsmisere eventuell sogar verstärkt. Nachvollziehbar ist diese Strategie allemal. Denn je schneller es der EZB gelingt, die 2%-Marke wieder zu erreichen, idealerweise sogar zu unterschreiten, desto näher bringt sie das ihrem Ziel, die Tarifpartner von weiteren überhöhten Lohnabschlüssen abzuhalten und damit die gefürchteten Zweit- und Drittrundeneffekte zu begrenzen. Gelingt dies, könnte die EZB mit dem schlechten Gewissen, zu spät auf die hohe Inflation reagiert zu haben, und vielleicht mit einem blauen Auge davonkommen.

Was bedeutet das konkret für den nächsten EZB-Termin am 27. Juli? Fast sicher scheint, dass die Notenbank nicht nur die Leitzinsen erneut um 25 Basispunkte erhöht, sondern weitere Schritte für September und eventuell Oktober gleich mit ins Fenster stellt. Nach dem Repo-Satz könnte dann auch der Einlagenzins, der bisher als eigentlicher Leitzins verstanden wurde, die 4%-Marke erreichen bzw. sogar überschreiten.

Der Nikkei plötzlich Outperformer
Die Zentralbankpolitik in den westlichen Industrieländern bildet einen interessanten Gegensatz zu dem, was die Bank of Japan zuletzt entschieden hat, die Geldpolitik nämlich unverändert expansiv zu belassen. Dabei ist es keineswegs so, dass Inflation in Japan keine Rolle spielt. Auf rund 4% war zuletzt das neu definierte Inflationsmass für den Grossraum Tokio angestiegen. Grund dafür, warum die Notenbank dennoch keinen Grund für eine Abkehr von ihrer de facto-Nullzinspolitik sowie der Zinskurvensteuerung sah, war das Ausbleiben von Zweitrundeneffekten, also steigenden Löhnen. Das Geld blieb extrem günstig und breit verfügbar just in einer Zeit, in der sich Japans Wirtschaft aus der Covid-Pandemie erholte und Unternehmen angesichts einer endlich positiven Inflationsrate ungewohnt günstige Preisüberwälzungsmöglichkeiten vorfanden.

Und weil gleichzeitig der sogenannte dritte Pfeil der vor zehn Jahren angelegten „Abenomics“, der Wirtschaftspolitik des ehemaligen Ministerpräsidenten Shinzo Abe, langsam Früchte zu tragen beginnt, stellen sich sowohl die Gewinnentwicklung japanischer Unternehmen als auch die gesamtwirtschaftliche Verfassung des Landes so attraktiv dar wie schon seit langem nicht mehr. Zum Ende der vergangenen Woche ging der Nikkei mit einem Jahresplus von bisher gut 27% als einer der attraktivsten Industrielandmärkte aus dem Handel. Es dürfte also dem Zusammenkommen mehrerer Faktoren zu verdanken sein, dass sich Japan in diesem Jahr vom abschreckenden Beispiel zum Vorzeigeland gemausert hat. (BlackRock)

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