BlackRock Marktausblick: Karneval an den Märkten
Von Ann-Katrin Petersen, Chief Investment Strategist in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
An Karneval wird bekanntlich für ein paar Tage der Ernst des Lebens ignoriert, um sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Erleben wir derzeit einen ähnlichen Ansatz an den Märkten?
Zumindest überwiegt zum Hochpunkt der „fünften Jahreszeit“ an den Aktienmärkten nach wie vor die bunte Feierlaune. Der US-amerikanische Leitindex S&P 500 hat in 14 der letzten 15 Wochen Kurszuwächse verbucht – eine Serie, die das Börsenbarometer seit den 1970er Jahren nicht mehr hingelegt hat (Datenquelle: LSEG, 09.02.2024). Für Konfettiregen sorgten in der abgelaufenen Handelswoche vor allem positive Überraschungen bei den vorgelegten Unternehmensgewinnen. Gegen die Risikofreude vermochten offenbar weder die geringe Marktbreite – nur etwa 2% der Indextitel des S&P 500 befinden sich auf Höchstständen – noch die jüngsten Sorgen um den US-Gewerbeimmobiliensektor oder höheren Anleiherenditen viel auszurichten.
Das übergreifenden Narrativ an den Börsen lautet unverändert: robustes US-Wachstum, eine sich fortgesetzt abkühlenden Inflation und spürbaren Zinssenkungen der US-Notenbank Fed. Die „beste aller Welten“ scheint zum Greifen nahe. Ob mit Beginn der kargen Fastenzeit die Allzeithochs bei Risikoaktiva in Zweifel gezogen werden, hängt daher nicht zuletzt davon ab, inwiefern die Hoffnungen auf eine „sanfte Landung“ der Wirtschaft genährt werden können.
Zwar haben sich die Hoffnungen auf baldige und spürbare Zinssenkungen zuletzt etwas eingetrübt, die Markterwartungen bleiben jedoch gerade mit Blick auf die US-Notenbank Fed unseres Erachtens ambitioniert. So plädierten auch in der vergangenen Woche Mitglieder der Fed in verschiedenen Reden für Geduld bei der Zinswende. Äusserungen der Europäischen Zentralbank (EZB) fielen gemischt aus: Es gab eine weitere Anerkennung der Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung, aber weiterhin Besorgnis über das immer noch hohe Lohnwachstum und die prognostizierte Wachstumsbeschleunigung im ersten Halbjahr 2024. Seit Jahresbeginn sind die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen und deutscher Bundesanleihen um über 30 Basispunkte auf nahezu 4,2% respektive 2,3% geklettert (Datenquelle: LSEG, 09.02.2024).
Achterbahnfahrt: US-Inflation zwischen fallenden Güterpreisen und festem Arbeitsmarkt
Passenderweise steht noch vor Aschermittwoch die Veröffentlichung der US-Inflationszahlen für den ersten Monat des neuen Jahres an. Entscheidend dürfte vor allem sein, inwieweit sinkende Güterpreise die Teuerung im Jahresverlauf weiter nach unten drücken – eine Entwicklung, die begünstigt wird durch den sich auflösenden pandemiebedingten Schock bei den Konsumausgaben für Waren und Dienstleistungen. Der unterliegende, binnenwirtschaftliche Preisdruck lässt dagegen nur schleppend nach. Wir rechnen damit, dass der anhaltende Lohndruck in einem angespannten US-Arbeitsmarkt die Inflation über 2024 hinaus auf eine Achterbahnfahrt schicken könnte. Im Januar fiel selbst unter Berücksichtigung wetterbedingter Verzerrungen der Arbeitszeiten das Stundenlohnwachstum mit Blick auf die 2%- Preisstabilitätsmarke der Fed immer noch zu hoch aus. Das Beschäftigungsplus im Monatsvergleich hatte überraschend kräftige 353 Tausend betragen, der grösste Anstieg seit Januar 2023. Vor dem Hintergrund eines angespannten Arbeitsmarktes wird die Fed unserer Ansicht nach die Zinsen nicht so stark senken können, wie an den Börsen eingepreist.
Keine Eile versprüht auch die EZB in Bezug auf die kommende Notenbanksitzung im März. Der Beschäftigungsaufbau im Euroraum – die Zahlen für das vierte Quartal werden am Mittwoch veröffentlicht – wird voraussichtlich erneut solide ausgefallen sein. In den EZB-Türmen bringt das kaum Erleichterung. Denn das seit sechs Quartalen stagnierende Wirtschaftswachstum im Währungsraum bei gleichzeitig zunehmender Beschäftigung impliziert eine verhaltene Produktivität. Und so befindet sich die EZB weiterhin im Wartemodus auf Lohnwachstumszahlen im Frühjahr.
Unruheherd: Geopolitik bleibt Quelle von Unsicherheit und Volatilität
Keine Karnevalslaune herrscht angesichts der geopolitischen Gemengelage. Die Zahl der fragilen Situationen weltweit ist laut den Vereinten Nationen die höchste seit Jahrzehnten, und das in einem Jahr, in dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung an die Wahlurne schreitet. Die Störung der Schifffahrt im Roten Meer ist ein jüngeres Beispiel, wie Krisenherde Lieferketten beeinträchtigen und die Produktionskosten in die Höhe treiben können. Das frisch aktualisierte „Geopolitical Risk Dashboard“ des BlackRock Investment Institute (BII) (Quelle: BlackRock.com / 09.02.2024) verdeutlicht, wie eine Reihe miteinander verflochtener Dynamiken zu strukturellen Veränderungen in der geopolitischen Ordnung führen und die Volatilität auf den Weltmärkten verschärfen, sei es der Gaza-Krieg, die russische Invasion in der Ukraine und der strategische Wettbewerb zwischen den USA und China.
Fazit: Karge Fastenzeit an den Börsen bleibt (vorerst) aus
Trotz der lauernden Risiken könnte die positive Risikostimmung noch eine Weile anhalten, wenngleich in den Börsenkursen bereits viel Zuversicht vorweggenommen ist. Die „beste aller Welten“ scheint zum Greifen nahe, wonach die Inflation ohne Rezession auf die 2%-Zielmarke der Fed sinkt. Allerdings gehen wir davon aus, dass das immer noch hohe Lohnwachstum die Teuerung in den USA über dieses Jahr hinaus wieder ansteigen lassen wird, was die Fed wiederum daran hindern dürfte, die Zinsen so kräftig zu senken, wie die Märkte es erwarten. Wir gehen davon aus, dass das Szenario einer wiederauflebenden Inflation im Zeitablauf klarer zum Vorschein kommt – und einer anhaltende Karnevalslaune die Stirn bieten wird. (BlackRock/mc/ps)