Von Martin Lück, BlackRock Leiter Kapitalmarktstrategie
Um fast 7% lagen Aktien weltweit Stand Ende letzter Woche im Plus. Globale Anleihen steuerten rund 2,4% zur Rendite eines typischen Portfolios bei, das schwerpunktmässig aus genau diesen beiden Anlageklassen besteht. Damit ist der Januar auf dem besten Wege dazu, ein Mini-Spiegelbild des Vorjahres zu werden. Mini deshalb, weil die bisherige Performance nur einen Bruchteil der über das Jahr 2022 in Aktien und Anleihen erlittenen Verluste aufholt. Dennoch fällt die Parallele ins Auge. Denn noch vor kurzer Zeit schien die Erwartung Konsens zu sein, das stagflationäre Umfeld, welches das Vorjahr so unerfreulich gemacht hatte, würde uns auch zumindest am Jahresanfang, aber auch weit ins Jahr 2023 hinein erhalten bleiben. Dürfen wir also aus dem risikofreudigen Januar schiessen, dass die Stagflation vorbei ist?
Ganz so einfach ist es leider nicht, denn nach wie vor sind ja die Inflationsraten hoch und das Wachstum schwach. Und weil bei einer Stagflation hohe Inflation über die Vermutung dann ebenfalls hoher Zinsen die Anleihepreise drückt und gleichzeitig schwaches Wachstum den Ausblick für Unternehmensgewinne und damit Aktienpreise eintrübt, können wir konstatieren, dass die Märkte hier nicht notwendigerweise eine Kehrtwende des fundamentalen Umfeldes einpreisen. Eher dürfte die Januarrally eine Mischung aus Erleichterung darüber sein, dass alles nicht noch viel schlimmer gekommen ist, und echter Hoffnung auf Besserung in der zweiten Jahreshälfte. In der Tat zeigt sich, was die Erleichterung bezüglich des Wachstums betrifft, die US-Volkswirtschaft robuster als gedacht; im vierten Quartal 2023 ist das BIP mit einer annualisierten Rate von 2,9% gewachsen. Und in Europa ist die befürchtete Gasmangellage ausgeblieben, zusätzlich wecken die auch Richtung Ende des Winters hohen Speicherstände (gegenwärtig rund 83% in Deutschland) die Hoffnung, dass die Rezession vielleicht sogar ganz ausbleibt. Gleichmassen sinken derzeit die Inflationsraten rapide, was angesichts der enormen Basiseffekte und gesunkener Energiepreise wenig verwunderlich ist. Also alles gut, oder? Moment, da war ja noch die Hoffnung auf Besserung im zweiten Halbjahr.
An dieser Stelle wird deutlich, dass in den verbleibenden 11 Monaten des Jahres noch eine Menge passieren kann. So ist bei weitem nicht klar, dass das Gespenst einer tiefen Rezession Europa und die USA wirklich verschont oder, wenn es doch vorbeikommt, keinen grossen Schaden anrichtet. Angesichts der langen Zeit, die es üblicherweise braucht, bis die Wirtschaftsdynamik als Folge drastisch verschärfter Finanzierungsbedingungen in die Knie geht, ist es für Entwarnung viel zu früh. Und die Inflationsentwicklung könnte im Jahresverlauf einen interessanten und geradezu verwirrenden Verlauf nehmen. So ist nicht unplausibel anzunehmen, dass die Zwölfmonatsraten der Gesamtindizes unter jene der um Energie- und Nahrungsmittelpreise bereinigten Indizes fallen, mit anderen Worten die Headline- unter der Kerninflation landet. Dann wird es spannend zu beobachten sein, ob mit Zeitverzögerung auch die Kernraten anfangen abzuschmelzen, was etwa in Europa an verzögert aus dem Index verschwindenden Energiepreisen liegen könnte (Kerninflation ist ja nicht immun gegen Energiepreisveränderungen, nur sind die Anpassungen träger), wogegen in den USA nachlassender Mietpreisdruck den gleichen Effekt auslösen könnte. Bleibt dieses Abschmelzen auch der Kernraten aber aus, aus welchem Grund auch immer, würde das die Bereitschaft der Notenbanken, schon bald die Zinsen wieder zu senken, vermutlich spürbar dämpfen. Insofern ergibt sich ein komplexes Bild, eines, das durchaus auch in weniger erfreuliche Richtungen gehen kann. Von Russlands Krieg gegen die Ukraine und anderen geopolitischen Grossbaustellen ganz zu schweigen.
Notenbanken in dieser Woche im Fokus
In dieser Woche stehen einmal mehr die Notenbanken im Fokus. Relativ klar erscheint, dass die Zeichen auf weitere Zinserhöhungen hindeuten. Im Falle der am Mittwoch tagenden US-Notenbank preisen die Fed Funds Futures mit 98% Wahrscheinlichkeit einen Zinsschritt um 25 Basispunkte ein, während für die tags darauf folgende EZB unter anderem die jüngsten Einlassungen des niederländischen Zentralbankchefs Klaas Knot wenig Zweifel an einem 50 Basispunkte-Schritt gelassen haben. Im Fall beider Zentralbanken dürfte es dann in den Presserklärungen und -konferenzen vor allem um den weiteren Verlauf ihres Zinsanhebungspfades gehen, bei der EZB zudem um Details zur geplanten Bilanzverkürzung (Quantitative Tightening). Die Bank of England könnte am Donnerstag ebenfalls zu einem entschlossenen Zinsschritt neigen, angesichts eines bisher enttäuschend geringen Rückgangs der Verbraucherpreisdynamik und kräftig steigender Lohnkosten.