BlackRock Marktausblick: Warm Anziehen!

BlackRock Marktausblick: Warm Anziehen!
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

In der vergangenen Woche fügte die russische Regierung der an Grotesken nicht gerade armen Auseinandersetzung um Energielieferungen eine weitere Farce hinzu. Wegen eines Lecks, so hiess es nun, müsse die Lieferung von Erdgas durch die Pipeline Nord Stream 1 auf unbestimmte Zeit eingestellt werden. Schon vorher war der Zustrom auf magere 20% des Vorkriegsniveaus beschränkt gewesen, nachdem Anfang Juli turnusmässige Wartungsarbeiten die Durchleitung ganz zum Erliegen hatten kommen lassen. Damit wird ersichtlich, dass Moskau mit der deutschen Gasabhängigkeit spielt. Der Versuch, mit dem gelegentlichen Hinwerfen von ein paar Brotkrümeln, nach denen der Süchtige gierig greift, für die deutsche Wirtschaft und Politik maximalen Schaden anzurichten, ist unübersehbar. Umso wichtiger ist es, sich der Realität zu stellen. Russisches Gas, das zu Beginn noch über die Hälfte des Gasverbrauchs in Deutschland ausmachte, steht ab sofort de facto nicht mehr zur Verfügung. Gewöhnen wir uns besser schon mal an den Gedanken.

Der Aktienmarkt scheint so weit noch nicht zu sein. Denn nach der Nord Stream 1-Nachricht der letzten Woche herrschte Katastrophenstimmung. Dabei erscheint erstaunlich, dass nach vorübergehend besseren Nachrichten in der jüngeren Vergangenheit überhaupt wieder Optimismus aufkeimte und Investoren schnell bereit waren, bei vermeintlich günstig bewerteten Teilen des Marktes beherzt zuzugreifen. Denn seit einiger Zeit ist absehbar, dass das gasabhängige Europa vom russischen Präsidenten und seinen Komplizen am Nasenring durch die Manege geführt wird. Natürlich ist es aus europäischer Sicht richtig, den Stolz herunterzuschlucken und jede angebotene Menge abzunehmen. Andererseits ist es aber auch wichtig, sich nichts vorzumachen und den Aufbau von alternativen beschleunigt voranzutreiben, vor allem bei nachhaltigen Energieformen, für eine Übergangszeit aber auch bei fossilen. In Bezug auf letzteres ist es daher eine gute Nachricht, dass der durchschnittliche Füllstand deutscher Gasspeicher inzwischen die Marke von 85% überschritten hat. Dieser Wert gilt als Grenze genannt dafür, ob eine physische Gasknappheit über den Winter mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden kann. Mit anderen Worten, je weiter ab jetzt die Gasspeicher über die 85%-Marke hinaus befüllt werden können, bevor sie in der Heizperiode wieder abgeschmolzen werden, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass der Gasverbrauch von Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Haushalten repartiert werden muss.

Die Aussicht, nicht bibbernd zu Hause zu sitzen und möglicherweise den Job verloren zu haben, weil der Arbeitgeber wegen Gasknappheit den Betrieb einstellen musste, könnte also ein Horrorszenario bleiben. Dies sollte aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der anstehende Winter schwierig werden dürfte. Denn selbst wenn auch die gasabhängige Industrie ohne Einschränkungen produzieren kann, ist eine markante wirtschaftliche Abschwächung wahrscheinlich. Denn die Preissteigerungen für Energie aller Formen (neben Gas vor allem Heizöl, Autotreibstoffe und Strom) dürfte weiterhin die Kaufkraft der Haushalte erodieren und damit den Konsum schwächen. Schon jetzt befindet sich laut GfK das Konsumklima auf einem Allzeittief, die schlechte Stimmung dürfte zudem auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen durchschlagen, vor allem in Sektoren, die stärker von der Binnennachfrage abhängig sind. Dazu kommen die noch völlig unabsehbaren Folgen, die sich aus dem Verschwinden des „Zentralbank-Put“ ergeben.

Denn waren die Zentralbanken bis Ende 2021 davon ausgegangen, die Geldpolitik in die post-Covid-Welt graduell und sehr vorsichtig normalisieren zu können, erzeugt der russische Überfall auf die Ukraine nun eine Preisdynamik, welche die Notenbanken unter enormen Handlungsdruck setzt. Um eine Lösung der Inflationserwartungen aus der Verankerung und eine Beschädigung der eigenen Glaubwürdigkeit zu verhindern, werden sie zu geradezu unkontrolliertem Einbremsen genötigt. Noch ist nicht absehbar, welche Effekte steigende Zinsen und schrumpfende Zentralbankbilanzen etwa für Geschäftsmodelle haben, die auf Verschuldung aufgebaut sind. Sie werden angesichts der notorisch langen Time Lags von Geldpolitik frühestens im nächsten Jahr zu besichtigen sein. Fed dürfte am Mittwoch dem neutralen Zins nahekommen

Womit wir bei der EZB wären. Die Anhebung der drei Leitzinssätze um jeweils 0,5 Prozentpunkte gilt als ausgemachte Sache. Es könnten sogar 0,75 werden, was dann dafür spräche, dass die EZB die Zinsen so stark erhöhen möchte wie möglich, bevor sich dunkle Wolken über der Volkswirtschaft zusammenziehen. Die am Donnerstag ebenfalls fälligen aktualisierten Prognosen der EZB-Volkswirte dürften jedenfalls schwächeres Wachstum und höhere Inflation prophezeien. Angesichts des Handlungsdrucks, der sich bei einer Inflationsrate von 9,1% und einer Kernrate von 4,3% aufbaut, könnte sich die EZB-Führung noch wünschen, zu einem günstigeren Zeitpunkt mit der Normalisierung ihrer Geldpolitik begonnen zu haben. (BlackRock/mc/ps)

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