BlackRock Marktausblick: Panik bei der EZB
Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Mit ihrer unerwartet kräftigen Zinsanhebung um jeweils 0,5 Prozentpunkte beim Einlagen-, Repo- und Spitzenrefinanzierungszins hat sich die EZB am vergangenen Donnerstag keinen Gefallen getan. Denn erstens verstösst die Abweichung von ihrem im Juni explizit angekündigten Zinsanhebungspfad (0,25 Prozentpunkte im Juli und dann wohl 0,5 im September) gegen die eigentlich sakrosankte „Forward Guidance“. Diese transparente Ankündigungs- und Kommunikationspolitik hatte die EZB noch im Juni als Begründung dafür angeführt, warum man den ersten Zinsschritt nicht sofort exekutieren, sondern auf den Juni verschieben würde und dabei mit den erst zum 1. Juli zu beendenden Anleihekäufen argumentiert. So wirkt nun, zweitens, die EZB wie eine Getriebene, die panisch auf die zuletzt publizierten Inflationsdaten (8,6% Gesamt- und 3,7% Kerninflation im Juni) schielt und sich selbst hinter der Kurve sieht. Schlimmer noch, sie suggeriert dem Markt, dass schnell noch der angestrebte Abschied von den Negativzinsen erreicht werden sollte, bevor schon im Herbst sich die ökonomische Lage so weit eintrübt, dass weitere Zinsanhebung vielleicht zunehmend fraglich werden.
Dass Christine Lagarde zu Protokoll gab, sie erwarte keine Rezession im Euroraum, wirkte dagegen wie Pfeifen im Walde. In Summe konterkariert die EZB eher die Wirkung ihres Handels auf die Inflationserwartungen. Und letztere sind es ja, welche die Bank mit strafferer Geldpolitik überhaupt erreichen kann, während eine direkte Beeinflussung der von Angebotsengpässen getriebenen Inflation nicht im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt. Der Versuch der EZB, besonders entschlossen daherzukommen, verpufft also bei näherem Hinsehen und beschädigt sogar das wichtigste Gut, das eine Zentralbank besitzt: ihre Glaubwürdigkeit.
Auch mit ihrer Reaktion auf die jüngst wieder deutlich gestiegenen Spreads in der Peripherie, vor allem vor dem Hintergrund der Regierungskrise in Italien, sprang die EZB zu kurz. Denn die Ankündigung ihres Transmission Protection Instrument (TPI) überzeugte weder Finanzmarktteilnehmer noch EZB-Kritiker davon, dass hiermit ein hinreichend starkes und gleichzeitig verfassungsrechtlich unbedenkliches Instrument gefunden wurde, um einem fundamental nicht gerechtfertigten Anstieg der Risikoaufschläge für bestimmte Länder zu begegnen. Die Kriterien für das, was in Bezug auf die Spreads als „fundamental ungerechtfertigt“ gelten würde, nämlich dass ein betreffendes Land weder einem EU-Strafverfahren wegen überzogener Defizite noch wegen makroökonomischer Ungleichgewichte unterliegt und dass es tragfähige öffentliche Finanzen sowie eine solide, tragfähige Wirtschaftspolitik aufweist, wirken seltsam unpräzise. Und so sieht sich die EZB einmal mehr dem Vorwurf ausgesetzt, mit dem angeblichen Schutz der Transmission ihrer Geldpolitik eigentlich nur die Finanzierungskosten bestimmter Länder senken und damit verdeckt Fiskalpolitik betreiben zu wollen. Es ist daher zu erwarten, dass die üblichen Verdächtigen bereits wieder ihre Juristen in Klausur geschickt haben und wir demnächst die ersten Klagen gegen das TPI in Karlsruhe eintreffen sehen.
Die Dramatik der Regierungskrise in Italien zeigt dabei einmal mehr, wie wenig sich die Eurozone einen weiteren Aufschub der dringend nötigen Schritte zur Verhinderung der nächsten Eurokrise leisten kann. Die müde Präsentation des TPI in der vergangenen Woche erschien wie alter Wein in neuen Schläuchen, wie ein matter Versuch, eine Art „OMT ohne Konditionalität“ auf den Weg zu bringen, weil immer deutlicher wird, dass eine neue Krise jederzeit ausbrechen kann. In Italien droht etwa nach anderthalb Jahren ruhigen und verlässlichen Regierens der Draghi-Administration nichts weniger als der Rückfall in ein antieuropäisches Chaos. Sollte am 25. September wirklich eine rechtspopulistische Regierung aus Fratelli d’Italia und Lega an die Macht gelangen, was sich zurzeit durch deren gemeinsamen Stimmenanteil von rund 46% in den Umfragen andeutet, könnten Marktteilnehmer den Daumen über die Eurotauglichkeit der drittgrössten Volkswirtschaft senken. Hitzige Rettungsaktionen könnten wieder gefragt sein. Einmal mehr würde sich rächen, dass Europa offenbar jedes Mal nach dem Überstehen von Krisen ermattet in alte Muster zurücksinkt, statt weiter auf dem Weg Richtung fiskalische Integration, Kapitalmarkt- und Sozialunion zu gehen.
Fed dürfte am Mittwoch dem neutralen Zins nahekommen
Die US-Notenbank wird wohl morgen den Leitzins auf 2,25-2,50, also um 75 Basispunkte anheben, was auch am Markt eingepreist ist und deshalb keine grösseren Reaktionen auslösen dürfte. Interessant ist aber, dass sich die Fed damit bereits in der Nähe des für die USA geschätzten neutralen Zinses befindet, bei dem die volkswirtschaftliche Aktivität also weder stimuliert noch gebremst wird. Der Markt könnte also schon sehr bald das Ende der Zinsanhebungen (zurzeit gepreist bei rund 3,3%) in den Blick nehmen. Beim Fed-Termin am 14. Dezember, spätestens aber im ersten Quartal 2023, könnte es dann schon wieder seitwärts gehen, im Rezessionsfall sogar in Richtung Zinssenkung. (BlackRock/mc/ps)