BlackRock Marktausblick: Ratlos im Datendschungel
Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
In der vergangenen Woche machten die Arbeitsmarktdaten in den USA einmal mehr von sich reden. Zunächst vermeldete der ADP-Report, der den Stellenzuwachs in der Privatwirtschaft ausserhalb der Landwirtschaft misst, einen starken Zuwachs von 497.000 Stellen. Zwar zeichnete der am darauffolgenden Freitag publizierte Non-Farm Payroll-Bericht mit einer Schaffung von ‚nur‘ 209.000 Stellen (erwartet worden waren 225.000) und einer Abwärtsrevision des Vormonatswertes um 110.000 Stellen ein schwächeres Bild. Aber die Arbeitslosenquote sank bei unveränderter Partizipationsrate von 62,6% sogar minimal auf 3,6%, die Lohndynamik nahm leicht zu von 4,3% auf 4,4% im Jahresvergleich. Damit ist die Gesamtbilanz klar: Die Arbeitsmarktdaten suggerieren eine sehr robuste Verfassung der Wirtschaft in den Vereinigten Staaten. Ein markanter Zinssprung war die Folge.
Die Frage ist nur: Kann man diese Schlussfolgerung nach wie vor so unterschreiben? Ist es möglich, dass der Arbeitsmarkt mit den oben angeführten Daten eher Knappheit an Arbeitskräften als eine brummende Gesamtwirtschaft anzeigt? Mit anderen Worten: Lesen wir möglicherweise ‚starke Nachfrage‘, wo es sich in Wirklichkeit um ‚knappes Angebot‘ handelt? Dafür spricht, dass sonstige Makro-Indikatoren ein eher gemischtes Bild der US-Ökonomie zeichnen. So ist letzte Woche der ISM-Einkaufsmanagerindex für die Industrie weiter von 46,9 auf 46,0 gefallen, bleibt also eindeutig auf Kontraktionsniveau. Dagegen ist der entsprechende Index für die nicht-industriellen Bereiche, grösstenteils also die Dienstleistungen, von wackeligen 50,3 auf recht robuste 53,9 gestiegen und signalisiert damit, dass gut drei Viertel der Volkswirtschaft nach wie vor unter Dampf stehen.
Während also am Arbeitsmarkt möglicherweise eher strukturelle Kräfte (Stichwort: Verrentung der Boomer-Generation) am Werk sind, ist angesichts der sonstigen Indikatoren die Messe noch keineswegs gelesen: Ob die US-Wirtschaft in den nächsten Quartalen trotz der stärksten Zinsanhebungen seit 1980 eine Rezession wirklich wird vermeiden können, ist alles andere als ausgemachte Sache. Denn nach wie vor gilt unverändert der Standardsatz der Notenbanker, demzufolge die Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Massnahmen lang und variabel sind.
Womit wir bei den Zentralbanken wären. In der vergangenen Woche trieb, in Zusammenarbeit mit den Arbeitsmarktdaten, auch das Protokoll der letzten FOMC-Sitzung die Renditen an den Obligationenmärkten ordentlich an. Die Erkenntnis, dass bis auf zwei Ausnahmen alle FOMC-Mitglieder weitere Zinsanhebungen für notwendig halten, liess die Renditen zehnjähriger US-Staatsobligationen über 4%, jene der zweijährigen sogar über 5% springen. Für den nächsten Zinstermin am 26. Juli ist ein weiterer Schritt um 25 Basispunkte in den Fed Funds Target Rates inzwischen zu über 90% eingepreist.
Und während Marktteilnehmer angesichts dieser Wendung nur schulterzuckend auf den weiteren Jahresverlauf blicken, sei daran erinnert, dass noch bei der bisher letzten Zinsanhebung der Fed am 3. Mai Jerome Powell, der Fed-Chairman, mehr als deutlich gemacht hatte, dass die Zentralbank nun mit ihren Zinsanhebungen fertig sei und man den Rest der noch notwendigen Straffung den Märkten überlassen könne. So kann man sich irren. Die Zentralbankpolitik verspricht also auch für den Rest des Jahres spannend zu bleiben.
Die Umfragewerte der sogenannten Alternative für Deutschland sind ein Standortfaktor
Spätestens seit die Rechtsaussenpartei AfD in einem Thüringer Landkreis den Landrat stellt und in den meisten Umfragen auf Bundesebene in der Sonntagsfrage besser abschneidet als die Kanzlerpartei SPD, lässt sich deren Aufstieg nicht mehr mit dem Hinweis auf reinen Protest abtun. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die AfD die tiefe Verunsicherung vieler Deutscher effektiver auffängt als andere Parteien. Immerhin machen sich 77% der Bürger Sorgen um den Zustand des Landes. Darüber hinaus punktet die AfD mit klassischen Themen einer Rechtsaussenpartei, wenn in Umfragen 60% der Wähler weitere Immigration ablehnen. Bisher scheinen die Versuche der anderen Parteien, Zuwächse am rechten Rand einzugrenzen, einen gegenteiligen Effekt zu haben.
Für Kapitalmarktteilnehmer ist dies alles bis dato offenbar kein ernsthafter Grund zur Sorge. Dies könnte sich aber ändern, denn eine verfestigte Präsenz nationalistischer und xenophober Repräsentanten in Parlamenten, künftig möglicherweise sogar Regierungen, dürfte sich auf Sicht als problematischer Standortfaktor herausstellen. Unternehmen aus anderen Ländern, die Standortentscheidungen etwa in Zukunftsindustrien zu treffen haben, dürften es sich zweimal überlegen, ob sie in einer derartigen Region investieren. Zumindest könnten sie höhere staatliche Subventionen für ein Engagement fordern. Auch entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben dürfte entsprechend schwieriger bzw. nur mit höheren materiellen Anreizen möglich sein. Schon jetzt senkt der Rechtsrutsch die Attraktivität Deutschlands in den entsprechenden Rankings. (BlackRock/mc/ps)