Von Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock
Wie rasch die Dinge sich manchmal ändern. Noch vor genau einem Jahr ging Jerome Powell, Präsident der amerikanischen Notenbank Fed, in seiner Rede auf dem Jackson Hole-Symposium davon aus, dass sich die seinerzeit bereits erhöhten Inflationszahlen in den USA als vorübergehend («transitory») erweisen würden. Zur Erinnerung: Im August 2021, über ein Jahr nach Ausbruch der Coronavirus-Pandemie, lag die US-Inflation bei 5,3 %. Eine aus heutiger Sicht schon beinahe moderat anmutende Preissteigerungsrate.
Powell schwört die Märkte auf eine fortgesetzte Straffung der Geldpolitik ein
Ein Jahr später hat sich diese Einschätzung komplett gewandelt. US-Notenbanker sorgen sich wie seit Jahrzehnten nicht vor einer Inflationsdynamik, deren Eindämmung bislang nicht gelingt. In seiner diesjährigen Rede machte Präsident Powell unmissverständlich klar, dass die Fed erst dann über einen Kurswechsel bei ihrer Straffungspolitik nachdenken werde, wenn «der Job erledigt» sei – und der Job ist es, sicherzustellen, dass die Inflationsrate in den USA auf 2 % zurückkehrt. Im Rahmen ihres dualen Mandats aus Preisstabilität einerseits und Vollbeschäftigung andererseits legt die Fed den Fokus damit nach wie vor auf die Inflationsbekämpfung («bedingungslos») und weniger auf den Arbeitsmarkt. Ein Rückgang der Inflationsrate über einen oder mehrere Monate allein ist nicht ausreichend, um den von Marktseite so sehnlich erwarteten «Pivot» der Fed zu initiieren. Womöglich werde, so Powell, der Leitzins auch für eine Weile auf erhöhtem Niveau gehalten werden müssen, um Preisstabilität zu gewährleisten.
Entsprechend bescherte Jackson Hole den Börsen, wie von uns erwartet, keinen versöhnlichen Wochenausklang. Obwohl sich die Markterwartungen hinsichtlich der zukünftigen US-Zins- politik bereits im Vorfeld des Symposiums ein Stück weit dem Ausblick der Notenbanker an- gepasst und sich somit die zuvor durchaus bemerkenswerte Diskrepanz dieser beiden Positionen reduziert hatte, sorgte Powells Rede für eine abermalige Schwäche an den Rentenmärkten. In den USA waren es vor allem die kürzeren Laufzeiten, die unter Druck gerieten, da der Markt nach den Äusserungen Powells beim nächsten Zinsentscheid am 20./21. September einem abermaligen kräftigen Schritt um 75 Basispunkte auf einen Korridor von 3,0-3,25 % nun wieder eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit beimisst. Es wäre ein Leitzinsniveau, das als «restriktiv» gilt, d.h. die US-Wirtschaft bremst. Die US-Zinsstrukturkurve wurde infolgedessen noch inverser, mit anderen Worten verharrten die langfristigen Staatsanleiherenditen noch merklicher unter den kurzfristigen.
Wir halten es nicht erst nach Jackson Hole für wahrscheinlich, dass die Fed zunächst an ihrem aggressiven Straffungskurs festhalten wird. Sie lässt sich aktuell keinen Spielraum, um ihre Zinserhöhungsabsicht zurückzunehmen. Über die Höhe des Septemberschrittes werden letzten Endes aber wohl auch der US-Arbeitsmarktbericht, der an diesem Freitag erscheint und einen fortgesetzt robusten Beschäftigungsaufbau signalisieren könnte, sowie die Veröffentlichung der US-Inflationszahlen für den Monat August am 13. September 2022 entscheiden.
EZB sieht sich nicht erst seit Jackson Hole unter erhöhtem Handlungsdruck
Während Powell und Fed Kurs halten, war es schon ein Stück weit bemerkenswert, dass sich quasi zeitgleich zur mit Spannung erwarteten Rede von Powell gleich eine ganze Reihe prominenter Mitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) vor die Mikrofone stellten und offen für eine kräftige Zinserhöhung (bis zu 75 Basispunkte) bei der nächsten Ratssitzung am 8. September plädierten. Die EZB scheint die Siebenmeilenstiefel zu schnüren. Zur Erinnerung: Im internationalen Vergleich hatte die EZB bis zum Sommer einen zögerlichen Normalisierungskurs verfolgt, bevor der Rat auf seiner Juli-Sitzung die Leitzinsen um kräftiger als erwartete 50 Basispunkte anhob und somit dem langjährigen Negativzinsumfeld im Euroraum ein Ende bereitete. Warum nun dieses Votum für eine beschleunigte Straffung der Geldpolitik in der Eurozone?
- Offenbar setzen die Tempovorgabe der US-Notenbank und die damit verbundene Abwertung des Euro-Wechselkurses die EZB unter Druck. Im Gegensatz zur Fed ist die EZB mit ihrem Leitzins noch ein Stück weit vom neutralen Zinsniveau entfernt, welches von EZBVertretern zwischen 1 bis 2 % verortet wird (versus etwa 2,5% in den USA).
- Darüber hinaus scheint der Hochpunkt der Euroraum-Inflation noch nicht erreicht, während in den USA womöglich «Peak Inflation» bereits hinter uns liegt. Im Juli hatte die Inflationsrate mit 8,9% den höchsten Stand seit Beginn der Währungsunion markiert. Eine Reihe von Faktoren spricht dafür, dass zweistellige Inflationsraten im europäischen Herbst nicht ausgeschlossen werden können, darunter der schwache Euro-Wechselkurs, der importierte Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland verteuert, und die auch in der vergangenen Woche weiter explodierenden Energiepreise. Weder die schwelende Gefahr einer physischen Gasrationierung noch Meldungen, dass Saudi-Arabien eine Kürzung der Ölproduktion erwägt, sorgen aktuell am Energiemarkt für Entspannung. In Deutschland kommen weitere preistreibende Sondereffekte hinzu, etwa, wenn wie geplant Ende August das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt auslaufen und im Oktober von vielen Versorgern erstmals die Gas-Umlage erhoben wird. Es ist ein Umfeld, in dem die Sorge in den EZB-Türmen vor sich verselbständigenden Inflationserwartungen – und damit Zweitrundeneffekten wie einer Lohn-Preis-Spirale – noch nicht gebannt sein dürfte.
- Zu guter Letzt könnten auch die erhöhten Rezessionsgefahren eine Rolle dabei spielen, dass einige EZB-Ratsmitglieder ein «Frontloading» (Vorziehen) von Zinsschritten im Kampf gegen Inflationsrisiken bevorzugen. Trotz einiger Fortschritte bei der Energiesicherheit und dem überraschend zügigen Befüllen der Lagerkapazitäten in den letzten Wochen dürfte es gerade für Deutschland schwierig werden, Engpässe und die Abhängigkeit vom Gasverbrauch bis zum Winter hinreichend zu beseitigen. So liefert Russland über Nordstream 1 mittlerweile nur noch ein Fünftel der möglichen Gasmenge. Zusätzlich mehren sich – wahrscheinlich politisch motiviert – die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Leitung und lassen den Gasstrom immer wieder komplett zum Erliegen kommen. Der fortgesetzte Rückgang von wichtigen Frühindikatoren wie dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Euroraum-Einkaufsmanagerindex und dem deutschen ifo-Index lassen eine Rezession im Winterhalbjahr immer wahrscheinlicher erscheinen. Der am Dienstag anstehende Economic Sentiment Indicator für den Euroraum dürfte sich in den Chorus der trüberen Wirtschaftsstimmung einreihen.
Was lässt all dies für die Finanzmärkte erwarten?
Wie schon in der letzten Woche dargelegt, spricht aus unserer Sicht nicht viel für eine Wiederaufnahme der Sommerrally an den Börsen. Im Gegenteil: Enttäuschungspotenzial bei den Unternehmensgewinnen und die fortgesetzte Straffung der Geldpolitik lassen eher ein schwankungsintensives Restjahr an den Märkten für Risikoaktiva vermuten. Wir bleiben aber dabei, dass die Notenbanken – allen voran Powells Fed – letztlich den Zielkonflikt zwischen Wachstum und Inflation anerkennen und ein gewisses Mass an Inflation akzeptieren werden. Das Thema Inflation wird nicht verschwinden, solange Angebotsknappheiten und Produktionshemmnisse fortwirken, ob im Zusammenhang mit der Pandemie, geopolitischen Spannungen, der Neuverkabelung der Welt oder grünen Transformation der Wirtschaft.
Für den Euro bedeutet die Aussicht auf ein Vorziehen von Leitzinsanhebungsschritten der EZB, dass die Abwertung der Gemeinschaftswährung kurzfristig eine Verschnaufpause einlegen könnte. Da die Rezessionsgefahren in der Eurozone aus unserer Sicht jedoch höher und schwerwiegender ausfallen als in den USA, erwarten wir nach wie vor, dass die EZB früher als die Fed zu einer Pause in Sachen Zinsanhebungen gezwungen sein wird. Das wären dann wiederum keine guten Nachrichten für den Euro. (BlackRock/mc/ps)