BlackRock Marktausblick: Spannende EZB-Woche

BlackRock Marktausblick: Spannende EZB-Woche
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Seit rund einem Jahr ist die Frage vor anstehenden EZB-Sitzungen (Europäische Zentralbank) gewesen nicht so sehr ob, sondern bestenfalls um wie viel die Zinsen angehoben werden. Inzwischen hat die Notenbank den Einlagezins von seinem mehrjährigen Tief bei -0,5% auf 3,75% klettern lassen, und bis zuletzt liessen führende Mitglieder des Zentralbankrates (Governing Council) wenig Zweifel daran, dass die Inflation im Euroraum mit zuletzt 5,3% für eine Zinspause nach wie vor viel zu hoch und damit weitere Straffung angezeigt sei.

Besonders eine Äusserung von Francois Villeroy de Galhau, die in Richtung eines weiteren Zinsschritts interpretiert wurde, fand Beachtung. Denn der französische Zentralbankgouverneur hat als Vertreter der zweitgrössten Volkswirtschaft nicht nur besonderes Gewicht im Entscheidungsgremium, sondern Marktteilnehmer attestieren ihm auch eine hohe Trefferquote in seinen Einschätzungen zu anstehenden Zinsbeschlüssen. Bemerkenswert ist allemal, wie knapp die Marktwetten im Vorfeld der Entscheidung über die vermutlich letzte Zinsanhebung dieses Zyklus‘ stehen. Zu rund 40% preisen aktuell Futures-Kontrakte einen Schritt um 25 Basispunkte ein. Das ist zwar ein Anstieg gegenüber den rund 30% vor etwa einer Woche, aber immer noch knapp die Minderheitsmeinung.

Dabei stehen die Argumente meines Erachtens leicht auf der Seite eines weiteren Zinsschrittes. Denn erstens kommen am Donnerstag auch die neuesten Staff Projections, die Schätzungen der EZB-Volkswirte, auf den Tisch. Und es spricht einiges dafür, dass auch für 2025 die Inflation im Euroraum noch auf über 2% geschätzt wird, wenn auch nur knapp. Eine Zentralbank aber, die das Ziel ausgibt, die Inflation „zeitnah“ wieder auf 2% reduzieren zu wollen und dann angesichts der Aussicht, auch zwei Jahre von heute dieses Ziel nicht erreicht zu haben, auf weitere Zinsanhebungen verzichtet, riskiert ihre Glaubwürdigkeit.

Das zweite Argument für eine Zinsanhebung diese Woche ist, dass es die letzte Gelegenheit sein könnte. Denn die restlichen in diesem Jahr zur Verfügung stehenden Zinstermine am 26. Oktober und 14. Dezember könnten schon in einer Zeit liegen, in der sich die Makrodaten soweit verschlechtert haben, dass ein weiterer Zinsschritt die Gefahr eines Politikfehlers erhöht. Sollte die EZB dann bald die Zinsen schon wieder lockern müssen, weil die Eurozonen-Volkswirtschaft in eine Rezession abgerutscht ist, würde dies ihre Glaubwürdigkeit erst recht beschädigen. Mit anderen Worten: Die EZB könnte jetzt im September die Gunst der Stunde für den wohl letzten Zinsschritt nutzen, solange es von den Wachstumsdaten noch einigermassen vertretbar erscheint. Schliesslich ist zuletzt der stark beachtete Einkaufsmanagerindex für die Dienstleistungssektoren auf 47,9 (von 48,3 im Juli) weiter abgebröckelt und steht damit im Schrumpfungsbereich.

Die Tatsache, dass die als Falke bekannte EZB-Direktorin Isabel Schnabel sich öffentlich besorgt über die schwache Wachstumsdynamik im Euroraum geäussert und damit dem Ruf nach fortgesetzter monetärer Straffung den Wind aus den Segeln genommen hatte, verdeutlicht, dass sich die verschiedenen Lager im EZB-Rat durchaus des Zielkonflikts zwischen Inflationsbekämpfung und Rücksicht auf Wachstum und Arbeitsplätze bewusst sind.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie restriktiv die Geldpolitik derzeit überhaupt schon ist, mithin also die Frage nach dem neutralen Zentralbankzins. Denn nur oberhalb dieses Niveaus wird die gesamtwirtschaftliche Aktivität überhaupt gebremst, darunter wird sie eher angeregt. Problem: Dieser neutrale Zins ist ein theoretisches Konstrukt, er ist nicht beobachtbar. Für die Eurozone verorten ihn die meisten Ökonomen in einer Grössenordnung von etwa 2%, so dass der aktuelle Einlagenzins von 3,75% schon sehr deutlich darüber liegt. Nimmt man als Vergleichsmassstab den Repo-Zins (4,25%), zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen können, ist der Abstand sogar noch grösser. Und vergleicht man den Grad der geldpolitischen Straffung zwischen der Eurozone und den USA, stellt man in etwa das gleiche Mass an Restriktion fest, nämlich einen Zentralbankleitzins, der sich ähnlich weit im restriktiven Bereich befindet (in den USA 5,25%, also 2,75 Prozentpunkte oberhalb des neutralen Zinses von 2,5%, in Europa bei einem erneuten Schritt am Donnerstag 4,5% (Repo), also 2,5 Prozentpunkte über neutral).

Wie geht es weiter mit der EZB-Politik?
Wie auch immer die Entscheidung des EZB-Rates am Donnerstag ausfällt: Es dürfte klar sein, dass wir uns unmittelbar in der Nähe des maximalen Leitzinses befinden. Dabei ist klarzustellen, dass es sich vermutlich nicht um einen Gipfel, sondern eher um ein Plateau handelt. Denn die Zinsen dürften – abgesehen vom eher unwahrscheinlichen Fall einer tiefen Rezession – nicht so bald wieder sinken. Für Europa scheint die Perspektive frühestens Mitte 2024 zu sein. Stattdessen wird sich, sobald die Zinsanhebungen abgeschlossen sind, der Fokus auf die Anleihekaufprogramme richten. Denn nachdem die Reinvestition fälliger Anleihen im allgemeinen Programm APP (Programm zum Ankauf von Vermögenswerten; Asset Purchase Programme) im Juli eingestellt wurde, sollen unter dem viel grösseren Covid-Hilfsprogramm PEPP (Pandemie-Notfallankaufprogramm; Pandemic Emergency Purchase Programme) noch bis Ende 2024 alle Rückflüsse aus fälligen Papieren wieder in den Geldmarkt fliessen.

Gerade für die Anleihemärkte könnten eventuelle Überlegungen der EZB-Falken, früher als geplant aus den PEPP-Reinvestitionen auszusteigen, erhebliche Folgen haben. Vieles spricht also dafür, dass es bei der EZB auch nach dem vermutlich letzten Zinsschritt, ob nun in dieser Woche oder erst im Oktober, spannend bleibt. (BlackRock/mc/ps)

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