BlackRock Marktausblick: Steter Anker in unsteten Zeiten
Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Die Kapitalmärkte unterlagen in diesem Jahr starken Schwankungen – von der Begeisterung um künstliche Intelligenz (KI) zu Bedenken, wie lohnenswert die Investitionen grosser Technologieunternehmen ausfallen werden – von kursierenden Rezessionsängsten zu tröstenden Lichtpunkten in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft.
Schwankungsreiche Märkte: im Bann wechselhafter Zinserwartungen und geopolitischer Risiken
In der vergangenen Woche prägten einmal mehr wechselhafte Zinserwartungen das Bild, jedoch auch der kräftige Ölpreisanstieg im Zuge des Nahostkonflikts. Nach rekordträchtigen Wertwicklungen legten die Aktienmärkte eine Verschnaufpause in den USA ein bzw. konsolidierten in Europa. In Ostasien sorgten dagegen unverändert grosse Erwartungen an fiskalpolitische Stimuli für risikofreudige Anlegerstimmung (Datenquelle: LSEG, 04.10.2024).
Stichwort wechselhafte Zinserwartungen:
- Nach einem starken US-Arbeitsmarktbericht für September schraubten Anleiheinvestoren ihre – unseres Erachtens ohnehin ehrgeizigen – Hoffnungen auf Zinssenkung etwas zurück. Aktuell wird das Szenario einer zweiten kräftigen Senkung um 50 Basispunkte „nur noch“ mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 35% veranschlagt. Die US-Wirtschaft hat im September 254.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, was weit über den Konsenserwartungen liegt. Eine starke Schaffung von Arbeitsplätzen bei nachlassendem Lohndruck deutet auf ein weiterhin wachsendes Arbeitskräfteangebot hin (Datenquelle: LSEG, 04.10.2024).
- Unterdessen signalisierte die Europäische Zentralbank (EZB) überraschend eine dritte Zinssenkung bereits für den 17. Oktober. Die Markterwartung für eine Lockerung stieg von ca. 25% auf über 90% als Präsidentin Christine Lagarde erklärte, die jüngste Inflationsentwicklung habe das Vertrauen gestärkt, die angestrebte 2%-Preisstabilitätsmarke zeitnah zu erreichen. Die EZB werde dies „bei der nächsten Sitzung (…) berücksichtigen“. Der stärker als erwartete Inflationsrückgang im September und trübere Konjunkturdaten dürften das angepasste EZB-Signal beeinflusst haben. Obgleich im September Sonderfaktoren eine Rolle spielten – nicht zuletzt Basiseffekte bei Energie und die Preisnormalisierung nach den Olympischen Spielen. Gleichzeitig könnten die robusten AugustArbeitsmarktdaten die Wahrscheinlichkeit dämpfen, dass die EZB noch aggressivere Zinssenkungen vornehmen wird.
Stichwort geopolitische Risiken:
- Die Geopolitik, darunter die Entwicklungen im Nahostkonflikt, bleibt ein Unsicherheitsfaktor, nicht nur für die Rohstoffmärkte. Der iranische Angriff auf Israel und Israels Versprechen von Vergeltungsmassnahmen markieren eine erhebliche Eskalation im Nahen Osten und unterstreichen, dass geopolitische Risiken strukturell erhöht bleiben.
Steter Anker in unsteten Zeiten: eine Welt geprägt von der Angebotsseite
Unser Anker in diesen unruhigen Märkten: Wir betrachten dies als eine Welt, die von der Angebotsseite geprägt ist – somit ist es kein typischer Konjunkturzyklus. Strukturelle Verschiebungen – darunter die alternde Bevölkerung und eine tiefere Fragmentierung zwischen konkurrierenden geopolitischen und wirtschaftlichen Blöcken – resultieren in einem ungewöhnlichen Wirtschaftsumfeld. Kurz, wir sehen einen zähen Kostendruck, höhere Zinsen, gedämpftes Trendwachstum und erhebliche Staatsverschuldung.
Sobald sich etwa die Einwanderungsströme in den USA normalisieren, wird die Wirtschaft wegen der alternden Erwerbsbevölkerung nicht mehr so schnell Arbeitsplätze schaffen können, ohne die Inflation anzuheizen.
Gleichzeitig ziehen die in Gang gekommenen strukturellen Umwälzungen wie die Neuausrichtung globaler Lieferketten, Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft und der Ausbau von KI beträchtliche Investitionen nach sich – in Infrastruktur wie Rechen- und Logistikzentren, in Energiesysteme, sowie in Technologie.
Fundamentales Rückgrat: Gewinnberichtssaison rückt in den Fokus
Während wir die Umwälzungen weltweit im Hinterkopf behalten, richtet sich in den USA das Augenmerk in dieser Woche auf Hinweise, ob die US-Verbraucherpreisinflation (Do) weiter in Richtung des 2%-Ziels der US-Notenbank Fed sinken wird. Anleger werden zudem aufmerksam das Fed-Protokoll (Mi) auf Signale prüfen, ob die Fed bereit ist, im November eine weitere kräftige Zinssenkung folgen zu lassen. Jüngste Daten zum amerikanischen Konsumdeflator (PZE) legen nahe, dass die Kerninflation nachlässt. Denn die Konsumausgaben für und Angebot von Waren und Dienstleistungen haben sich nach der Pandemie normalisiert. Die Nettomigration in die USA erhöht zudem das Arbeitskräfteangebot und dämpft das Lohnwachstum. .
Mit Beginn der Unternehmensberichterstattungen verlagert sich das Augenmerk der Aktienmärkte darüber hinaus auf die Gewinnzahlen, das fundamentale Rückgrat der Börsen. Für die nächsten zwölf Monate erwarten Analysten ein Gewinnwachstum von 20% im US-Technologiesektor und etwa 8% für den Rest des Marktes (Datenquelle: LSEG, 4.10.2024). Wir glauben, dass das Investitionsthema KI weiterhin Potenzial bietet und haben unsere Übergewichtung in KI auf weitere Sektoren ausgeweitet, welche den Ausbau der KI unterstützen: Energie, Versorgungsunternehmen, Immobilien und Industrie.
Im Euroraum ist eine eher ruhige Woche hinsichtlich der Datenveröffentlichungen zu erwarten – zu den wichtigsten zählen die Industrieproduktion (Di) und das EZB-Protokoll der Septembersitzung (Do). Auf politischer Ebene steht jedoch eine ereignisreiche Woche bevor. Die neu formierte französische Regierung wird sich am Dienstag einem Misstrauensvotum in der Nationalversammlung stellen müssen, was für sich genommen nicht überraschend kommt. Ausserdem wird Premierminister Michel Barnier der Nationalversammlung den Haushalt für 2025 vorstellen (Mi). Schliesslich steht Frankreich eine Überprüfung seines Länderratings durch Fitch (Fr) bevor.
In unserer taktischen Allokation, d.h. mit Blick auf die kommenden sechs bis zwölf Monate, überwiegen derzeit unseres Erachtens die Gründe für eine konstruktive Haltung. Denn die Inflation kühlt sowohl in den USA als auch im Euroraum ab, die Zinswende „light“ schreitet voran und das Wachstum hält an. Wir bleiben in US-Aktien übergewichtet, erweitern unsere Positionierung im Bereich KI über Technologie hinaus und bleiben konstruktiv-flexibel bei japanischen und chinesischen Aktien.