Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Überzogene Rezessionsängste: Märkte bleiben trotz der US-Beschäftigungszuwächse nervös
Die globalen Aktienmärkte gaben in der vergangenen Woche spürbar nach. Wiederaufflammende Rezessionsängste aufgrund schwächerer Wirtschaftsdaten aus den USA, Europa und Ostasien, der steigenden Nervosität vor den US-Wahlen und andere Belastungsfaktoren sorgten für einen Stimmungsdämpfer und Gewinnmitnahmen All dies, nachdem in den Vorwochen teilweise neue Höchststände erklommen worden waren. Der amerikanische S&P 500(1) erlitt seinen stärksten wöchentlichen Rückgang seit 18 Monaten (Datenquelle: LSEG, 06.09.2024).
Diese Nervosität spiegelte sich auch in fallenden Ölpreisen und Anleiherenditen wider. An den Terminmärkten sind kernige Zinssenkungen der US-Notenbank Fed eingepreist: rund 230 Basispunkte in den nächsten 12 Monaten (Datenquelle: LSEG, 06.09.2024). Dies würde die Leitzinsen unseres Erachtens unter den neutralen Zinssatz bringen – das Niveau, bei dem die Geldpolitik die Konjunktur weder stimuliert noch bremst – also eine Reaktion der Fed im Rezessionsmodus nach sich ziehen.
Vor den US-Präsidentschaftswahlen könnten wir weitere Volatilitätsschübe erleben. Dienstagnacht werden Anleger mit Interesse das TV-Duell von Kamala Harris und Donald Trump verfolgen.
Dagegen halten wir trotz der gebotenen Umsicht sowohl die kursierenden Rezessionsängste als auch das Ausmass der erwarteten Zinslockerungen für übertrieben:
- Das US-Beschäftigungswachstum verlangsamt sich, ist aber weit von Rezessionssignalen entfernt. Im August wurden 142.000 neue Arbeitsplätze geschaffen (Konsenserwartung: 160.000). Unter Berücksichtigung der letzten Datenanpassungen beträgt der dreimonatige Durchschnitt nun 116.000 (Datenquelle: LSEG, 06.09.2024). Dies sehen wir im Vergleich zur Phase nach den pandemiebedingten Lockdowns als eine Normalisierung des zuvor aufgrund ungewöhnlich kräftigen Jobwachstums an.
- Die sog. „Sahm-Regel“ – ein auf der Arbeitslosenquote basierender Indikator, der in der Vergangenheit eine Rezession signalisiert hat und im letzten Monat ausgelöst wurde – ist nun offiziell gebrochen. Seit den 1970er Jahren ist war monatliche Beschäftigung nach Auslösung dieses Signals nie weiter gewachsen. Trotzdem verzeichnen die USA weiterhin ein robustes Jobwachstum. Dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um einen typischen Wirtschaftszyklus handelt und der jüngste Anstieg der Arbeitslosenquote hauptsächlich auf ein erhöhtes Arbeitskräfteangebot durch Einwanderung zurückzuführen ist, anstatt auf eine geringere Nachfrage und Entlassungen. Mittelfristig untermauert eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung eine hartnäckige Inflation.
- Lohnzuwächse zeigen unserer Meinung nach nicht, dass sich die Inflation nachhaltig auf das 2%-Ziel der Fed abkühlen wird. Der durchschnittliche Stundenlohn stieg auf dreimonatiger Jahresbasis auf 3,8% (Datenquelle: LSEG, 06.09.2024). Entweder muss sich dieser Trend verlangsamen, oder die Dienstleistungsinflation wird in den kommenden Monaten wieder anziehen.
In dieser Woche richtet sich das Augenmerk auf die Inflationszahlen für August. Wir glauben nicht, dass die Fed die Zinsen so stark senken wird, wie die Märkte es einpreisen. Mit Blick auf einen taktischen Anlagehorizont von sechs bis zwölf Monaten gewichten wir kurzlaufende US-Staatsanleihen nun unter.
EZB: Zweite Zinssenkung, aber es bleibt eine Zinswende „light“
Apropos Geldpolitik: Die Europäische Zentralbank (EZB) wird am Donnerstag ihren Einlagesatz voraussichtlich um 25 Basispunkte auf 3,5% senken, was für sich genommen mit begrenztem Überraschungspotenzial für die Märkte einhergeht. Der Schritt ist voll eingepreist (Datenquelle: LSEG, 06.09.2024). Bei den EZB-Makroprojektionen wird es wahrscheinlich nur geringfügige Anpassungen geben, wenngleich die blosse Bestätigung der vorherigen Einschätzung als Grund für gestärktes Vertrauen in den nachlassenden Inflationsdruck angeführt werden könnte.
Spannender sind etwaige Hinweise auf die Oktober-Sitzung. Dabei dürfte die EZB weiterhin nicht auf Autopilot schalten und datenabhängig bleiben. Ein verstärkter Fokus auf die jüngste Wachstumsschwäche oder explizite Offenheit für aufeinanderfolgende Zinssenkungen wären aus Sicht von EZB-Beobachtern „taubenhafte“ Signale. „Falkenhaft“ dagegen wäre, wenn Präsidentin Christine Lagarde den geringen Fortschritt bei der realisierten Inflation seit Jahresbeginn betonte, neben einer Verharmlosung der jüngsten Wachstumsschwäche.
Anleger sollten das Gesamtbild im Auge behalten: Dies ist kein typischer Zinssenkungszyklus – weder in den USA noch in der Eurozone. Die Zinsen dürften strukturell höher ausfallen als vor der Pandemie.
Künstliche Intelligenz: Gewinne(r) der ersten Phase dürften sich ausweiten
Dass sich das US-Gewinnwachstum über die frühen Nutzniesser des Vormarsches der Künstlichen Intelligenz (KI) hinaus ausweitet, ist grundsätzlich ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft widerstandsfähiger ist, als die Märkte einschätzen.
Unser Investmentansatz verfolgt den Vormarsch von KI und entsprechende Nutzniesser in drei Phasen. Die erste Phase – der Ausbau – entfaltet sich jetzt, während Technologieunternehmen um Investitionen in energiehungrige Rechenzentren wetteifern. Hauptnutzniesser dürften grosse Techfirmen, Chiphersteller sowie Energie- und Versorgungsunternehmen gehören – bevor sich die Vorteile auf andere Sektoren ausweiten.
Investoren debattieren inzwischen, wie lohnenswert Investitionsausgaben grosser Techfirmen in KI tatsächlich sein werden – eine Stimmungsänderung, die die Bewertungen belasten könnte. Unser Augenmerk richtet sich daher zum einen auf eine Reihe von Indikatoren wie ein möglicherweise stagnierendes Umsatzwachstum bei den führenden KI-Unternehmen oder Anzeichen für eine schleppende Einführung jenseits des Techsektors. Zum anderen wenden wir uns nun verstärkt dem Energie- und Versorgungssektor zu sowie Immobilien- und Rohstoffunternehmen, die beim Ausbau beteiligt sind.
1) Der Standard and Poor’s 500, S&P 500 – Ein Aktienindex, der 500 der grössten US-Unternehmen umfasst.