Die zweite Aprilwoche hatte es in sich. Zum dritten Mal überraschend hoch ausfallende US-Verbraucherpreiszahlen und erhöhte geopolitische Risiken verunsicherten sowohl Anleihen- als auch Aktienanleger. Hartnäckig hohe und volatile Inflationszahlen bedeuten Sand im Getriebe des Szenarios «makellose Disinflation plus Zinswende». Der Terminmarkt preist inzwischen weniger als zwei Zinssenkungen seitens der US-Notenbank Fed bis Jahresende ein. Ein erster vollständiger Zinsschritt in Höhe von 25 Basispunkten wird nunmehr erst für September erwartet (Datenquelle: LSEG, Stand: 12.04.2024).
Von Ann-Katrin Petersen, Chief Investment Strategist in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Geopolitische Risiken: zunehmende Spannungen im Nahen Osten
Nach den Angriffen des Iran in Israel am Wochenende haben die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten zugenommen, was die gesamtwirtschaftliche Unsicherheit verstärkt. Rohölpreisnotierungen erreichten den höchsten Stand seit sechs Monaten (Datenquelle: LSEG, Stand: 12.04.2024). Aus Anlegersicht bleibt das Risiko einer Eskalation – und mögliche Auswirkungen auf Ölpreise und Inflation – auf dem Radarschirm. Lediglich kurzweilige Inflationsspitzen dürften die Notenbanker durchschauen.
Möglicherweise länger erhöhte Öl- und Rohstoffpreise würden das neue gesamtwirtschaftliche Regime höherer Inflation als vor Ausbruch der Pandemie – und unsere seit langem vertretene Einschätzung, dass wir uns in einem Umfeld mit längerfristig höheren Zinssätzen befinden – nurmehr verstärken.
Bislang hatten die Börsen, dank solider Unternehmensgewinne, das Auspreisen von Zinssenkungserwartungen seit Jahresbeginn gut verkraftet. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen wird der Gewinnberichtssaison für das erste Quartal wohl eine umso entscheidendere Rolle zukommen.
Geldpolitische Divergenz: EZB läutet Zinswende wohl vor der Fed ein
Im Vergleich zu vorherigen Zinssenkungszyklen dürfte dieses Mal weder in den USA noch im Euroraum ein neuer Rekord in Sachen Niedrigzins erreicht werden. Doch im Gegensatz zur US-Notenbank Fed haben sich die Anzeichen für eine Zinswende seitens der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni verdichtet, selbst wenn das Tempo der darauffolgenden Zinslockerungen «datenabhängig» und mit einem Fragezeichen behaftet bleibt.
Im Vergleich zur Fed sieht sich die EZB mit einem schwächeren Wirtschaftswachstum konfrontiert und hat ihre Geldpolitik spürbarer als die Fed verschärft. Das jüngste starke Beschäftigungswachstum und die anhaltende Inflation in den USA lassen eine Fed-Zinssenkung im Juni inzwischen unwahrscheinlich erscheinen. Daher wird die EZB vermutlich zuerst die Zinswende einläuten, anschliessend aber möglicherweise behutsamer vorgehen, sollte die Fed Zinssenkungen hinauszögern. Obwohl Präsidentin Lagarde die EZB am vergangenen Donnerstag als «datenabhängig», und «nicht Fed-abhängig», darstellte, agiert die EZB selbstverständlich nicht im luftleeren Raum. Sie dürfte im Verlauf des Senkungsprozesses immer wieder ein Blick nach Washington werfen, um nicht Gefahr zu laufen, dass ein zu schwacher Euro-Wechselkurs die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung zunichtemacht.
Gewinnerwartungen: entscheidende Rolle der nächsten Berichtssaison
Für den Aktienmarkt lautet eine wesentliche Frage, ob das Wachstum der US-Unternehmensgewinne stark genug ausfällt, um den möglichen Gegenwind durch hartnäckig hohe Inflationsraten, eine Zinswende «light» und geopolitisch geschürte Unsicherheit auszugleichen.
Bislang hatte das solide Wachstum der US-Wirtschaft und Unternehmensgewinne die Risikobereitschaft begünstigt. Die Börsen schwangen sich auf neue Allzeithochs – obwohl die Anleiherenditen sprunghaft anstiegen. Laut LSEG-Daten erwarten Analysten für 2024 ein US-Gewinnwachstum von 11% gegenüber Vorjahr – mehr als der historische Durchschnitt von 7% (Stand: 12.04.2024). Um die Zuversicht an den Börsen aufrechtzuerhalten, müssen die Gewinne diese hohen Erwartungen erfüllen – dies gilt umso mehr, nachdem die jüngsten Inflationszahlen und geopolitische Risiken für Verunsicherung bei Anlegern sorgen.
Auf Sektorebene erwarten wir ein differenziertes Bild und sehen ausserhalb der Technologiebranche und dem Gesundheitswesen Chancen in den Bereichen Industrie, Grundstoffe und Energie gegenüber Konsumgütern. In den letzten zwölf Monaten hatten vor allem die Konsumgüter- und Technologiesektoren das Gewinnwachstum in den USA vorangetrieben (Datenquelle: LSEG, Stand: 12.04.2024). Gerade im Technologiebereich fielen die Gewinnmargen robust aus.
Im Rahmen der angelaufenen Gewinnberichtssaison für das erste Quartal 2024 rechnen wir mit einer anhaltenden Stärke von Technologie, aber auch darüber hinausgehenden Nutzniessern der künstlichen Intelligenz (KI). Gewinnzahlen z. B. in der Industrie und Grundstoffen sollten sich aufhellen. Zusätzlich ziehen die Gewinne der Energie- und Rohstoffproduzenten nach knapp zwei Jahren wieder an. Wir glauben, dass höhere Rohstoffpreise anhalten und betrachten Energieaktien als potenziellen Portfoliopuffer gegen geopolitische Risiken, während langfristige US-Staatsanleihen in diesem Umfeld höherer Inflation weniger Diversifikationseigenschaften aufweisen. Dagegen könnten sich die in den vergangenen Quartalen überraschend robusten Konsumausgaben verlangsamen, da die US-amerikanischen Haushalte ihre pandemiebedingten Ersparnisse aufgebraucht haben. (BlackRock/mc)