BlackRock Marktausblick: US-Wirtschaft: Überzogene Rezessionsängste
Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Anleger, die Anfang August nicht im Sommerurlaub weilten, durchlebten eine zwischenzeitliche Zitterpartie an den globalen Kapitalmärkten. US-Rezessionsängste und ein stärkerer Yen trugen zur um sich greifenden Risikoaversion bei. Letzterer führte zu einer raschen Abwicklung von sogenannten Carry Trades[1], auch bekannt als «zinstragende Geschäfte». Dabei handelt es sich um Positionen, bei denen sich ausländische Anleger in japanischer Währung verschulden, den Yen gegen eine andere Währung tauschen und höher verzinslich anlegen. Bereits im Vorfeld hatten erhöhte geopolitische Risiken und Bedenken, wie lohnenswert Investitionsausgaben in die Künstliche Intelligenz (KI) sein werden, für einen Stimmungsdämpfer gesorgt.
Inzwischen handelt der weltweite Aktienmarkt wieder auf ähnlichen Niveaus wie zu Ferienbeginn, wenngleich bei niedrigeren Anleiherenditen, wofür Hoffnungen auf kräftigere Leitzinssenkungen eine Rolle spielen (Datenquelle: LSEG, 30.08.2024). In unseren Breitengraden etwa kletterte der DAX[2] letzte Woche über die Marke von 18.900 Punkten, und markierte damit erstmals seit Mitte Mai ein neues Allzeithoch, während 10-jährige Bundesanleihen seit dem spürbaren Renditerückgang Anfang August in einer niedrigeren Spanne von 2,2% bis 2,3% rentieren (Datenquelle: LSEG, 30.08.2024).
US-Wirtschaft: Beschäftigungszuwächse dürften Rezessionsängste lindern
Also quasi nichts gewesen? Zumindest halten wir US-Rezessionsängste für übertrieben. Sie wurden ausgelöst, als der Arbeitsmarktbericht für Juli einen Anstieg der Arbeitslosenquote von 4,1% auf einen Mehrjahreshöchststand von 4,3% und deutlich schwächeren Beschäftigungsaufbau als erwartet gezeigt hatte (Datenquelle: Bureau of Labor Statistics, 02.08.2024)..
Dabei entspricht der Juli-Bericht eher einer Verlangsamung, keinem Abschwung, der amerikanischen Konjunktur. Die Arbeitslosenquote steigt – aber anders als vor früheren Rezessionen sind nicht Entlassungen der Haupttreiber, sondern ein durch Einwanderung bedingter Anstieg des Arbeitskräfteangebots. Zwar verlangsamt sich das Jobwachstum, lag in den letzten drei Monaten aber im Schnitt bei robusten 170.000. Der Konsum verliert wenig überraschend an Schwung, bleibt jedoch robust, und die Unternehmensgewinne im zweiten Quartal haben bisher die Erwartungen übertroffen. Laut LSEG-Daten liegt für den S&P 500 [3] das Gewinnplus bei etwa 13%, über den zu Beginn der Saison erwarteten 9% (Stand: 30.08.2024).
Ebenso überzeichnet wie die Rezessionsängste erscheinen uns aktuell allerdings die Zinssenkungserwartungen. Die Märkte rechnen mit Lockerungen der US-Notenbank Fed um rund 100 Basispunkte in diesem Jahr und einem Leitzins von 3% bis Ende 2025 (Datenquelle: LSEG, 30.08.2024). Wir glauben nicht, dass die Fed die Zinsen so stark senken wird, wie die Märkte es einpreisen.
Bei der jüngsten Notenbankkonferenz in Jackson Hole hatte der Fed-Vorsitzende Jerome Powell eine Senkung auf der Sitzung am 17./18. September angedeutet und grösseren Fokus auf eine Abschwächung des Arbeitsmarktes signalisiert. Der an diesem Freitag veröffentlichte August-Arbeitsmarktbericht wird massgeblich beeinflussen, ob die Fed bei den kommenden Sitzungen eine kernige Senkung um 50 Basispunkte in Betracht zieht. Wir erwarten, dass die Zahlen auf ein anhaltendes Beschäftigungswachstum hindeuten und damit die weiterhin schwelenden Wachstumssorgen lindern.
Bemerkenswerterweise wurde der neutrale Leitzins – das Niveau, bei dem die Geldpolitik die Wirtschaft weder stimuliert noch bremst – in Jackson Hole kaum diskutiert. Dabei ist dieser wichtig, um zu bestimmen, wie stark die Fed die Zinsen senken könnte, wenn die Inflation in Amerika wieder auf die 2%-Zielmarke fällt. Der neutrale Zins könnte durchaus höher liegen als die Schätzung der Fed – was darauf hindeutet, dass die Zinshoffnungen aktuell eher ausgeprägt scheinen.
Künstliche Intelligenz: Beim Ausbau ist Geduld gefragt
Wie steht es mit den Bedenken, wie lohnenswert Investitionsausgaben in KI tatsächlich sein werden? In Investorenkreisen hat sich zur anfänglichen Begeisterung eine Debatte gesellt, ob die künftigen Umsätze führender Technologie- und Cloud-Computing-Unternehmen Milliardeninvestitionen rechtfertigen können. Diese sind etwa der Bau neuer Rechenzentren und die exponentielle Vervielfachung der Verarbeitungsleistung – Pläne, die nicht Quartale sondern Jahre brauchen bis sie umgesetzt sind.
Es ist wichtig, zwischen den Auswirkungen auf einzelne Unternehmen und die Gesamtwirtschaft zu unterscheiden. Im Falle einzelner Unternehmen müssen Anleger berücksichtigen, ob diese ihre Bilanzen und ihr Kapital optimal einsetzen. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene verfolgen wir den Vormarsch von KI und entsprechenden Nutzniessern entlang eines dreiphasigen Fahrplans und bleiben im Investmentthema KI übergewichtet.
Die erste Phase – der Ausbau – entfaltet sich jetzt, während Technologieunternehmen um die Investitionen in energiehungrige Rechenzentren wetteifern. Zu den ersten Gewinnern dürften unseres Erachtens grosse Techfirmen, Chiphersteller sowie Energie- und Versorgungsunternehmen gehören – bevor sich die Vorteile auf andere Sektoren ausweiten. In der zweiten Phase dürfte sich die Anwendung auf Sektoren ausserhalb der Technologie ausweiten, wie etwa das Gesundheitswesen und den Finanzsektor. Dies könnte zu einer dritten Phase potenziell wirtschaftsweiter Produktivitätsgewinne führen, aber deren Geschwindigkeit, Ausmass und Auswirkungen sind ungewiss.
Börsen: Gesamtbild für risikoreiche Anlagen bleibt taktisch konstruktiv, doch Umsicht geboten
Unser Augenmerk richtet sich daher unverändert auf eine Reihe von Wegweisern. Ein möglicherweise stagnierendes Umsatzwachstum bei den führenden KI-Unternehmen unterstreicht die Bedeutung jeder Gewinnsaison. Wir richten unser Augenmerk zudem auf Anzeichen für eine schleppende Einführung der KI über den Technologiesektor hinaus oder inwiefern eine US-Konjunkturverlangsamung grosse Technologieunternehmen dazu veranlassen könnte, ihre Ausgaben zu drosseln.
Trotz der gebotenen Umsicht erachten wir das Gesamtbild für risikoreiche Anlagen derzeit als taktisch konstruktiv: Die Inflation dürfte weiter nachlassen, das Wachstum anhalten – was sich im zweiten Quartal über die Mega-Cap-Technologie hinaus in steigenden Gewinnen widerspiegelt – und die Fed-Zinswende steht bevor.
[1] Carry Trades sind Strategien, bei denen man von Zinsunterschieden zwischen Währungen profitiert.
[2] Der DAX ist der deutsche Leitindex für die 40 grössten börsennotierten Unternehmen.
[3] Der Standard and Poor’s 500, S&P 500 – Ein Aktienindex, der 500 der grössten US-Unternehmen umfasst.