BlackRock Marktausblick: Von der Zins- zur Gewinnangst

BlackRock Marktausblick: Von der Zins- zur Gewinnangst
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Gegen Ende vergangener Woche gaben Aktienkurse und Anleiherenditen erheblich nach. Immer mehr prägt die Angst vor einer deutlichen Wachstumsabschwächung in den USA die Markterwartungen. Da war es für die Anlegerstimmung nicht gerade förderlich, dass der viel beachtete ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe um über drei Indexpunkte nachgab und damit signalisierte, dass die Dynamik der US-Industrie sich verlangsamt. Zwar blieb der Index mit 53 deutlich oberhalb der Wachstumsschwelle von 50, reduzierte sich allerdings von 56,1 im Vormonat. Besonders interessant war ein Subindex, die ‚Prices Paid‘-Komponente, welche von 82,2 auf 78,5 sank und damit nachlassenden Preisdruck auf der Angebotsseite anzeigte.

In der Gesamtschau vermittelte der Datensatz also den Eindruck, die Wirtschaftsaktivität in den USA verlangsame sich derzeit erheblich, die durch Angebotsknappheiten verursachte Inflation könne aber ihren Höhepunkt überschritten haben. Andersherum ausgedrückt: in diesem Szenario würde die sich nähernde Wirtschaftsflaute den Job erledigen, welcher den Zentralbanken trotz ihrer aggressiven Rhetorik nicht wirklich zugetraut wird, nämlich die Inflation nachhaltig zu senken. Innerhalb des Spannungsfeldes der Stagflationssorgen, welche die Märkte seit Jahresbeginn umtreiben und zu einem historischen Parallelsinkflug von Aktien- und Anleihekursen geführt haben, scheint sich der Schwerpunkt von Inflations- bzw. Zins- zu Stagnations- bzw. Rezessionssorgen zu verschieben.

Besondere Bedeutung kommt hierbei der in diesen Tagen beginnenden Berichtssaison für die Unternehmensgewinne im zweiten Quartal zu. Wobei genauer gesagt nicht der Blick in den Rückspiegel im Fokus stehen dürfte, also die Ergebnisse des gerade beendeten Quartals, sondern die Vorausschau auf die nächsten paar Quartale. Und hier dürften viele Unternehmen in ihrer Kommunikation deutlich verhaltener werden. In den USA hat die erwartbare Skepsis vor allem mit dem nachlassenden Momentum des post-Covid-Neustarts zu tun, der unter anderem eine Folge geringerer fiskalischer Unterstützung ist, dazu aber auch mit einer eher schwachen Weltwirtschaft und einem über das konjunkturneutrale Niveau steigenden Zentralbankzins. In Europa fehlt zwar die Angst vor letzterem (kaum jemand glaubt ernsthaft, die EZB würde die Leitzinsen wirklich bis in den restriktiven Bereich erhöhen), umso grösser ist aber die Sorge, Rohstoffknappheit und weiter steigende Energiepreise könnten die wirtschaftliche Aktivität zum Stillstand bringen. Besondere Aufmerksamkeit erhält daher in diesen Tagen der Gasimport. Schon jetzt hat die russische Regierung die Gasversorgung für 12 europäische Länder erheblich reduziert, durch die wichtige Nord Stream 1-Pipeline wird derzeit nur etwa 40% der möglichen Gasmenge geleitet. Am kommenden Montag, dem 11. Juli, wird es planmässig wie jedes Jahr zu zehntägigen Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Pipeline kommen, während derer die Gasdurchleitung komplett gestoppt werden muss. Sollte, was inzwischen als realistisches Szenario gilt, die Durchleitung nach Ende der Wartung, also zum 21. Juli, nicht wieder hochgefahren werden, würde Deutschland eine massive Verschärfung der Gasknappheit drohen. Nach der bisher erreichten zweiten Stufe des Gasnotfallplans könnte dann schnell Stufe drei durch das Wirtschaftsministerium erklärt werden, was bedeutet, dass die Bundesnetzagentur die Zuteilung des knappen Gutes Gas auf Haushalte, Energieerzeuger und Industrie übernehmen würde. Viele auf Gas angewiesene, aber nicht als essenziell eingestufte Produktionsbereiche der Industrie wären dann wohl gezwungen, ihre Aktivität herunterzufahren bzw. ganz einzustellen. Ein deutlicher Einbruch der Wirtschaftstätigkeit über mehrere Quartale wäre nahezu unvermeidlich. In Europa stünde dann, als ganz konkrete Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine, die Rezession vor der Tür.

Rohstoffe: Taktisch unter Druck, strategisch interessant
In kaum einer anderen Assetklasse ist die Unterscheidung zwischen taktischer und strategischer Perspektive im aktuellen Umfeld so deutlich wie bei den Rohstoffen. Denn leiden derzeit die Notierungen unter der Angst vor rezessionsbedingt schrumpfender Nachfrage, so ist mittel- bis langfristig absehbar, dass viele Rohstoffe, darunter Industriemetalle wie Kupfer, Stahl oder Aluminium, wegen des immer dringender werdenden Ausbaus erneuerbarer Energien und der damit verbundenen Infrastruktur vermutlich über viele Jahre stark gefragt sein werden. Dazu kommen Materialien, welche speziell für einzelne Bestandteile der Energiewende benötigt werden, wie etwa Lithium und Kobalt für die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte. Für Anleger könnte sich zusätzlich zum Inflationsschutz, den die Anlageklasse Rohstoffe bietet, die Möglichkeit ergeben, in einem weiterhin schwierigen konjunkturellen Marktumfeld von einem Sektor mit positiven Wachstumsaussichten zu profitieren.

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