BlackRock Marktausblick: Von Holz-Drachen und Zuversicht
In wenigen Wochen wird in Ostasien das Neujahrsfest im Zeichen des Holz-Drachen gefeiert. Im östlichen Horoskop gilt der Drache als das mächtigste Tierkreiszeichen und versinnbildlicht Energie, Kraft und Glück. Das Element Holz – Symbol für Aufbruch, Wachstum und Erkenntnis – wirkt dabei wie die perfekte Ergänzung.
So manchen Investorinnen und Investoren wird wohl allein angesichts der geopolitischen Gemengelage in der Drachen-Symbolik Zuversicht schöpfen wollen. Die internationale Fragmentierung hat sich zuletzt beschleunigt und es gab wohl kaum einen Staatslenker beim Weltwirtschaftsforum in Davos, der nicht auf die knifflige Grosswetterlage verwies. Die Zahl der fragilen Situationen weltweit ist laut den Vereinten Nationen die höchste seit Jahrzehnten, und das in einem Jahr, in dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung an die Wahlurne schreitet. Die Störung der Schifffahrt im Roten Meer ist ein jüngeres Beispiel, wie Krisenherde Lieferketten beeinträchtigen und die Produktionskosten in die Höhe treiben können. Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass eine anhaltende geopolitische Zersplitterung mit einem längerfristig erhöhten Inflationsdruck einhergeht (Datenquelle: BlackRock BII Global Outlook, 05. Dezember 2023).
Im Kontrast zu den Molltönen rund um geopolitische Risiken war in Davos die Begeisterung spürbar, dass Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz (KI) zu signifikanten Produktivitätsschüben führen könnten. Es gibt zweifelsohne eine Vielzahl von unterschiedlichen Schätzungen darüber, wie stark die Produktivität durch KI gesteigert werden könnte. In Summe deuten sie jedoch darauf hin, dass der Effekt mit der Zeit erheblich sein könnte. Viele Projektionen basieren auf den Auswirkungen der Internetrevolution, die mit einer Steigerung der Produktivität in den USA um etwa 13% über ein Jahrzehnt zusammenfiel. So manch Aussage in Davos übertraf diese Einschätzung.
Zuversichtlich: In den Börsenkursen ist zum Jahresstart bereits viel vorweggenommen
In den Börsenkursen wiederum ist zum Jahresstart – also demjenigen nach dem gregorianischen Kalender – bereits viel Zuversicht vorweggenommen. Die Technologiebörse Nasdaq, aber auch der breite US-Aktienmarkt, gemessen am S&P 500, markierte letzte Woche neue Rekordhochs, obwohl die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen auf über 4,1 % kletterte, da die Märkte „nur noch“ sechs Zinssenkungen der US-Notenbank Fed a 25 Basispunkte bis Jahresende erwarten (Datenquelle: LSEG Datastream, 19. Januar 2024). Insbesondere Hoffnungen auf niedrigere Zinsen und eine „weiche Landung“ der US-amerikanischen Volkswirtschaft haben sich in steigende Kurse von Risikoaktiva übersetzt. Die „beste aller Welten“ scheint zum Greifen nahe, wonach die Verbraucherpreisinflation ohne Rezession auf die 2%-Preisstabilitätsmarke der Fed sinkt.
Solange dieses „Soft Landing“-Narrativ aus zunächst nachvollziehbaren Gründen verfängt – denn nach Lage der Dinge wird die US-Gesamtinflation in diesem Jahr nahe bei 2% liegen – können Aktien durchaus weiter laufen und für einen insgesamt gelungenen Aufbruch in das Jahr 2024 sorgen. Je stärker jedoch das Risiko einer letztlich doch hartnäckigeren Inflation im Laufe des Jahres sichtbar wird, desto ungemütlicher sollte das Fahrwasser an den Börsen werden.
Abwartend: EZB und BoJ haben es nicht eilig, die Zinsen zu lockern bzw. zu straffen
Apropos Inflation und Geldpolitik: Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte am Donnerstag ihren Einlagensatz unverändert bei 4% lassen. Noch befindet sich der geldpolitische Rat im Wartemodus. Finanzmarktteilnehmer werden sich voraussichtlich auf zweierlei konzentrieren: Zum einen die Beurteilung der drei „Schwerpunktbereiche“ durch Präsidentin Christine Lagarde – den Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission – und zum anderen jegliche Hinweise auf den Zeitpunkt des ersten Zinsschritts. Der Umfang der vom Markt erwarteten Zinssenkungen fällt unseres Erachtens weniger ambitioniert aus als bei der Fed (Datenquelle: LSEG Datastream, 19. Januar 2024). Zuletzt war eine subtile kommunikative Verschiebung von „viel zu früh, um über Zinssenkungen zu diskutieren“ im November und Dezember hin zu einem ausgewogeneren Ton zu vernehmen gewesen, der mehr Gewicht auf die Datenabhängigkeit legt. Und so befindet sich die EZB eben im Wartemodus insbesondere auf Lohnwachstumszahlen im Frühjahr.
Anders gestaltet sich die Situation in Asien. Die Rückkehr der Inflation in Japan hat im vergangenen Jahr eine schrittweise Anpassung der ultralockere Geldpolitik vorangetrieben. Doch die Bank of Japan (BoJ) hat es mit der Normalisierung nicht eilig. Beim am Dienstag anstehenden Zinsentscheid in Tokyo erwarten wir keine Zinsstraffung. Die Notenbanker werden wahrscheinlich auf deutlichere Anzeichen für ein nachhaltiges Lohnwachstum im Rahmen der Verhandlungsrunde im Frühjahr (Shuntō) warten wollen. Die Abwertung des Yen hatte den Anstieg der Inflation begünstigt. Doch die Importpreise haben sich in letzter Zeit stabilisiert, was auf einen künftig gedämpfteren Inflationsdruck hindeutet. Damit bleibt unseres Erachtens das Lohnwachstum der entscheidende Faktor dafür, ob sich die Inflation bei 2%-Zielmarke der BoJ einpendelt.
Wählerisch: Selektivität bleibt im Jahr des Holz-Drachen angesagt
Innerhalb des Aktienuniversums der Industrieländer stehen wir dem japanischen Aktienmarkt fortgesetzt konstruktiv gegenüber dank der aktionärsfreundlichen Reformen japanischer Unternehmen bei weiterhin attraktiven Bewertungen und solidem Gewinnwachstum.
In globaler Betrachtung war die Aktienmarktrally im Jahr 2023 vornehmlich bewertungsseitig getrieben. Wir erwarten in diesem Jahr einen stärker durch die Gewinnentwicklung der Unternehmen getriebenen Aktienmarkt. Im Rahmen der laufenden Berichtssaison für das vierte Quartal 2023 haben die Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks erwartungsgemäss bislang recht solide Quartalszahlen vorgelegt. Spannender sind die Ausblicke der Unternehmenslenker.
Während wir in den USA mit einer Konjunkturverlangsamung rechnen – was für sich genommen ein gewisses Enttäuschungspotenzial bei den 12-Monats-Konsensschätzungen für die US-Unternehmensgewinne impliziert – dürfte sich die Konjunktur hierzulande und im Euroraum nach der derzeitigen Schwächephase im Jahresverlauf fangen, insbesondere weil sich der private Konsum aufgrund steigender Realeinkommen erholt. Dagegen wird eine straffere Finanzpolitik – vor allem in Form geringerer Staatsausgaben – die Konjunktur dämpfen, während kaum Impulse durch die Weltkonjunktur zu erwarten sind.
Das Gewinnwachstum europäischer Unternehmen könnte sich auf Jahressicht auf einen mittleren einstelligen Bereich beschleunigen. Gleichzeitig hat auch der europäische Aktienmarkt bereits von dem ausgeprägten Zinssenkungsoptimismus im Schlussquartal des letzten Jahres profitiert. Die Bewertungen europäischer Aktien sind zwar attraktiv sowohl historisch gesehen als auch im Vergleich zum US-amerikanischen Markt, wir bevorzugen aber bei unserer taktischen Anlageallokation nach wie vor einen selektiveren Ansatz. Auf Sektorebene beispielsweise sehen wir Chancen bei europäischen Banken, im Gesundheitswesen und in der Industrie. Von der oben erwähnten Neuausrichtung der Globalisierung wiederum könnten Länder wie Mexiko und Vietnam sowie strategische Sektoren wie die Technologie profitieren. (BlackRock/mc/ps)