BlackRock Marktausblick: Warten auf die Rezession
Von Martin Lück, BlackRock Leiter Kapitalmarktstrategie
Wie hart ist der Stein, in den die Rezessionsgewissheit gemeisselt ist? Das fragen sich zurzeit viele Anleger, die einerseits auf Zeichen für die überall angekündigte Rezession warten, andererseits feststellen, dass die Inflationsraten sinken und hoffen, die Zentralbanken könnten schon bald wieder von der bremsenden auf die unterstützende Seite wechseln. Derweil hat der MSCI World seit Jahresbeginn um 5% zugelegt, der DAX sogar um 8%. Und die gute Laune bei Aktieninvestoren, die in den letzten 50 Jahren nach einem positiven Januar in über 70% der Fälle auch eine erfreuliche Gesamtjahresperformance zur Folge hatte, wird begleitet durch einen – mindestens ebenso bemerkenswerten – 2,3%-Anstieg bei globalen Anleihen. Aber wieviel Realismus steckt in diesem Januartraum von Goldilocks? Besser als 2022 wird dieses Jahr wohl wirklich – kein Wunder. Aber die schlechte Nachricht lautet: Es bleibt kompliziert. Werfen wir einen Blick auf die Unwägbarkeiten.
Die Tatsache, dass die viel beschriebene Rezession bisher nicht eingetreten ist, lässt sich gut mit der Tatsache begründen, dass typischerweise die Zeitverzögerung geldpolitischer Straffung sehr lang ist. Ökonomische Studien kommen meist zu dem Ergebnis, dass es weit über ein Jahr dauert, bis der Grossteil der Folgen von Zinsanhebungen und/oder Liquiditätsverknappung vollständig in der Realwirtschaft angekommen ist. Somit ist es nicht verwunderlich, dass es noch Zeit braucht, bis die in den USA im März und im Euroraum im Juli 2022 begonnenen Straffungsschritte messbare Bremsspuren hinterlassen.
Es gibt allerdings Sektoren der Volkswirtschaft, in denen vor allem höhere Zinsen nahezu unmittelbar wirken, etwa der Immobilienmarkt. Und genau hier sind die restriktiven Impulse der Notenbanken auch schnell spürbar geworden, etwa mit dem Rückgang von Bautätigkeit und Immobilienumsatz in den Vereinigten Staaten oder dem Abkühlen des Preisanstiegs für Wohnungen und Häuser in deutschen Grossstädten. Nun hat sich aber genau in diesem Bereich, der so sensibel auf höhere Zinsen reagiert, im Dezember Entspannung gezeigt. Die in der Vorwoche publizierten Daten für Hypothekenanträge in den USA waren positiv, ebenso wie der NAHB Immobilienpreisindex. Und bei Baugenehmigungen und Neubauprojekten scheint sich ein Boden herauszubilden.
Diese Signale einer schnellen Erholung am amerikanischen Häusermarkt wären, sollten sie sich verfestigen, ein wichtiges Zeichen dafür, dass die befürchtete Rezession ausbleiben oder zumindest nicht so tief verlaufen könnte wie erwartet. Denn in den USA sind die Häuserpreise eine nicht zu vernachlässigende Determinante des Konsumverhaltens oder, um es in Ökonomensprech auszudrücken, Vermögenswerteffekte generell ein bedeutender Faktor in der Transmission der Geldpolitik.
Während jüngste Daten, unter anderem vom Immobilienmarkt, also die Hoffnung, doch ohne Rezession davonzukommen und damit die Januarrally unterstützt haben, sollten Anleger bezüglich der zweiten Ingredienz der Champagnerlaune vorsichtig sein. Die Rede ist von der Erwartung, die Zentralbanken mögen, sobald die Inflation im Griff und damit ihre Mission erfüllt ist, wieder in den Unterstützungsmodus umschalten. Zurzeit preist der Markt für die zweite Jahreshälfte rund 50 Basispunkte an Zinssenkungen seitens der Fed ein.
Und so ist es in der Vergangenheit ja auch oft gewesen: Schon kurz nach dem letzten Zinsschritt nach oben folgte die Einleitung der nächsten Lockerung, oft schon im folgenden Quartal. Die Frage ist nur: Dürfen wir Muster der Vergangenheit ohne weiteres auf den aktuellen Fall übertragen? Da sind mehr als nur milde Zweifel angebracht, hat doch die von Angebotsknappheiten dominierte Post-Covid-Welt bereits jetzt erheblich den Glauben erschüttert an eine Weiterexistenz der ‚Great Moderation‘, welche die letzten gut 35 Jahre geprägt hat. So könnte es nach einem starken, von Basiseffekten unterstützten Inflationsrückgang in den nächsten Monaten durchaus sein, dass sich die bisher als eher längerfristig erwarteten strukturellen Inflationstreiber wie Arbeitskräftemangel, grüne Transformation und Abschwächung des globalen Handels schneller auswirken als geplant. Das Ergebnis könnte sein, dass die Notenbanken in der Erwartung einer mittelfristig stärkeren Preisdynamik nicht bereit sind, die Zinsen schon bald wieder unter das neutrale Niveau zu senken. Auf genau diese Positionierung deutet zurzeit die Kommunikation von Fed und EZB hin, am Markt scheint sie aber bis dato noch nicht sehr ernst genommen zu werden.