Innsbruck – Wenn Brasilien am 12. Juni gegen Kroatien die Fussball-WM im eigenen Land eröffnet, ist der Druck auf den Ballzauberern riesig. Denn für die Fans wäre alles andere als der WM-Titel eine Enttäuschung. Brasilien gehört denn auch zu den ganz grossen Favoriten auf den Titel. Und der Vorsprung zu den anderen Mannschaften ist sogar bedeutend grösser als vielfach angenommen, wie Statistiker rund um Achim Zeileis von der Uni Innsbruck jetzt zeigen. Mit ihrem auf Buchmacherquoten basierenden statistischen Modell haben die Forscher um Zeileis bereits 2008 das EURO-Finale, 2010 den Weltmeister Spanien und vor zwei Jahren ebenfalls Spanien als Europameister richtig vorhergesagt.
Erstmals seit 36 Jahren findet die FIFA-Weltmeisterschaft wieder in Südamerika statt. Und wie bei allen bisherigen in Südamerika ausgetragenen Fussball-WMs ist auch diesmal der Sieg eines südamerikanischen Landes, nämlich des Gastgebers Brasilien, am wahrscheinlichsten, wie der Statistiker Achim Zeileis von der Uni Innsbruck in einer gemeinsamen Arbeit mit zwei Kollegen von der Wirtschaftsuniversität Wien nachweist. Die Wissenschaftler verwenden dabei ein Modell, das sich bereits bei Vorhersagen für die vergangenen beiden Fussball-Europameisterschaften und der WM 2010 bewährt hat: Das sogenannte Buchmacher-Konsensus-Modell.
Das Forscherteam greift darin auf die Quoten von 22 Online-Wettanbietern (Buchmachern) zurück, die kombiniert mit komplexen statistischen Rechenmodellen eine Simulation aller möglichen Spielvarianten und Ergebnisse zulassen. Die höchsten Siegchancen hat nach diesem Modell Brasilien mit einer Siegwahrscheinlichkeit von 22,5 Prozent. Drei weitere Mannschaften haben dahinter noch vergleichsweise hohe Chancen auf einen Sieg, wenn auch deutlich niedrigere als der Gastgeber: Argentinien gewinnt mit 15,8 Prozent Wahrscheinlichkeit, Deutschland mit 13,4 und Spanien mit 11,8 Prozent. Dahinter folgt sehr weit abgeschlagen eine Reihe weiterer Länder, mit Belgien als Insidertipp und „best of the rest“ mit einer Gewinn-Wahrscheinlichkeit von nur noch 4,8 Prozent.
Finale Brasilien – Argentinien?
Das Buchmacher-Modell erlaubt auch die Modellierung von Wahrscheinlichkeiten des Finalspiels, hier ist die Unsicherheit aber wesentlich höher – das wahrscheinlichste Finale lautet Brasilien gegen Argentinien. „Wir modellieren nicht nur den Sieger, sondern können jede denkbare Spielkonstellation darstellen. Bei diesen Modellen gewinnt Brasilien als einziges Team gegen deutlich mehr als die Hälfte aller anderen Teams mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 Prozent. So können wir auch für jede der acht Gruppen jene Mannschaften ermitteln, für die ein Aufstieg am wahrscheinlichsten ist und landen letztlich beim wahrscheinlichsten Finale“, erklärt Achim Zeileis.
Statistik-Know-How und Buchmacher-Erfahrung
„Buchmacher setzen ihre Quoten basierend auf möglichst wahrscheinlichen Ergebnissen fest. Als Experten berücksichtigen sie nicht nur historische Daten, sondern auch kurzfristige Ereignisse wie zum Beispiel Verletzungen“, sagt der Statistiker. Die Quoten werden so definiert, dass sie einerseits den tatsächlichen Ergebnissen möglichst nahe kommen und andererseits auch dem Buchmacher seinen Gewinn sichern – das bildet eine sehr solide Basis für das von Prof. Zeileis, Dr. Christoph Leitner und Univ.-Prof. Kurt Hornik (beide WU Wien) entworfenen Modell. „Allerdings müssen diese Quoten zunächst um die Aufschläge der Buchmacher bereinigt werden. Dann können wir daraus Wahrscheinlichkeiten ableiten.“
In zwei weiteren Schritten erheben die Statistiker dann den möglichen Sieger: Über die Wettquoten ergeben sich grundsätzliche Gewinnwahrscheinlichkeiten für jedes Team. In einem weiteren Schritt können die Forscher dann erheben, wie wahrscheinlich es ist, dass ein beliebiges Team gegen ein anderes gewinnt. „Der Spielplan stand zum Zeitpunkt, zu dem die Buchmacher ihre Quoten festgesetzt haben, bereits fest, deshalb müssen auch die Chancen der einzelnen Teams in der jeweiligen Gruppe berücksichtigt werden“, sagt Zeileis. Kombiniert mit den Buchmachererwartungen können die paarweisen Gewinnchancen in ein Rechenmodell einfliessen, mit dessen Hilfe jede mögliche Spielvariante am Computer simuliert werden kann. „Unser Modell hat im Vergleich zu allen anderen den Vorteil, dass es sowohl Gewinn- als auch ‚Überlebens’-Chancen für jede einzelne Mannschaft liefert“, erläutert Zeileis. „Von einer 100 Prozent sicheren Prognose sind wir aber weit entfernt“, ergänzt er. Bis zum Finale am 13. Juli in Rio de Janeiro bleibt es also trotzdem spannend. (Uni Innsbruck/mc/pg)